Väterchen Forst

Warum sind Rehe auf der Lichtung kein gutes Zeichen? Und wie lang lebt die Ulme noch? Kurz: Wie gehts unseren Wäldern? Ein Interview mit dem Botanik-Professor Ernst-Detlef Schulze.

Illustration: Anton van Hertbruggen

SZ-Magazin: Herr Schulze, Sie sind, als Forstwirt und Botaniker, ein Kenner des Waldes und seiner Probleme. Wie geht es dem Wald in Deutschland heute?
Ernst-Detlef Schulze: Es geht ihm, verglichen mit den Zeiten des Waldsterbens in den Achtzigern, ausgezeichnet. Die Schwefelablagerungen, die ihm so geschadet haben, sind auf einem Stand wie vor 200 Jahren. Was den Bäumen im Augenblick zugutekommt, sind Stickstoffablagerungen, die sie schneller wachsen lassen. Die Waldschäden waren bedingt durch eine Versäuerung der Böden. Dies hat sich wieder verbessert.

Dank der verminderten Abgase durch den Einbau von Katalysatoren?
Das hat geholfen, ja. Aber die meisten Bäume haben sich den derzeitigen Bedingungen auch weitgehend angepasst.

Woher kommen die Stickstoffablagerungen?
Aus der Luft, von Verkehr und Landwirtschaft. Sie wirken sich positiv auf das Wachstum der Bäume aus, allerdings auch auf das von Brennnessel, Brombeere und Himbeere.

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Beim Spaziergang würde man sich über die Beeren freuen. Was spricht gegen sie?
Wir nennen sie Stickstoffzeigerpflanzen. Und sie machen den Bäumen Konkurrenz. Der Wald erfüllt ja zwei einander widersprechende Bedürfnisse: einmal das der Menschen nach Natur – Spaziergänge, klare Bäche, alte Buchen und Eichen, wilde Beeren. Gleichzeitig ist der Wald für die Forstwirtschaft da – Holz zum Bauen, zum Verbrennen, für Papier. Der Wald ist wie ein Acker, auf dem Holz angebaut wird. Und da versucht man natürlich, rasch ein verkäufliches Produkt zu erzeugen, auch wenn dies Jahrzehnte dauert. Es sind wirtschaftliche Gründe, die zu den vielen Fichtenmonokulturen bei uns führten.

Fichten dienen der Gewinnmaximierung?
Die Fichte wächst schneller als Laubbäume und ist besser zu verarbeiten, daher profitabler. Doch dann stellte sich heraus, dass sie sehr flach wurzelt und beim ersten Sturm abknickt. Jetzt wünscht die Öffentlichkeit sich wieder mehr Laubwälder.

Wobei sowohl die Ulme als auch die Esche Probleme haben, oder?
Ja, und die beobachten wir mit Sorge. Es gibt einige Pflanzenkrankheiten, die sich schnell ausgebreitet haben. Bei der Ulme ist es eine alte Krankheit, die ursprünglich aus Europa kommt: Der Ulmensplintkäfer trägt einen Pilz mit sich, der die wasserleitenden Bahnen der Ulme verstopft. Der Käfer wurde nach Nordamerika verschleppt und dort immer aggressiver. Nun, zurück in Europa, verursacht er hier das Ulmensterben. Die Esche wiederum stirbt an einem Pilz, der von Baumschulen aus Osteuropa eingeschleppt wurde und eigentlich aus Japan kommt. Ihm gefallen die Bedingungen hier wohl sehr gut. Auch er verstopft die wasserleitenden Bahnen, besonders allerdings der jungen Triebe, und schwächt die Esche so sehr, dass sie letztlich abstirbt.

Sind das Folgen der Globalisierung?
Ja, aber die Ausbreitung und Aggressivität dieser neuen Krankheiten könnten auch mit der Erwärmung zusammenhängen. Vielleicht sorgen feuchtere Sommer für eine schnellere Ausbreitung von Pilzen. Die Kastanie steht ja auch am Abgrund, wenn man so will, mit ihrer Miniermotte.

