Das Beste aus aller Welt

Der Schriftsteller Richard Ford bewahrt seine Manuskripte im Kühlschrank auf. Aber ist das wirklich ein passender Ort? Wäre es nicht besser, sich Wichtiges einfach zu merken – selbst wenn es um tausend Textseiten geht?

Bruno, mein alter Freund, hat vor Jahren eine Metallröhre gekauft, eine preservation box. Da hinein, so die Idee des Herstellers, solle man alles stopfen, was einem so wichtig sei, dass es unter allen Umständen bleiben müsse – auch wenn man selbst nicht mehr ist, wenn Feuer das Haus und Super-Unheil das Land verwüstet haben. Für die Nachwelt.

Bloß: Die Box ist immer noch leer. Bruno hat bisher nichts gefunden, von dem er denkt, dass es ihn überdauern sollte, ein seltsamer Gedanke, der meinen Freund beschäftigt, gerade in Zeiten, die man, müssten sie unter einer Überschrift zusammengefasst werden, »die Jahre der großen Verlustangst« nennen könnte. Kommt das Ende des Euro in der Nacht? Gibt’s Krieg zwischen Israel und dem Iran? Und dann? Ist es vorbei mit dem schönen Leben …

Aber man kann ja nicht selbst in die Röhre steigen, mit seiner Familie. Das kann man nicht, und selbst wenn man es könnte, wäre es irgendwie sinnlos: lieber alles verlieren als in einer Röhre leben, oder? Gab’s nicht mal einen Song, in dem es hieß: Woke up this morning / Closed in on all sides / Nothing doing? Der hieß Living In A Box, und die Band, die ihn sang, hieß auch so. Ziemlich einprägsames Lied, andererseits keines,
das man sich für immer merken müsste.

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Dieser Tage erscheint übrigens ein neuer Roman des Amerikaners Richard Ford, Kanada heißt er. Ford hat in Interviews jetzt erzählt, er bewahre alle unveröffentlichten Texte und Notizen im Gefrierfach auf oder jedenfalls im Kühlschrank, ganz klar wurde das nicht in den Gesprächen. Jedenfalls liegen da, in Klarsichthüllen verpackt, Manuskripte auf Eis – warum? Weil, sagte Ford, »wenn das Haus abbrennen würde, der Kühlschrank die Sache wahrscheinlich überlebt«. Außerdem könnten sie nicht verrotten, auch könnten »die Hunde sie nicht plündern«.

Was für eine rührende Art der Besessenheit vom eigenen Werk: dass einer glaubt, sogar die Hunde könnten sich dafür interessieren. Heißt nicht eines der älteren Werke Fords Ein Stück meines Herzens? Hunde lieben ja Innereien. Es ist auch verständlich, dass einer dem Computer als Speichermedium nicht recht traut. Aber die Eistruhe als Alternative? Sollten wir, was wir lieben und was von uns bleiben soll, ins Eisfach legen? So dass wir es jedes Mal sehen, wenn wir nach Tiefkühlerbsen kramen?

Ford, der einer der Besten unter den lebenden Autoren ist und dem wir unvergessliche Figuren wie den Sportreporter Frank Bascombe verdanken, Ford also hat auch noch erzählt, dass er alle seine Texte nicht nur sich selbst vorlese, wieder und wieder, bis der Text in ihm lebe und arbeite, selbst im Schlaf. Nein, er trage sie auch seiner Frau vor – und arbeite die Geschichten dann um. Was mich im Zusammenhang mit dem Bewahren von Dingen daran erinnert, dass es Beziehungen gibt, in denen der Partner auch als eine Art mobiles Gedächtnis genutzt wird. Als Speichermedium.

Schatz, würdest du mich daran erinnern, dass ich Mutter anrufen muss? Liebling, vergiss auf keinen Fall, dass ich Wein kaufen wollte! Darling, morgen kommen Schrödingers zu Besuch, lass mich das auf keinen Fall vergessen!

Kann es sein, dass Fords Frau seine Romane auswendig kann, als eine Art Back-up zum Eisfach? Dass also hier einer, was ihm wirklich wichtig ist, gleichsam in seiner Frau bunkert? Man stelle sich vor, Tolstoi hätte beim Weggehen gerufen: Sofja, kannst du dir bitte Krieg und Frieden merken? Ich muss es morgen zu Ende schreiben! Mein Engel, wie lautet der dritte Satz auf Seite 417 von Anna Karenina? Erinnere mich daran, dass ich ihn ändern möchte.

Übrigens sagte Ford auch, seine Frau hätte neulich, weil sie eine Party veranstaltet und im Gefrierfach Platz gebraucht habe, die Manuskripte in die Schublade zum Hundefutter gelegt und dort vergessen. Ein Albtraum: Mein Herz, hast du meinen 800-Seiten-Roman gesehen? Er ist mir irgendwie wichtig, weißt du? Wenn ich es recht bedenke, ist dieses Buch das, was von mir bleiben soll. Ich weiß genau, dass ich es in den Kühlschrank gelegt hatte!

Dann der Blick auf die Lefzen der Hausdogge, aus denen noch die Worte The End, von Speichelfäden überzogen, hervorlappen. Und wie sie mit dieser riesigen Dänendoggenzunge die geöffnete Hundefutterschublade ausleckt.

Illustration: Dirk Schmidt