Peter Sodann

Sein Vater war Kommunist, darauf war Sodann immer stolz. Noch heute ist der Schauspieler, 77, bekannt als Leipziger »Tatort«-Kommissar, überzeugter Sozialist.


SZ-Magazin: Herr Sodann, Sie besitzen vier bis fünf Millionen Bücher. Was, um Gottes willen, haben Sie mit denen vor?

Peter Sodann: Ich sammle und katalogisiere sie. Hier in meiner Sammlung in Staucha sind nur etwa eine Million Bücher, in einer Halle in der Nähe liegen die restlichen drei bis vier Millionen. Ich rufe die Leute auf, ihre Bücher nicht wegzuwerfen, sondern zu mir zu bringen. Sicher sind viele doppelt und dreifach dabei.

Sammeln Sie alle Bücher, egal welche?
Alle, die zwischen 1945 und 1989 in der DDR erschienen sind. Nach dem Mauerfall wurden tonnenweise Bücher von DDR-Verlagen entsorgt. Keiner wollte die mehr. Aber ich lass mir doch meine Vergangenheit nicht nehmen! Meine Bibliothek der DDR-Bücher steht allen offen. Und an der Stelle muss ich laut sagen: Ohne Spenden läuft leider gar nichts.

Verstanden. Woher kommt Ihre Liebe zu Büchern?
Das hängt mit meinem Vater zusammen. Der hat mir das Lesen beigebracht, noch bevor ich in die Schule kam und er eingezogen wurde in den Krieg. Ich hab alles gelesen: Deutsche Heldensagen, Karl May, Robinson Crusoe. Aber mein Lieblingsbuch hieß: Steppke zieht in die Welt und handelt von einem Waisenjungen, der nach vielen Umwegen Eltern findet, die ihn aufnehmen. Ich hab es bestimmt 50-mal gelesen – und 50-mal geweint. Mein Vater war Proletarier und nach gängigen Maßstäben nicht gebildet. Aber wir hatten Bücher, aneinandergereiht ergaben die so einen Meter zwanzig. Ich hab die alle noch. Das war für die Verhältnisse, in denen ich groß geworden bin, ungeheuer viel.

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Welche Verhältnisse waren das?
Meine Mutter war Landarbeiterin beim Bauern Marx, mein Vater Stanzer bei den Siemens-Schuckert-Werken in Sörnewitz, nicht weit von Meißen. Meine Eltern wohnten in einer alten Mühle in der Kelleretage, als ich 1936 geboren wurde. Später sind wir zu meinem Onkel in die Arbeitersiedlung der Siemens-Schuckert-Werke gezogen, Onkel und Tante im Parterre, wir zu dritt im ersten Stock, drei Zimmer, 28 qm. Es konnten sich aber nur wenige Arbeiter die Wohnungen dort leisten, das war mehr was für Angestellte. Neben uns wohnte einer, der bei der NSDAP war. Der durfte natürlich nicht wissen, dass mein Vater in der Kommunistischen Partei war.

Und Sie haben als Kind dicht gehalten?
Das hat man mir ja erst mit acht Jahren erzählt, nach dem Tod meines Vaters.

Ihr Vater starb im Krieg?
Ja. Im Frühjahr 1944, mit 44 Jahren, wurde er eingezogen. Er sagte zum Abschied: »Peter, ich komm schon wieder.« Im August war er tot. Seit diesem Tag war ich der Mann im Haus. Das alles hat mein Leben natürlich stark beeinflusst.

Sind Sie deshalb bis heute ein politischer Mensch?
Ja, war ich schon immer. Dass mein Vater Kommunist war, hat mich stolz gemacht. Seit meiner Kindheit will ich die Welt verbessern, ich versprech’s. Ich bin in die Freie Deutsche Jugend eingetreten und habe dann mit 14 auch im selben Werk, in dem mein Vater gearbeitet hat, eine Lehre zum Werkzeugmacher angefangen. Das war natürlich zwischenzeitlich ein volkseigener Betrieb, die Elektrowärme Sörnewitz.

Im Westen taten uns ja die Menschen leid, die in der DDR leben mussten.
So ein Quatsch. Ich fand schon als Jugendlicher, dass ich im richtigen Teil Deutschlands lebe. Mir hat nicht alles gefallen, wirklich nicht. Aber ich hatte immer Zukunftsgedanken mit diesem Land.

Ab welchem Zeitpunkt wollten Sie Schauspieler werden?
Schon in meinem ersten Zeugnis stand: »Peter macht gern Faxen«, außerdem hatte ich eine große Schnauze, weil ich immer der Kleinste war. Ursprünglich wollte ich Clown werden, aber weil mir niemand sagen konnte, wie man das wird, dachte ich, Tischler wäre gut. Nur war ich zu klein dafür, ich hätte meine Arme über dem Kopf halten müssen, um hobeln zu können. Und als dann die Frage kam, ob ich nicht Werkzeugmacher lernen will, hab ich mir gedacht: »Hast ja eigentlich och noch nich gemacht, kannste ja mal machen.« Und dieser Satz wurde einer der Leitsätze, die mich mein Leben über begleitet haben.

