Guter Stoff

John Travoltas weißer Anzug, Liz Taylors Unterwäsche: Das Kino hat immer wieder Modegeschichte geschrieben - und die Mode Filmgeschichte. Analyse einer stilvollen, aber erstaunlich komplizierten Beziehung.

Szene: ein Raum, verschattet, düster. Das Licht einer Straßenlaterne scheint durch die Schlitze einer Jalousie, wirft einen Schatten auf den Boden. Ein Deckenventilator dreht sich müde. In der Tür steht eine Frau, rauchend. So begann die Schau der Herbst/Winter-Damenkollektion von Prada. Wie ein Film noir, mit Models und Looks, die alle auch David Lynchs Mulholland Drive entsprungen sein könnten. »Man kann mit Stoffen tatsächlich Filme drehen«, sagt Miuccia Prada. Und sie ist nicht die erste Designerin, die sich auf die symbiotische Verbindung von Mode und Film beruft. Alexander McQueen ließ sich immer wieder von Hitchcock beeinflussen, Tomas Maier belebt für Bottega Veneta gerade Orson Welles Lady von Shanghai und Dolce & Gabbana arbeiten sich seit Jahren an Luchino Visconti ab.

Der Wettbewerb wird härter, die Krise ist noch nicht vergessen. Gut, wer da eine Geschichte zu erzählen hat auf dem Laufsteg, denn Geschichten können den Unterschied machen, verfangen sich leichter in unserem Bewusstsein. Kein Wunder also, dass das Kino gerade jetzt für die Mode ein schier unerschöpfliches Reservoir der Inspiration ist, eine Bildermaschine und Referenz.

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Tatsächlich müssten Mode und Film ja ein Traumpaar sein, wie es sich nur Hollywood ausdenken kann: Beide vermählen Stil und Inhalt, beide erschaffen Illusionen, beide manipulieren unsere Träume, beide beziehen ihre Kraft aus der Überhöhung von Form und Sexualität – aus all den pikanten Subtexten des Lebens also – und erschaffen daraus eine eigene Welt. Beide sind autobiografisch geprägt – von der seelischen Konstitution des Designers oder Regisseurs (und manchmal auch von ihren Dämonen).

Doch Mode und Film funktionierten auf den ersten Blick als Paar leider gar nicht so gut, wie man meinen sollte. Mag diese Modesaison auch nur so vor starken Filmbildern strotzen – der umgekehrte Weg, also Mode in Kino zu bannen, scheint viel schwerer zu sein. Nehmen wir Robert Altmans absolutes Fiasko Prêt-à-Porter. Hatte er in Nashville und Short Cuts noch bewiesen, wie subtil und liebevoll er diverse Plots verschränken kann, verfehlte die beißende Satire, mit der er die Modewelt zeichnete, ihr Ziel. In seiner oberlehrerhaften Art war der Film ein schlagender Beweis dafür, dass es fast unmöglich ist, einen Film über die Mode zu drehen. Ihr Wesen scheint flüchtig: Je mehr man ihm hinterherläuft, umso schneller löst es sich in Luft auf.

Brigitte Bardot schrieb in … und ewig lockt das Weib (1956) Modegeschichte nicht durch das, was sie anhatte – sondern durch das, was sie nicht anhatte. Der junge Manolo Blahnik, alleine im Kino seines Heimatortes Santa Cruz auf La Palma sitzend, war fasziniert, ja hypnotisiert von dem Nichts ihrer flachen, kleinen Schuhe, die ihm noch später als »das Sinnlichste auf der ganzen Welt« vorkamen. Heute muss Marc Jacobs in einem Interview nur die Worte »Bardot am Strand« sagen, um die Essenz einer ganzen Louis-Vuitton-Kollektion vor Augen zu führen.

Es ist also zunächst einmal wichtig, zwischen einem Modefilm – also einem, dem es um eine zeitlose Reflexion des Themas geht – und einem modischen Film zu unterscheiden, der so im Hier und Jetzt verwurzelt ist, dass er eine filmische Eintagsfliege bleibt. Vielleicht sind deshalb die Modefilme am wirkungsmächtigsten, die sich ihrem Gegenstand unbewusst nähern, indem sie das tun, was Filme am besten können: eine Geschichte erzählen, Charaktere erschaffen und sie in Beziehung zueinander setzen.

Mode bedeutet Stil, Haltung, Selbstdarstellung. Darum ist The Chelsea Girls von Andy Warhol so ein gelungener Modefilm, auch wenn man eigentlich nur drei Stunden lang Menschen beim Reden zusieht. Sein Regisseur hat ein genaues Verständnis von Mode und nimmt sie ernst.