Warum ist Artenreichtum in Wäldern überhaupt so wichtig – abgesehen davon, dass ein bunter Wald schön aussieht?
Es gibt trockene und kalte Jahre, dann wieder feuchte und heiße. Der eine Baum kann besser im trockenen, der andere besser im warmen Jahr wachsen. Die Esche wurzelt tief, und im trockenen Jahr 2003 ging es der Esche prächtig, sie gewann an Höhe gegenüber allen Konkurrenten. Die Vielfalt der Baumarten schützt uns vor den Unsicherheiten der Klimadynamik. Wenn eine Baumart ausfällt, ist nicht der ganze Wald kaputt. Denken Sie nur an die Fichte, der die Schwefelablagerungen nicht bekamen – die Bergkuppen der Mittelgebirge wurden kahl. Hätten wir damals Vogelbeeren plus Fichte plus Bergahorn gehabt, wäre das nicht so dramatisch gewesen, die Öffentlichkeit hätte es vielleicht gar nicht registriert wie jetzt das Eschen- oder Ulmensterben. Der Wald ist nach wie vor grün und wächst. Wenn am Weg ein toter Baum steht, sieht das schön aus und keiner kommt ins Grübeln. Was noch für viele Baumarten im Wald spricht: Jede hat so ihre ganz eigenen Bewohner.

Welche denn?
Der Mittelspecht hat einen sehr zarten Schnabel. Er hackt in die Rinde der Bäume, um deren Saft zu trinken, aber er braucht weiche Borke, zum Beispiel die der Linde. Anderes Beispiel: Die Weide ist ein wichtiger Pollen- und Nektargeber für Schmetterlinge. Für sie ist daher ein weidenreicher Wald ideal. Jede Baumart ist Wirt eines speziellen Schwarms von Organismen: Vögel, Pilze, Flechten, Asseln, Spinnen, Insekten. Wenn wir nur noch alte Buchenwälder schützen, werden wir mit einem Bruchteil dessen enden, was in einen Wald an Flora und Fauna hineingehört.

Was meinen Sie damit: Wenn wir nur noch alte Buchenwälder schützen?
Es ist absurd, dass der Naturschutz schwerpunktmäßig alte Buchenwälder schützen möchte. Aber das wird getan. Ich sehe kommen, dass wir in fünfzig Jahren nur noch Buchen im Wald haben.

Das müssen Sie erklären!
Wenn Rehe im Wald sind, und zwar zu viele Rehe, überlebt nur die Buche. Die Knospen aller anderen Baumarten werden verbissen. Diese Erkenntnisse habe ich übrigens erst gewonnen, seit ich selbst Wald bewirtschafte – obwohl ich mich als Forscher seit Jahrzehnten mit dem Wald befasse. In Deutschland haben wir viel zu viele Rehe und Rotwild in den Wäldern. Wenn Sie auf einem Spaziergang welche am Waldrand sehen, ist das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Wald von Rehen überbevölkert ist.

Werden Rehe nicht ständig geschossen?

Die Jäger möchten, sobald sie auf die Jagd gehen, Wild vor der Flinte haben. Dafür wird viel getan. Die privaten Waldbesitzer, denen etwa die Hälfte des Waldes gehört, sind zum erheblichen Teil leidenschaftliche Jäger. Sie füttern die Rehe und möchten auch ihre einzigen Feinde sein. In Rumänien oder Sibirien, wo es Wölfe und Bären gibt, sieht man nie Rehe auf dem Spaziergang. Dort wachsen junge Eschen nach, Spitzahorn, Feldahorn, die Ulme, Wildapfel, alles.

Wäre ein Wald ohne Rehe die Lösung?
Ich könnte das ertragen. Man kann ja auch was anderes essen. Oder was anderes schießen. In Deutschland ist vor langer Zeit ja zusätzlich das Damwild eingeführt worden. Und Muffelwild, das gar nicht in den deutschen Wald gehört, es ist ein wildes Schaf aus Korsika. Auch die bedrohen die Verjüngung unseres Waldes.

Was ist mit den Wildschweinen? Fressen die nicht auch die Bäume ab und beschädigen die Rinde der Stämme?
Wildschweine machen wenig kaputt, dafür graben sie alles um, sodass der Mineralboden an die Oberfläche kommt und die Etablierung von Baumarten fördert. Wildschweine finde ich prima im Wald. Aber ohne Zäune nützt das alles nicht.

Was bringen Zäune?
Ich besitze ein paar Hektar Wald in Thüringen, und ich bewirtschafte ihn. Ich habe mir so eine Art Vorführwald dort angelegt, der zeigen soll: Wie verjünge ich einen artenreichen Wald? Also – wie kriege ich möglichst viele junge Bäume verschiedener Sorten zum Wachsen?

Und wie?
Durchforsten und Zaun drum.

