»Ich trauere den Neunzigern nicht nach« - »Ich schon«

Jörg Grabosch und Marcus Wolter haben gemeinsam Stefan Raab entdeckt. Dann gingen sie getrennte Wege. Ihre Produktionsfirmen Brainpool und Endemol feiern jetzt zwanzigsten Geburtstag. Aber gibt es im Fernsehgeschäft überhaupt noch was zu feiern?

Jörg Grabosch und Marcus Wolter (rechts) begegnen sich höchstens noch auf Preisverleihungen. Zum Interview in Köln betrat Wolter erstmals wieder die Brainpool-Zentrale.

SZ-Magazin: Wer von Ihnen ist denn nun der wahre Entdecker von Stefan Raab?
Marcus Wolter: Stefan hat sich selbst entdeckt, oder? Mit seinen Talenten, seiner Kreativität, seinem Ehrgeiz hätte der seinen Weg immer gemacht, in jeder Branche. Ich glaube, Stefan Raab hätte bis auf Bundestrainer alles werden können.
Jörg Grabosch: Ich denke, Stefan glaubt, er könnte auch das.wolter Ich hatte jedenfalls das Glück, mit ihm die ersten Schritte im Fernsehen zu machen. Ich habe ihn Mitte der Neunziger zu Viva geholt. Stefans große Fernsehkarriere fing dann aber bei Brainpool an.
Grabosch: Wir haben eine Pilotsendung mit ihm gemacht: Das kann ja mal passieren. Mit dir, Marcus, als Producer. Die Sendung lag anderthalb Jahre herum, die wollte keiner. Dann wurde unsere Ulla Kock am Brink-Show auf ProSieben abgesetzt, dadurch waren Mittel frei, und daraus ist TV total entstanden.

War Ihnen klar, dass Raab ein Großer werden könnte?
Wolter: Das war klar. Er war bereit, Grenzen zu überschreiten.
Grabosch: Aber dass der mal der neue Thomas Gottschalk werden würde, das hat sich keiner träumen lassen. Georg Kofler, der damalige ProSieben-Chef, hat gefragt: »Der Raab von Viva? Nur über meine Leiche!« Er erlaubte uns dann vier Sendungen mit Armageddon-Klausel, das heißt: Viermal guck ich das an, dann muss es ein Erfolg sein.

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Herr Wolter, wenn Sie sehen, was aus Raab geworden ist, bereuen Sie, ihn und Brainpool 2002 verlassen zu haben?
Wolter: Nicht eine Sekunde. Ich ging, weil ich nicht nur mit einem Künstler zusammenarbeiten wollte. So kann ich heute mit jungen, neuen Leuten wie Joko und Klaas etwas aufbauen und nicht zuletzt ein Unternehmen wie Endemol führen.

Und Sie, Herr Grabosch, kommen nicht los von Raab.
Grabosch: Das will ich auch nicht. Wir machen auch Sachen ohne Stefan. Aber er ist unser Hit, unsere Coca-Cola.

Trotzdem: Wenn montags auf ProSieben nach Endemols Circus HalliGalli mit Joko und Klaas dann Raab wie eh und je im TV total-Studio sitzt, wirkt er schon alt, oder?
Grabosch: Also bitte. Circus HalliGalli finde ich nicht so sensa-tionell. Joko und Klaas sind natürlich lustige Kerlchen. Die sind für ProSieben so stilprägend, wie es früher TV total war. Aber ohne Raab gäbe es Joko und Klaas nicht. So wie Stefan einst Harald Schmidt nachgefolgt ist. Und: Joko und Klaas machen nur einmal die Woche Late-Night, wir viermal – mit besseren Quoten. Und am Samstagabend sind wir mit Schlag den Raab deutlich erfolgreicher als Joko und Klaas mit Duell um die Welt, was Endemol sich übrigens gut bei unserem Format Elton vs. Simon abgeschaut hat. Aber egal: Wir haben im Dezember die fünfzigste Schlag den Raab-Sendung und hatten gerade den zehnten Bundesvision Song Contest. Das sind tradierte Formate.

Eben. Früher galt Brainpool als innovativer als Endemol.
Grabosch: Solange Cola getrunken wird, muss man das Rezept nicht ändern. Und Stefan entwickelt sich doch ständig weiter. Bei uns rücken auch Neue nach, etwa Luke Mockridge, der ist frischer als Joko und Klaas. Das darf man nicht vergessen: Joko und Klaas gelten als die Jugend. Dabei sind die Mitte dreißig.
Wolter: Ich muss jetzt schon mal klarstellen: Wir haben mit Jokos und Klaas Duell um die Welt nicht Elton vs. Simon kopiert, das ist Quatsch. Natürlich entsteht auch Neues im Fernsehen aus den immer gleichen Grundzutaten. Klar schauen wir auch, was Brainpool macht, die sind halt gut. Aber wir kopieren nichts.

