Ziemlich beste Freundinnen?

Warum kriegen Frauen es nicht hin, einander zu unterstützen, zusammenzuhalten, Seilschaften zu bilden? Ein Plädoyer gegen die Stutenbissigkeit.

Als ich jünger und dümmer war, habe ich gelegentlich Texte über »die Frauen« geschrieben. Wie sie so sind. Was sie tun. Was sie blöderweise lassen. Dass sie glücklicher wären, wenn sie bitte schön täten, was ich für richtig halte. So Unsinn halt.

Dies könnte einer von diesen Texten werden. Man wird ihn ohne Probleme als Beweis für Stutenbissigkeit lesen können (denn er wird Wibke Bruhns erwähnen), als prächtiges Beispiel für genau das, was er zu beschreiben versucht: die mangelnde Solidarität der Frauen. Denn kaum beginnt man, über »die Frauen« und ihre Unfähigkeit zu gegenseitiger Unterstützung nachzudenken, hat man sich schon eingereiht in den Chor der Denunziantinnen, der in den vergangenen Jahren immer lauter geworden ist. Da ist es fast schon egal, welche Stimme man singt, ob die der Teilzeit- oder der Vollzeitmütter, die der Mütterbeschimpferinnen oder der Karrierefrauen, die einsame Spitze geblieben sind und jetzt alle anderen der Feigheit bezichtigen: Der eigene Lebensentwurf wird verteidigt, indem die der anderen diffamiert werden. Wir sind uns nicht einig, weniger denn je. Höchstens in einem: dass es kein »Wir« gibt. Selbst frauenfreundliche Konzepte wie die Quote spalten die Nation wie eine Axt: Laut einer Focus-Umfrage im Januar sind 50 Prozent der Frauen dagegen, 47 Prozent dafür. Und in einer Zeit, in der alle für Frauenpolitik relevanten Regierungsposten mit Frauen besetzt sind, geht nichts voran, weil sich die Betreffenden nicht darauf verständigen können, wie es weitergehen soll. Es ist zum Wahnsinnigwerden.

An der letztens so flammend geführten und so früh verloschenen Sexismus-Debatte war einiges interessant, zwei Dinge aber ganz besonders: wie geschlossen und geräuschlos sich die männliche Wagenburg um Brüderle formierte. Und wie geräuschvoll sich derweil die Frauen gegenseitig in der Luft zerfetzten. Recht spektakulär geriet das in jener Günther-Jauch-Talkshow, in der Wibke Bruhns auf Alice Schwarzer und Aufschrei-Initiatorin Anne Wizorek traf und mit ihren defätistischen Einlassungen zum Naturgesetz der Belästigung – Männer und Frauen seien verschiedene Spezies, und wer das ändert wolle, müsse aus Stieren Ochsen machen – fast schon altersstarrsinnige Unlust demonstrierte, andere Erfahrungen oder Sichtweisen auch nur zur Kenntnis zu nehmen. Natürlich war das Einladungspolitik einer Talkshow-Redaktion: Konsens ist nicht telegen, da braucht es Zunder. Aber was von diesem Abend übrig blieb, war wieder mal: Zickenkrieg. Die Weiber sind sich ja nicht mal selber einig, warum sollten wir sie also ernst nehmen? Was wollen die überhaupt?

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Warum es Männern so leicht fällt, Geschlossenheit zu zeigen, und Frauen so schwer, dafür gibt es viele Erklärungen. Männer waren schon immer in Verbünden organisiert, bei denen ein gemeinsamer Gegner die Einigkeit erleichtert, ob einst der Säbelzahntiger, kurz danach der Russe oder heute der TuS Dachelhofen. Da ist egal, ob man mit dem, der neben einem steht, jemals ein Bier trinken würde: Es geht gegen die anderen, und zwar mit Gebrüll, das schweißt zusammen. Wie tief solche Reflexe sitzen, sah man an der Brüderle/Aufschrei-Debatte: Jeder Angriff auf einen einzelnen Mann (und als solcher wurde bereits die reine Dokumentation des Geschehenen betrachtet) ist sofort ein Angriff auf das ganze Geschlecht. Entsprechend pampig, ungläubig, abwehrend oder aggressiv waren die Reaktionen, selbst von normalerweise ganz vernünftigen Männern.

