Das Beste aus aller Welt

Ob Sandlaufkäfer furchteinflößend oder Elefanten gute Haustiere sind – alles eine Frage der Proportion, findet unser Autor. Gleiches gilt auch für den Appetit.

Im Allgemeinen sind die Größenverhältnisse von Menschen, Tieren und Pflanzen in der Natur recht durchdacht. Wer zum Beispiel je in einem Tierfilm den Dünen-Sandlaufkäfer Cicindela hybrida über eine Raupe oder eine verletzte Ameise hat herfallen sehen, wer beobachten musste, wie Cicindela hybrida mit den seinem gierigen Maul vorgelagerten scherenförmigen, elfenbeinfarbigen und (verhältnismäßig) gigantischen Schneidewerkzeugen die Raupe oder Ameise bei lebendigem Leib zerteilte und fraß, der wird sehr froh sein, dass der Dünen-Sandlaufkäfer maximal 16 Millimeter lang wird und also sehr viel kleiner ist als der Mensch. Denn wäre er 16 Meter lang und würde unsere Städte, Wälder und Parks auf der Suche nach Nahrung durchstreunen, könnte man sich ohne Panzerfaust kaum auf den Weg ins Büro machen. Selbst eine Kleinwagenkarosserie wäre dem Sandlaufkäfer kaum hinderlich, stünde ihm der Sinn nach einem Happen saftigen Angestelltenfleisches.

Andererseits habe ich an dieser Stelle schon des Öfteren bemängelt, dass Elefanten so groß sind und sich kaum eignen, an der Leine spazieren geführt zu werden. Hätten sie Hundeformat, würde ich mir sofort einen Elefanten halten, ja, ich hielte einen solchen Elefanten für ein großartiges Haus- und Spaziertier, viel reizvoller als einen Dackel oder einen Mops oder gar einen Mastino Napoletano.

Aber so ist es nicht, so wird es auch nicht mehr werden, und im Großen und Ganzen stimmen die Relationen, wie gesagt. Ein Apfel zum Beispiel ist etwa so groß, dass man ihn mit ein paar Bissen verzehren kann. Wäre er zentnerschwer, liefen die Erntearbeiter Gefahr, von Äpfeln bei der Arbeit erschlagen zu werden, wäre er kieselklein, könnte man ihn nur schwer essen, es würde sich irgendwie nicht richtig lohnen. So ein Winzapfel.

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Bei der Gelegenheit ist übrigens interessant zu erwähnen, was ein Team von Psychologen der Arizona State University herausgefunden hat: Zerteilt man zum Beispiel Bagel (also diese Teigkringel mit einem Loch in der Mitte) in vier Teile, fühlen sich Menschen, die einen solchen Bagel aßen, sehr viel satter als andere, die den gleichen Bagel unzerteilt bekamen – obwohl beide die gleiche Menge auf dem Teller hatten. Offensichtlich spielt also beim Sättigungsempfinden auch die Stückzahl eine Rolle. Wer vier Stücke auf dem Teller hat, ist schneller gesättigt als der mit nur einem vor sich.

Dies als Randbemerkung für jene vielen Leser, die diese Kolumne vor allem wegen ihrer Diättipps lesen.

Wichtiger scheint mir eine Erfindung von Professor Michitaka Hirose aus Tokio, der eine Art Videobrille konstruiert hat. Die schnallt man sich vor seine Augen und kann mit ihrer Hilfe das Essen auf dem Teller größer oder kleiner erscheinen lassen, ganz nach Bedarf. Michitaka Hirose hat nämlich herausgefunden, was die Ergebnisse aus Arizona auch schon nahelegen: dass für das Sättigungsempfinden des Menschen offensichtlich die visuelle Information wichtiger ist als jene, die der Magen liefert. Wer das Gefühl hat, eine große Portion gegessen zu haben, fühlt sich weniger hungrig als jener, dem das Essen auf dem Teller schon rein optisch irgendwie zu wenig war.

Hiroses Computerbrille ist also in der Lage, die Speisen auf dem Tisch um die Hälfte größer erscheinen zu lassen, als sie tatsächlich sind, ein Gefühl, das sich zwar spätes-tens relativieren muss, wenn man das Essen dann in den Mund steckt (der, wie dann festzustellen ist, gar nicht so weit hätte geöffnet werden müssen, wie der optische Eindruck nahelegte). Aber bitte: Die Testpersonen in Japan aßen mit Brille tatsächlich zehn Prozent weniger als ohne.

Die Folgen dieser Erfindung sind unabsehbar. Insbesondere sollte man sich gut überlegen, ob man Hiroses Gerätschaften bei einem romantischen Dinner zu zweit tragen möchte. Der dabei gewonnene optische Eindruck wird sich ja nicht nur aufs Essen beziehen, oder? Und was ist, wenn der beeindruckende Hüne, der seiner Begleiterin den ganzen Abend lang in die Augen hinter der Hirose-Brille zu sehen versuchte, sich – kaum hat man die Brille seufzend beiseitegelegt – als eher schmächtig entpuppt?

Illustration: Dirk Schmidt