Jetzt streiten Sie schon um Quoten und Urheberschaft. Gerade wollten wir Sie bitten, dem anderen zum Zwanzigsten nett zu gratulieren.
Grabosch: Okay, Privatfernsehen in Deutschland kann man sich ohne Endemol gar nicht vorstellen. Der Gründer John de Mol war immer ein Vorbild für mich. Der saß in den Neunzigerjahren in seinem Eispalast in Hilversum, rauchte unfassbar viele Zigaretten und entwickelte verrückte Ideen, die er weltweit verkauft hat. Big Brother ist nicht mein Fernsehen. Aber das hat der einfach erfunden. Toller Typ.

Der mit Endemol heute gar nichts mehr zu tun hat.
Grabosch: Zu Endemol heute kann ich nicht so viel sagen. Die haben ihre Klassiker wie Wer wird Millionär? – und jetzt auch Promi Big Brother. Muss man nicht mögen.

Und Ihr Ständchen für Brainpool, Herr Wolter?
Wolter: Brainpool hat in den Neunzigern die deutsche Comedy neu erfunden. Und ich mag, dass die bis heute so souverän und selbstbewusst auftreten. Wenn es darum geht, Künstler aufzubauen oder Rechte selbst zu verwerten, war Brainpool für größere Produktionsfirmen wie uns früher oft ein Vorbild …

Aber?
Wolter: John de Mol, wir schätzen ihn alle, ist seit zehn Jahren nicht mehr bei Endemol. Die gute alte Zeit war schön, aber die ist vorbei. Wir sind stolz auf die Vergangenheit, aber die Zukunft sieht anders aus. Wir erreichen weltweit mit unseren Youtube-Kanälen über 300 Millionen Views pro Monat. Wir produzieren im Fernsehen jetzt mit Wiedemann & Berg auch anspruchsvolle Fiction, vier Tatorte seit letztem Jahr. Und wir sind in Berlin an Florida TV beteiligt, da wächst mit Künstlern wie Joko und Klaas, Olli Schulz oder Palina Rojinski die nächste Generation heran, das neue Brainpool. Ich trauere den Neunzigern nicht nach.

Sie, Herr Grabosch?
Grabosch: Ich schon manchmal. Damals konnte man Dinge leichter umsetzen. Für Die Harald Schmidt Show gab es kein Konzept – man hat einfach auf Talent vertraut. Es gab auch keinen Blödsinn wie Marktforschung. Mit Die Wochenshow fingen wir in einer alten Antennenfabrik an, da liefen die Ratten durchs Studio, und im Winter war es so kalt, dass Anke Engelke Eiswürfel in den Mund nehmen musste, damit man ihren Atem nicht sieht. Das war der Wilde Westen. Da haben wir Shows produziert wie Knack die Nuss mit Helge Schneider. Lief natürlich nie, aber man konnte machen, was man wollte, es kam genug Werbekohle rein. Wir kriegen für Sendungen heute teilweise weniger als vor zwanzig Jahren. Das Fernsehen ist erwachsen geworden.

Was ist Ihre früheste Erinnerung ans Fernsehen?
Wolter: Im Bademantel die Hitparade mit Dieter Thomas Heck zu gucken.
Grabosch: Lassie, Flipper, auch die Hitparade. Ich habe auch Disco geguckt und mit dem Kassettenrekorder The Ballroom Blitz von Sweet aufgenommen – und dann hat mein blöder Bruder die Tür zugeschlagen und die Aufnahme verdorben.