Durchforsten?
Man lässt die vielversprechenden Bäume stehen und fällt die schwachen. Mein Wald ist in zwei Teile geteilt, ein Teil ist gezäunt, der andere nicht. In dem umzäunten Teil befindet sich kein einziges Reh. Da hab ich jetzt auf tausend Quadratmetern 15 Baumarten. Sogar welche, die nicht in den Laubwald gehören, eine Fichte, eine Lärche, eine Kiefer. Es gibt Wildapfel und Wildbirne. Die Versuchsanstalt kommt, um sich Saatgut vom Wildapfel zu holen. Und überall wächst Ahorn nach, so viel, dass ein Ahornwald entstehen würde, kein Buchenwald. Und die Ulme wächst, doppelt so schnell wie die Buche.

Aber die Ulme wird sterben.
Sie kann vierzig Jahre alt werden. Ich brauche ja auch Bäume, die absterben. Ich lasse einige davon da, im stehenden Totholz leben Fledermäuse, der Specht nistet in den Höhlen.

»Die schönsten Hölzer gehen bei uns direkt ins Brennholz.«

Ernst-Detlef schulze wurde 1997 als Gründungsdirektor ans Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena berufen. Vorher leitete der Forstwirt und Botaniker 20 Jahre lang den Lehrstuhl für Pflanzenökologie der Universität Bayreuth und befasste sich mit den Waldschäden in Deutschland. Professor Schulze, 72, bewirtschaftet eigene Wälder in Thüringen und Rumänien. Ernst-Detlef schulze wurde 1997 als Gründungsdirektor ans Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena berufen. Vorher leitete der Forstwirt und Botaniker 20 Jahre lang den Lehrstuhl für Pflanzenökologie der Universität Bayreuth und befasste sich mit den Waldschäden in Deutschland. Professor Schulze, 72, bewirtschaftet eigene Wälder in Thüringen und Rumänien. (Foto:dpa)

Was ist mit dem zweiten Teil Ihres Waldes?
Durch den springen die Rehe. Das Ergebnis: Es wächst nur Buche nach. Alles andere ist auf Kniehöhe verbissen.

Mögen Rehe keine Buchenknospen?
Doch, aber sie sind faul, und die Buche treibt nach allen Seiten aus. Wenn sie außen ein paar Knospen abgebissen haben, machen die Rehe sich nicht die Mühe, den Kopf bis zur Mitte und zum Leittrieb auszustrecken. Die Buche wächst weiter, doch die anderen Bäume, die nicht so reich verzweigt sind, verlieren ihren Wipfeltrieb.

Was ist mit der Eiche?
Die Eiche ist empfindlich. Die Eichen, die eine Chance haben, sind sogenannte Kernwüchse. Das sind Bäume, die aus dem Samen gezogen sind, im Unterschied zum Baum, der aus dem Stumpf eines gefällten Baumes wächst. Wir glauben, dass man Eichen auch früher als Heister, als mannshohe Bäume, in den Wald gepflanzt und geschützt hat, also eingezäunt hat.

Welcher Baum ist derzeit der beliebteste?
Ich glaube, die Buche. Aber jeder Baum, den die Menschen in der Vergangenheit gepflegt haben, erfüllte seinen Zweck wegen seiner Holzeigenschaften. Ein Rechen zum Beispiel wurde früher aus drei Baumarten hergestellt: Der Stiel kam von der Esche, weil das Holz zäh ist, aber nicht zu glatt und sich sogar etwas biegt. Der Querbalken war aus Birkenholz, die Zinken aus der Haselnuss. Oder die Hainbuche: Sie gehörte in jeden Wald, weil ihr Holz so fest ist, perfekt für die Griffe von Beilen und Äxten. Später hat man die Stiele oft aus Esche gemacht, aber die splittern bei schwerer Beanspruchung. Und unter den hohen Bäumen wuchsen Sträucher, Haselnuss, Weißdorn. Mit deren Holz heizte man und buk vor allem das Brot, denn es heizt stärker als das Scheitholz der Bäume. So entstand die schöne Brotkruste.

Was macht man heute mit den Sträuchern?
Man nutzt sie kaum noch, sie verursachen zu viel Arbeit für zu wenig Ertrag. Was einfach so wächst, kommt in das Bioenergieholz. Wofür man heute auch kaum noch Verwendung hat, sind krumm gewachsene Bäume. Früher brauchte man sie für bestimmte Knubbel oder Bögen im Fachwerk oder beim Schiffsbau.

