Die Spaß-Guerilla

Geometrisch, knallig, ironisch: Die Schöpfer der aktuellen Accessoiremode dürfen ruhig zugeben, wie sehr sie von Memphis beeinflusst sind - der Designbewegung, die in den Achtzigerjahren von Mailand aus die Welt eroberte.


Alles begann, wie es sich gehört für eine Revolution: mit einer Straßensperre. So viele Menschen hatten sich auf dem Corso Europa in der Mailänder Innenstadt versammelt, dass die Polizei sich gezwungen sah, den Verkehr umzuleiten. Es war im September 1981 während der Möbelmesse, und die Menschen kamen, weil es hier in der Galleria Arc 74 Bahnbrechendes, ja Unerhörtes zu sehen gab: eiscremefarbene Regale, die wie Altäre aussahen, Tischlampen auf Rädern, Teekannen in Treppenform, Fake-Marmor und andere Zumutungen. Waren das noch Möbel, oder war das schon Konzeptkunst an der Schwelle zum Kindergeburtstag?

Es war die erste Werkschau der »Memphis«-Bewegung um den damals auch schon 64 Jahre alten, aber offenbar sehr jung gebliebenen Industriedesigner Ettore Sottsass. Danach war nichts mehr, wie es war. Der Designer Jasper Morrison staunt noch heute, wenn er an diesen Tag zurückdenkt: »Es war ein Gefühl von Schock und Panik.« Seit dem Bauhaus war das Industriedesign dem Dogma »form follows function« gefolgt, sein Hohepriester Dieter Rams träumte vom leisen Design, von »so wenig Design wie möglich«. Problem war, dass man irgendwann bei einer Industrieästhetik gelandet war, die zwar von strenger Schönheit war, aber eben auch kalt und langweilig. Memphis dagegen war laut und schrill, war so viel Design wie möglich. Dessen Funktion war, keine Funktion zu haben. Außer vielleicht die, den Blick und die Sinne neu zu eichen und die Dinge endlich wieder wie ein Mensch anzugehen, nicht wie eine Maschine: Ja doch, Design darf auch Spaß machen. Form follows fun.

Die Schockwellen dieser Ketzerei sind noch heute zu spüren, und zwar nicht nur in der Laminat-Hölle der Baumärkte, sondern in der Form- und Farbenvielfalt unserer Produktwelt, die ohne diesen italienischen Wutanfall ganz sicher dröger ausgefallen wäre. Seit Kurzem feiert Memphis ein kleines Comeback, das sogar bis in die aktuellen Sommerkollektionen der Mode ausstrahlt. Karl Lagerfeld hat das alles übrigens schon damals eingeleuchtet. Er kaufte 1981 die komplette erste Kollektion vom Fleck weg, um damit sein Penthouse in Monte Carlo einzurichten. Er rühmte sie als »über-
modern«, dabei war Memphis für Ettore Sottsass nur »der Versuch, Dynamik, Fehler, Bewegung und Gefühl ins Design einzubeziehen«.

Alle Memphis-Objekte sind Leihgaben der Galerie Maurer, München, und des Memphis Design Store in Mailand, www.memphis-milano.com. Wir danken auch Nathalie Du Pasquier für die Bereitstellung ihrer Muster.

Meistgelesen diese Woche:

(Styling-Assistenz: Réka Maria Probst; Fotoassistenz: Daniel Schnitterbaum; Haare & Make-up: Arzu Kücük, Erol Koyu / www.phoenix-agentur.de; Model: Ola Rudnicka über www.nextmodels.com; Location: Galerie Maurer; Fotostudio: Werk 3 Studios)

Fotos: Haw-Lin; Styling: Almut Vogel