Frauen hingegen, ungeübt im Bilden strategischer Allianzen, verschwenden kostbare Energie in Grabenkämpfen um Detailfragen, verweigern den Schulterschluss, bauen – um jetzt mal wegzukommen von Herrn B. – keine Räuberleitern, wollen es selber hinkriegen. Und verkennen dabei, dass kein Mann es je allein geschafft hat, sondern immer nur dank eines in Jahrtausenden bewährten Netzwerks, eines Perpetuum mobile des Machterhalts. Das Spiel ist gezinkt.

Teil dieses Spiels ist es, dass sichtbar erfolgreiche Frauen immer noch als Einzelkämpferinnen wahrgenommen werden, als Ausnahmen, die es quasi per Mutation so weit gebracht haben, vielleicht durch männliche Förderung (»Kohls Mädchen«), auf jeden Fall aber ohne weibliche Unterstützung. Allein das raunende Erstaunen jüngst, als Angela Merkel Annette Schavan auf ihrem Gang zum Schafott begleitete und in ihrer Rede immer wieder das Wort »Herz« verwendete, »von ganzem Herzen«, »schweren Herzens« – mein Gott, die Merkel ist mit einer Frau befreundet! So was!

Wer es in so einem Klima nach oben schafft, tut dies gegen die Männer und oft genug auch gegen die Frauen. Die amerikanische feministische Psychologin Phyllis Chesler veröffentlichte vor einigen Jahren die Studie Woman’s Inhumanity to Woman, in der sie Belege dafür sammelte, dass Frauen nicht selten die schlimmsten Feinde der Frauen sind. Dabei ging es ihr nicht einmal um die offensichtlichsten Grausamkeiten, die Frauen einander weltweit antun – Klitorisbeschneidung und Ermordung von Töchtern sind oft Frauensache –, sondern um die sorgsam verborgene Aggressivität und blanke Voreingenommenheit, die Frauen anderen Frauen gegenüber haben.


Schwierig wird es immer dann, wenn sich Lebenssituationen ändern.

Blindes Verstehen, unverbrüchliches Wir-Gefühl: leider oft nur in der Fiktion, wie hier in der US-Serie »Girls«.

Chesler zitiert eine Studie mit 15 000 Beteiligten in 19 Ländern, der zufolge Frauen erstaunlich sexistisch sind. Sie finden Frauen weniger glaubwürdig und weniger respekteinflößend als Männer, sind schneller bereit, das Schlimmste von ihnen zu denken, und haben ein tief verwurzeltes Grundmisstrauen gegenüber anderen Frauen. 2011 stellte die Gesellschaft für Konsumforschung in Deutschland die Frage: »Wen hätten Sie lieber als Chef: einen Mann? Eine Frau? Oder ist es Ihnen egal?« 41 Prozent der Befragten bevorzugten einen männlichen Chef, zehn Prozent einen weiblichen, der Hälfte war es egal. Egal – und das ist das Verblüffendste – war auch, ob man Männer oder Frauen befragte: Die Zahlen unterschieden sich kaum.

Was ist da los? Woher kommt dieses Misstrauen gegen Frauen? Die Münchner Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken (Die deutsche Mutter) erklärt es so: »Ich glaube, Frauen sehen sich oft automatisch mit den Augen der Männer – also mit den Augen der Gruppe, die die Macht innerhalb einer Gesellschaft hat. Es ist eine Art Selbstentmachtung, wenn man diese Sichtweise auf das eigene Geschlecht übernimmt.« Psychologen zitieren gern das Krebskorb-Prinzip: Immer wenn eine sich am Rand des Korbs emporgehangelt hat, wird sie von den anderen wieder zurückgezogen. Jeder Ausbruchsversuch verletzt das Diktat der Gleichheit.

Aber wie entsteht dieses Diktat? Phyllis Chesler verweist auf die wenigen, inzwischen schon etwas angestaubten Studien, die sich mit dem Thema Frauenfreundschaften beschäftigen. Frauenfreundschaften seien einerseits mythisch überhöht als größte Form von Nähe und rückhaltloser Innigkeit, andererseits Konstrukte von hoher Fragilität. Denn sie würden nur so lange funktionieren, wie das »Geht mir genauso«-Mantra gebetet werde: Freundinnen haben gefälligst allzeit Verständnis, Bestätigung und Trost zu liefern. Die britischen Psychologinnen Susie Orbach und Luise Eichenbaum analysierten bei vielen Frauenfreundschaften eine Neigung zum Klagebündnis, das im gemeinsamen Lamentieren stecken bleibt und dadurch die Verhältnisse eher noch zementiert.