Warum wachsen manche Bäume so schön gerade hinauf und andere kreuz und quer?
Die krummen Bäume kommen aus den Trieben, die ein Baum bildet, der gefällt wurde. Das kennen Sie: ein Baumstumpf, leicht vermoost, drum herum lauter krumme Bäume derselben Art, im Pulk. Wir nennen sie Stockausschläge. Sie sind nicht so standfest wie die Kernwüchse. Ein perfekter Kernwuchs kann ein Z-Baum werden: ein Zukunftsbaum. Wenn sein unteres Stammstück besonders gut geformt ist, stark, gerade, glatt.

Was wird aus einem Z-Baum?
Im besten Fall ein Furnierstamm. Aus ihm werden millimeterdicke Schichten geschnitten, die auf leichtes, unscheinbares Holz geklebt werden.

Wie alt ist ein Z-Baum im Durchschnitt und was ist er wert?
Eine Eiche ist 150 bis 200 Jahre alt und kann pro Kubikmeter 5000 bis 6000 Euro bringen. Kürzlich wurde ein Ahorn für 15 000 Euro pro Kubikmeter verkauft. Und eine Elsbeere aus Jena für 25 000 Euro der Kubikmeter, das war der teuerste Stamm, von dem ich je gehört habe. Denn die teuren Porsche-Fahrzeuge haben vorn ein Dashboard aus Holz, und die Färbung der Elsbeere hatte es den Autodesignern angetan. Vogelaugenahorn sieht man auch viel bei Autoarmaturen. Und Rokokomöbeln. Das Holz ist durch Wachstumsstörungen in seiner Struktur verändert, aber besonders dekorativ.

Was wird aus schönen Bäumen, die es nicht ganz in die Z-Kategorie schaffen?
Parkett. 65 Euro der Kubikmeter, also viel weniger. Fast so viel kostet im Augenblick Scheitholz zum Verbrennen, das zahlen auch die Bioenergieanlagen für unscheinbares Holz. Die Nachfrage an Holz für Bioenergie steigt gerade gewaltig. Auch ein Grund zur Sorge: die Lustbrenner.

Die Lustbrenner?
Die Leute, die sich Schwedenöfen und offene Kamine kaufen, weil sie nachhaltig heizen möchten und Feuer im Ofen so schön finden. Der Holzverbrauch auf dem Brennholzsektor ist unglaublich gestiegen, und das liegt tatsächlich am Bedarf der Privathaushalte: 35 bis vierzig Millionen Festmeter in Deutschland, bei einem Gesamteinschlag von fünfzig oder sechzig Millionen Festmetern. Der Verbrauch von Brennholz für private Haushalte geht weit über unsere Möglichkeiten hinaus, das bereitzustellen. Darum importiert Deutschland so viele Pellets und Scheitholz aus den USA, Kanada, Russland und anderen osteuropäischen Ländern.

Produziert Deutschland nicht auch sehr viel Papier? Woher kommt das Holz dafür?
Wir sind Großmeister im Erzeugen und Exportieren von Papier. Papier ist wichtig, um schwaches und faules Holz zu verarbeiten. Jetzt allerdings steht die Papierindustrie in Konkurrenz zur Brennholzindustrie.

Kommt das Holz, das wir zu Papier verarbeiten, aus unseren Wäldern?
Nur ein Teil. Der größte Teil kommt aus Osteuropa. Wir versorgen allerdings Osteuropa und auch den Rest der Welt mit Papier, da ist die Handelsbilanz fast ausgeglichen. Nicht eingerechnet ist nur, dass wir die Energie verbrauchen, die zur Papierherstellung notwendig ist, und die Umwelt mit den Emissionen belasten, die dabei entstehen.

Bedroht unser Papierbedarf den Wald?
Die Hoffnung war, dass der Papierbedarf mit den Computern sinkt, aber er ist gestiegen, weil wir alles ausdrucken. Vielleicht ändert sich das mit der nächsten Generation. Was sich kaum ändern wird: der Verbrauch von sanitärem Papier. Papiertaschentücher – ein reines Zellulose-Produkt, das nach einmaliger Benutzung weggeworfen wird. Sie verrotten sehr schlecht, wenn sie nicht eingegraben werden. Sie bleiben vermutlich drei Jahre im Wald liegen. Unsere Wanderwege sind gesäumt von Papier-taschentüchern. Und für die Produktion von Zellstoff braucht man viel Holz.