Überhaupt müssen modisch relevante Filme nicht sorgfältig durchstilisiert sein. Es gibt unzählige, in denen es nur ein oder zwei kleine Momente gibt, deren Bilder zu Ikonen wurden: Marilyn Monroe in ihrem weißen Kleid in Das verflixte 7. Jahr, Elizabeth Taylor in ihrem weißen Unterkleid in Die Katze auf dem heißen Blechdach, John Travolta in seinem weißen Anzug in Saturday Night Fever. Lauter weiß leuchtende Beispiele Konventionen brechender Outfits. Frisuren zählen natürlich auch: der Bob von Louise Brooks in den Zwanzigerjahren und der Bubikopf von Jean Seberg in Außer Atem oder Mia Farrow in Rosemaries Baby.

Alles ganz schön lange her. Die Beziehung zwischen Mode und Film scheint früher deutlich leidenschaftlicher gewesen zu sein. Im selben Maß, wie die Charaktere moderner Hightech-Blockbuster an Bedeutung verlieren, scheint auch immer unwichtiger zu werden, was diese Charaktere tragen. Eine Ausnahme ist Matrix, einer der wenigen Filme, dessen Darstellung von Technik ihn zu einem Modefilm macht. Zumindest für John Galliano, der danach einen ganz neuen, düsteren Weg einschlug bei Christian Dior.

Dem Fernsehen ist zu verdanken, dass die Modewelt in den vergangenen Jahren eine eigene Sparte der Unterhaltungsbranche geworden ist: Designer und Supermodels spielen plötzlich ähnliche Rollen wie die Regisseure und Filmstars von Hollywood. Das letzte Mal, dass Mode so medienwirksam wurde, war im Swinging London der Sechzigerjahre, als sich rund um Twiggy und Mary Quant ein Lebensgefühl ausbreitete, das die Vogue seinerzeit als »Youthquake«, als Jugend-Erdbeben, bezeichnete. Alles, was die Filmindustrie damals tun musste, um sich einen Platz in der Modegeschichte zu sichern, war, diesen Moment festzuhalten. Kein Zufall also, dass in der Rückschau die Sechzigerjahre wie ein Goldenes Zeitalter des Modefilms wirken.

Das Zauberwort heißt: Abstand.

In ihnen offenbart sich eine gegenseitige Faszination, eine ganz neue Intimität in der Beziehung zwischen Mode und Kino. Michelangelo Antonionis Blow Up (1966) legte nicht nur ein Fundament für den langlebigen Mythos des Swinging London mit seinen wilden Partys, den minirocktragenden Girls und einem neuen radikalen Popsound, sondern bescherte uns durch David Hemmings’ Darstellung von David Bailey auch den Archetypen des Modefotografen. Der echte David Bailey bestand zur selben Zeit darauf, dass seine damalige Ehefrau Catherine Deneuve nur Yves Saint Laurent trug, den er für »das Beste seit Balenciaga und Chanel« hielt. So kam es, dass Yves Saint Laurent die Kleider für Catherine Deneuve in Luis Buñuels Belle de Jour (1967) entwarf – was den Film zum modisch einflussreichsten Werk der Kinogeschichte machte. (Fragen Sie nur Tom Ford, Marc Jacobs, Alber Elbaz oder Miuccia Prada, die sich bei diesem Film immer wieder bedienen.) In Belle de Jour geht es um Sex, um Bondage, Dominanz und Unterwerfung, und es ist verlockend, ihn als Metapher für das Verhältnis zwischen Designer und Kunden zu sehen. Kleine Andeutungen, die große Modemomente erschaffen.

Das Zauberwort heißt: Abstand. Vielleicht ist es noch zu früh, um einzuschätzen, welchen dauerhaften Einfluss Baz Luhrmanns Der große Gatsby haben wird, den Miuccia Prada modisch und Jay-Z musikalisch ausgestattet hat. Und vielleicht wird aus dem Film, der den Wahnsinn des Jazz Age mit dem Exzess unserer Gegenwart kurzschließt, sogar ein Klassiker. Noch wirkt der Film wie gelähmt von seiner Selbstreflexion, wie besessen davon, ein Meisterwerk zu sein.

Wie wichtig zeitlicher Abstand ist, beweist der nicht so bekannte Film Performance (1970) von Nicolas Roeg und Donald Cammell, die vielleicht perfekte Verbindung aus Mode und Film überhaupt. Er ist eine auf Zelluloid gebannte Umkleidekabine, bei der die Identitäten so schnell wechseln wie die Outfits. Performance spiegelt eine Gesellschaft, die sich unter dem Einfluss von Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll gewaltig verändert. Mode – von den scharf geschnittenen Anzügen der Londoner Savile Row bis zum Secondhand-Chic der Portobello Road – dient dabei als Metapher für diese Veränderung. Der Film ist extrem in seiner Zeit verhaftet – Mick Jagger spielt den zurückgezogenen Star, Anita Pallenberg dessen Begleiterin –, steht heute aber komplett zeitlos da. Als er in die Kinos kam, wurde er verrissen. Ein Kritiker des Time Magazine nannte ihn »ekelhaft, absolut wertlos«. Es war einfach zu früh, um zu erkennen, wie akkurat der Film nicht nur seine Gegenwart, sondern auch das Erbe der Sixties einfing und vorwegnahm, wie genau jenes Erbe dann umgedreht, untergraben, ja pervertiert wurde. Die Mischung aus Stil und Inhalt in Performance war revolutionär – und wie bei fast allen Revolutionen dauerte es eine Zeit, bis sie sich durchsetzte.