Schwierig wird es immer dann, wenn sich Lebenssituationen ändern. Frauenfreundschaften beruhen so sehr auf dem Diktat der Harmonie, dass jedes Abweichen sofort als Verrat interpretiert wird. Der kleinste Haarriss wird zum Canyon, eine Schwangerschaft oder ein beruflicher Aufstieg können Freundschaften zum Einsturz bringen: Veränderung ist Vertragsbruch, Unterschiede werden nicht ausgehalten. Und man sucht sich neue Freundinnen, die in ähnlichen Lebensumständen stecken und die Verständnismaschine wieder neu befeuern.

Der weltweite Erfolg von Sex and the City und neuerdings der hochgelobten HBO-Serie Girls hat mit genau dieser unerfüllbaren Sehnsucht zu tun: Teil einer fest verschmolzenen Frauenbande zu sein. Dass so unterschiedliche Charaktere wie die männerfressende Samantha (eine Frauenfantasie des überwiegend schwulen Drehbuchschreiber-Teams von Sex and the City) und das Gänseblümchen Charlotte es im wahren Leben kaum länger als einen Weiberabend miteinander ausgehalten hätten, wird da gern ignoriert. Dass die Freundinnen sofort auf die Ersatzbank geschickt werden, sobald irgendein Mr. Big das Spielfeld betritt, ebenfalls.

Fatalerweise haben die meisten Frauen, was ihr Verhältnis zu anderen Frauen betrifft, die Pubertät nie hinter sich gelassen, so Phyllis Chesler. »Das Bedürfnis nach weiblicher Nähe gepaart mit der Angst vor weiblichem Verrat könnte erklären, warum so viele erwachsene Frauen sich so ›mädchenhaft‹ im Umgang mit anderen Frauen verhalten: Sie wagen es nicht zu widersprechen, sie wagen es nicht, eine Freundin mit unangenehmen Wahrheiten zu konfrontieren. Sie können nicht sagen: Ich beneide dich, ich fühle mich bedroht von dir, ich teile deine Meinung nicht.«

All das führt dazu, dass Frauenbeziehungen oft auf einem Meer von hohen Ansprüchen und unausgesprochenen Zwistigkeiten dahindümpeln, im Berufsleben zusätzlich genährt von Neid und Konkurrenzdenken, das die weibliche Selbstzensur als inakzeptabel wegdrückt. Diese diffuse Gemengelage macht eine Aussprache nahezu unmöglich. Offene Aggression ist bei Frauen immer noch tabu, aber »fast alle Frauen haben ein Repertoire von Techniken, mit denen sie andere Frauen schwächen«, wie Phyllis Chesler sagt: Kommunikationsverweigerung, Sticheleien, Isolierung. Frauen wählen gern Methoden, die es möglich machen, jederzeit alles abzustreiten – rückstandslose Gifte, so fein dosiert, dass nachträglich alles als ein Missverständnis oder eine Überempfindlichkeit hingestellt werden kann.

Was also tun? Wie kann man wieder ins Gespräch kommen, also das tun, was Frauen angeblich so gut können? Denn worin die wenigen Forscher, die das Thema Freundschaft ernst nehmen, übereinstimmen: Wir brauchen Frauen, um die Welt zu verstehen. Um Anschauungen zu vergleichen, Erfahrungen auszutauschen, Gefühle zu überprüfen, Pläne zu formulieren. Was kann ich, was will ich? Das finde ich erst heraus, wenn ich es in Gesprächen mit anderen Frauen auslote: Wir reden, also bin ich.

Dieses Reden müsste allerdings ein anderes werden: erwartungsfreier, interessierter, weniger verständnisheischend. Von Männern kann man sich abschauen, wie man Konflikte austrägt und einander trotzdem gewogen bleibt – und wie man die verschiedenen Grade der Verbindlichkeit besser auseinanderhält. Sie wissen, dass es Männer gibt, die einen nachts um vier aus einer Bar in Rotterdam abholen würden, und welche, die bestenfalls zu Zweckbündnissen taugen. Sie wissen auch, dass eine andere Meinung eher ein Grund mehr ist, mit dem anderen zu reden, nicht einiger weniger.

Phyllis Chesler wäre schon mit einem »realistischeren Umgang« von Frauen mit Frauen zufrieden: nicht so hohe Erwartungen aneinander, die nur enttäuscht werden können, Solidarität trotz unterschiedlicher Meinungen, Meinungsverschiedenheiten nicht so persönlich nehmen und nicht so nachtragend sein. Eine Freundin, die sich benimmt wie eine blöde Kuh, muss man zwar einfach eine blöde Kuh nennen. Aber ins Gesicht. In aller Freundschaft. Und dann die Hand drauf.

Fotos: HBO