Verbraucher wollen auf keinen Fall Tropenholz kaufen, weil sie den Regenwald nicht gefährden möchten. Zu Recht?
Ich habe in meinem Institut eine Ausstellung von deutschen Hölzern, die genauso bunt sind wie Tropenhölzer, wir nutzen sie nur nicht. Die schönsten Hölzer gehen bei uns direkt ins Brennholz. Um eine Zwetschge zu bekommen, müssen sie schneller sein als die Motorsäge des Nachbarn, dabei ist das Holz wunderschön. Wir gehen liederlich um mit dem, was wir haben. Aber der wilde Einschlag von Tropenholz ist heute nicht mehr ökonomisch. Wenn wir Teak einkaufen, dann stammt das wohl von einer Teakplantage in Sri Lanka. Wenn wir Elefanten aus Ebenholz aus Ägypten oder Kenia mitbringen, ist das oft eingefärbte deutsche Buche.

Das klingt wie ausgedacht.
Ist es nicht. Ein großer Teil unserer Buche wird in subtropische Länder exportiert, dort zu Souvenirs geschnitzt und dunkel gebeizt. Die Buche lässt sich sehr gut so färben, dass sie wie Tropenholz aussieht, weil ihr Holz so dicht und gleichmäßig ist. Also: Der Verlust von tropischen Wäldern ist nicht bedingt durch den Bedarf an Teakholztischen, die man ja auch vielleicht noch dreimal vererbt. Er ist überhaupt nicht bedingt durch die Abholzung des Waldes, sondern durch seine Umwandlung in Weideland oder landwirtschaftliche Anbauflächen, um den Bedarf der Menschen an Fleisch zu decken. Es geht um die Steaks auf unserem Teller.

Sind Kahlschläge gar nicht so schlimm?
Kahlschläge können sogar wohltuend sein, weil sie Öffnungen bieten fürs Wild und die Insekten. Für diejenigen Organismen, die Licht am Boden brauchen. Wenn ich permanent eine dunkle Waldbedeckung habe, habe ich nur noch Arten, die Schatten vertragen, und das ist nur ein kleiner Teil dessen, was unsere europäische Waldflora ausmacht.

Gerade wurden die Waldbestände weltweit wieder kartiert, man hat festgestellt, dass sie dramatisch zurückgehen und daran auch große Kahlschläge schuld sind.
Wenn die betriebsbedingten Kahlschläge als Entwaldung kartiert werden, ist das irreführend. Denn der Kahlschlag ist in vielen Ländern ein Teil der Waldbewirtschaftung, Teil der Ernte, er gehört zum Lebenslauf eines Wirtschaftswalds. Und auch ein Naturwald bricht irgendwann zusammen, dann ist im Luftbild kein Wald zu sehen, sondern nur junge Bäumchen. Nach internationalen Definitionen bedeutet Entwaldung, dass der Wald in eine andere Nutzungsform umgewandelt wird. Wenn in Kanada Bergbau entsteht oder in den Tropen Soja für die Kühe angebaut wird.

Seit wann gibt es bei uns eigentlich keinen Natur- beziehungsweise Urwald mehr?
Das ist umstritten. Die Vegetationskundler haben eine Sequenz von Waldtypen nach der Eiszeit klassifiziert: Da gab es den Edellaubholz-Ulmenwald, dann den Eichen-Hainbuchenwald und schließlich den Buchenwald. Wir haben den Eindruck, dass der Mensch an dem Vegetationswandel beteiligt war. Am Ende der Edellaubholz-Ulmenzeit ist er mit Herden durch Mitteleuropa gezogen und hat freie Flächen geschaffen. Die Eiche und die Hainbuche taten dieser offenen Waldlandschaft gut und wurden dominant, das war etwa 4000 vor Christus. Etwa 2000 vor Christus kam die Verbreitung der Buche, die wohl in Verbindung mit dem sesshaft werdenden Menschen steht.

Wann war denn der deutsche Wald am artenreichsten?
Der Wald wurde nach beiden Weltkriegen besonders artenreich, weil die Wildbestände durch Wilderei und Hunger stark zurückgingen. Oder zur Zeit der deutschen Revolution 1848: Die Bauern bekamen ihr eigenes Land und das Jagdrecht und praktizierten das auch sehr fleißig. Aus der Zeit stammen die artenreichsten Wälder in Thüringen. Wann immer der Wildbestand niedrig ist, wird der Wald artenreicher. Und umgekehrt.

Illustration: Anton van Hertbruggen