Haben Sie sich deshalb 2008 für Die Linke als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten aufstellen lassen?
Ja. Bundespräsident hast ja eigentlich och noch nich gemacht, hab ich mir gedacht, kannste ja mal machen. Ich bin’s ja nun nicht geworden. Horst Köhler hat mir nach der Wahl eine Audienz gewährt, da sagte er, er sei ein bisschen sauer auf mich. Ich weiß schon warum. Weil ich in Reden manchmal gesagt habe: Köhler ist die Steigerungsform von Kohl. Am Ende hatte ich recht. Kohl, Köhler, am Verkohlsten?

Jetzt bitte noch mal einen Sprung zurück: Sie sind 14, lernen Werkzeugmacher. Wie ging es dann weiter, bis Sie Schauspieler wurden?
Mit sechzehn einhalb wurde ich Geselle, mit 18 zog ich von zu Hause aus, weil ich auf der Arbeiter- und Bauernfakultät in Dresden das Abitur nachgemacht habe. Anschließend habe ich auf der Theaterhochschule In Leipzig aus Schiller Die Räuber vorgesprochen und wurde mit »völlig unbegabt« bewertet. Daraufhin habe ich vier Semester Jura studiert. Der Professor meinte aber, mein Schauspieltalent erkannt zu haben und schickte mich wieder zur Theaterhochschule. Mit Umwegen, die jetzt zu weit führen würden, hat es beim zweiten Mal geklappt.

Warum sind Sie in die SED eingetreten?
Weil ich den Sozialismus aufbauen wollte. Will ich nach wie vor. Auch wenn ich die DDR nicht wiederhaben möchte. Verstehen Sie mich nicht falsch. Als ich in die Partei eintreten wollte, bin ich zum Pfarrer Leuner gegangen, dem gleichen, der meiner Mutter und mir die Todesnachricht von meinem Vater überbracht hatte. Ich war getauft und konfirmiert. Ich sagte zum Pfarrer: Ich trete in die Partei ein und aus der Kirche aus. Aber ich bin bis heute ein betender Kommunist.

Wie geht das zusammen?
Ich bin nicht der Christ, der betet: »Lieber Gott, mach mich fromm.« Ich habe mich gefragt, woher die schwarzen Löcher in der Materie kommen? Vom Urknall müssen sie uns nichts erzählen, von nichts kommt nichts.

Das wussten Sie als Marxist?
Eben. Wenn wir die schwarzen Löcher und den Urknall nicht verstehen, dann kann ich auch gleich an den lieben Gott glauben. Wenn es ihn gegeben hat, dann hat er uns mit der Erde ein Riesengeschenk gemacht – allerdings nicht ganz durchgearbeitet, denn wir müssen sterben. Das ist das Doofe auf der Erde. Deshalb liegt immer eine kleine Traurigkeit über ihr.

Aber Sie wurden nicht wegen Ihres Glaubens, sondern wegen der Politik 1961 aus der Partei ausgeschlossen?

Ein Genosse darf nicht vor dem Richter stehen. Ich stand vor ihm.

Warum?
Einer der Gründe waren die Auftritte mit meiner Kabarettgruppe, dem »Rat der Spötter.« Ich hatte einem Stoffhund ein Loch in den Hintern gebohrt und ihm das Neue Deutschland in den Hintern geschoben und wieder herausgezogen. Bei der Vorstellung habe ich dann ins Publikum gesagt: »Sehnse, nicht mal der Pfeffi kann das verdauen.«

Sie wussten, was passieren würde?
Ja, es hätte auch vorübergehen können. Ging es aber nicht. Ich saß neun Monate im Gefängnis. Aber wissen Sie was? Ohne die Gerichtsverhandlung, in der Werner Krecek als Schöffe saß, wäre ich nicht nach der Wende 15 Jahre der Tatort-Kommissar aus Leipzig gewesen.

Das klingt spannend.
Ich hatte in 25 Jahren auf der Bühne und im Film schon vieles gespielt, außer einem Kommissar. Mein Freund hatte ein Drehbuch geschrieben nach Tatort-Manier.Er ging damit zu Rudolf Mühlfenzl, der für die Treuhand das DDR-Fernsehen auflösen sollte, und fragte ihn, ob er nicht ein bisschen Geld übrig habe. Ja, sagte er, habe er, aber er müsse erst seinen Berater fragen. Dies war der Herr Krecek. Der sagte zu Mühlfenzl: »Dies alles sind wunderbare Menschen.« Tja, so hat ihn die Geschichte eingeholt. Und
ich wurde der Kommissar Bruno Ehrlicher. Bruno wegen meines Grundschullehrers und Ehrlicher, weil ich ehrlicher sein wollte als diese Westkommissare.

Haben Sie eine Abneigung gegen den Westen?
Nach der Wende gibt es so viele Historiker, die ich leider als Hysteriker bezeichnen muss, weil sie Dinge schreiben über ein Land, in dem ich entweder nicht gelebt habe – oder ich hab die ganze Zeit geschlafen. Ich glaube, ich hab für die Wende mehr gemacht als alle, die in letzter Sekunde auf den Zug aufgesprungen sind.

(Foto: Ramon Haindl/soothing shade; Kinderfoto: privat)

Foto: Ramon Haindl