Was uns zurückbringt zu den Schwierigkeiten, mit denen Der große Gatsby zu kämpfen hat: Die besten Filme haben ihren modischen Einfluss en passant ausgeübt. Sie wurden von Regisseuren und Kostümbildnern gemacht, von Stylisten aus dem Filmstudio – nicht aus einem Modeatelier heraus ausgestattet. Modedesigner haben sich in der Filmbranche seit je schwergetan. Coco Chanels Entwürfe waren Gloria Swanson zu brav. Die Modeschöpferin Elsa Schiaparelli hatte ebenso wie der Designer Christian Dior kein rechtes Glück in Hollywood. Auch heutzutage hat sich daran nicht viel geändert.

Zwar hat Raf Simons Tilda Swinton in Ich bin die Liebe eingekleidet und Giorgio Armani Jodie Foster in Elysium, dem Science-Fiction-Spektakel dieses Sommers. Die Frage aber ist, warum die visuell stärksten Modemacher – also Dolce & Gabbana, Gianni Versace in seiner Blütezeit oder John Galliano (der sogar Madonna einen Korb gab, als er sie für Evita einkleiden sollte) – sich nie ins Filmgeschäft vorgewagt haben. So richtig von A bis Z, nicht nur dadurch, dass sie ein paar Kleider an ein Filmset schicken. Liegt es daran, dass das Kino an kultureller Bedeutung verloren hat, dass es als Werbeträger nicht mehr so recht zieht? Oder daran, dass ihr Stil eher theatralisch als filmisch ist, eher große Geste als subtile Andeutung? Oder ist es vielleicht einfach eine Frage der Eitelkeit?

Jean Paul Gaultier hat spektakuläre Kostüme für Filme von Peter Greenaway, Luc Besson und Pedro Almódovar entworfen – im Rampenlicht standen stets die anderen. Die Kostümbildnerin Edith Head mag mit den Hitchcock-Blondinen einen eindrucksvollen und bleibenden Fetisch der Filmgeschichte erfunden haben – aber bekannt sind diese eben als Hitchcock-Blondinen. Es fallen einem nicht viele große Namen aus der Modewelt ein, die bereit wären, ihr Ego dieser Form der Übernahme unterzuordnen.

Kommen wir also zu Tom Ford und seinem Regiedebüt A Single Man (2009). Dem Designer war klar, dass sein erwiesenes Talent, modische Scheinwelten zu erschaffen, automatisch in den Verdacht münden würde, er sei gar nicht in der Lage, einen Film von Substanz zu drehen. Man merkt dem Film an, dass Ford viel Freude und Sorgfalt für die Oberfläche seines Films aufgewendet hat. Aber die Bilder (ebenso wie der sensationelle Soundtrack) sind nur so schön, um den emotionalen Kern des Films noch schöner glänzen zu lassen. Ja, alles sah großartig aus, aber am Ende ist A Single Man vor allem für seine Tiefe und seine berührende Geschichte vom schwulen Collegeprofessor, der nicht über den Tod seines Freundes hinwegkommt, in Erinnerung geblieben – nicht für seinen Look. Es war eine wahre Freude anzusehen, wie der Film all jene Menschen Lügen strafte, die glaubten, der wohl einflussreichste Modeschöpfer der vergangenen zwei Jahrzehnte würde nur ein paar Modestrecken abdrehen.

Man kann sie sogar verstehen, die Unkenrufer – denn Ford war der Erste, dem etwas Außergewöhnliches gelungen war. Vor A Single Man war die Vorstellung, dass ein Designer auf dem Regiestuhl sitzt, ebenso undenkbar wie die eines Regisseurs an der Nähmaschine. Der Film war das perfekte Beispiel, wie Mode einen Film durchdringen und auf eine neue Ebene heben kann: Er ist ein Fest für die Augen und er bricht einem das Herz. Was kann man von einem Film mehr verlangen? Mode und Film – die
beiden sind am Ende eben doch füreinander bestimmt.

Fotos: Jonas Unger c/o brigitaa-horvat.com; mauritius, ddp, sction press, Getty, Collection Christophel

Foto: Jonas Unger