»Ich bin noch ein Verfechter der alten Glotze«


Warum machen Sie heute Fernsehen?
Wolter: Ich finde das Wort »Fernsehmacher« zu old school. Ich bin ein unternehmerisch denkender Lenker in einem Medienunternehmen.
Grabosch: Klingt auch nicht sexy.
Wolter: Aber ich hänge nicht am Medium Fernsehen, mich interessiert auch Kino, Internet, Youtube, Musik. Meine Aufgabe ist es, unterscheiden zu können zwischen einer heißen Idee und heißer Luft. Das ist meine Leidenschaft. Die großen Momente gibt es für mich, wenn eine Show zu einer Kampagne wird. Zum Beispiel, als zur WM 1994 der Böörti-Vogts-Song von Raab und mir auf dem Mini-Sender Viva lief. Als wir aus den USA in Frankfurt landeten, sangen am Flughafen schon alle Sicherheitsbeamten Böörti, Böörti Vogts. Das war wie eine Droge.
Grabosch: Ich bin noch ein Verfechter der alten Glotze. Aber selbst mir ist klar, dass Fernsehen heute nicht mehr reicht. Stefan Raab ist da ein gutes Beispiel, der hat mit Wadde hadde dudde da oder Maschendrahtzaun als Erster auch Musik zur Show verkauft. Jemand wie Luke Mockridge sagt heute lieber einen TV-Auftritt ab, als auf seinen Youtube-Kanal zu verzichten. Die Jungen haben nicht mehr das Ziel, Samstagabend-Moderator zu werden.

Also ist Wetten, dass ..? nicht mehr zu retten?
Wolter: Für Wetten, dass ..? habe ich mich als Produzent nie interessiert. Das Problem ist doch nicht der Moderator, sondern das Konzept der Sendung: Irgendwelche Promis wetten auf Challenges, die No-Names aufführen? Die Sendung war schon vor dem tragischen Unfall und vor Markus Lanz auf dem absteigenden Ast. Auf der anderen Seite muss man sagen: Es gibt sonst kaum noch Shows, die sechs, sieben Millionen Zuschauer schaffen. Eigentlich erreicht das sonst nur unser Wer wird Millionär? Man hätte Wetten, dass …? mit fünf Millionen Zuschauern wunderbar weiterführen können. Aber man kann heute nicht mehr zehn Millionen erwarten.

Sie suchen also nicht mehr nach dem großen Ding, das die Familie vor dem Fernseher versammelt?
Wolter: Wir müssen uns wirklich mal von diesem Bild verabschieden. Klar gibt es auch noch Familienshows. Aber es ist doch Fakt, dass die jüngeren Leute ihre Sendungen und Clips gucken, wann und wo sie wollen. Die müssen nicht bis nach dem Abendessen warten. Deswegen produzieren wir viele Sendungen für unterschiedliche Zielgruppen. Grabosch: Ich höre da schon wieder das Wort »Zielgruppe«. Wir machen gar nichts für Zielgruppen. Ich liebe Stromberg als kleinere Serie genauso wie unseren Eurovision Song Contest in Düsseldorf mit 14 Millionen Zuschauern. Ich denke nicht darüber nach, für wen ich das mache, sondern nur darüber, was Spaß macht zu gucken.

Promiboxen – Duell der Silikonen macht Ihnen Spaß?
Grabosch: Aber hallo! Das ist das einzige Trashformat, das ich geil finde. Weil es konsequent ist. Ich gucke Promi Big Brother nicht, sorry, Marcus. Ich gucke Holt mich hier raus, ich bin ein Star nicht. Aber ich schaue gerne, wie sich beim Promiboxen Leute, die sagen, für Geld und Ruhm machen sie alles, gegenseitig die Fresse polieren. Deswegen produzieren wir das. Einer der größten Momente der Fernsehgeschichte war für mich, als Stefan Raab damals im »Capitol« in Köln gegen Regina Halmich geboxt hat und sie ihm die Nase gebrochen hat. Ich verstehe aber Leute, die sagen, so was sei hirntot. Ist nicht für jeden. Das gilt für alle unsere Sendungen: Jede Carmen-Nebel-Show und jeder Helen-Dorn-Krimi hat insgesamt mehr Zuschauer, aber wir sprechen damit eine bestimmte Klientel an, die zum Glück für das Privatfernsehen besonders attraktiv ist.

Wie wagemutig sind denn die TV-Sender gerade?
Wolter: Mutig genug. Es wird doch viel ausprobiert.
Grabosch: Im Moment herrscht aber Unsicherheit. Es sind leider dieses Jahr große Experimente gescheitert. Neben Rising Star, Keep Your Light Shining und Sing wie Dein Star auch unsere Millionärswahl. Das hat ProSieben fast einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet. Das war mutig. Ich frage mich eher, warum die Öffentlich-Rechtlichen so wenig Neues ausprobieren.

Die Millionärswahl war etwas ganz Neues: Die Zuschauer bestimmen, welcher Kandidat eine Million Euro bekommt, um sich einen Traum zu erfüllen.
Wolter: Ich fand die Grundidee gut. Ich bin nicht hämisch. Wenn ich etwas an unserer Branche nicht leiden kann, dann dieses Gesabbel und die Häme. Ich hätte mich gefreut, wenn die Millionärswahl geklappt hätte, das wäre für alle gut gewesen.
Grabosch: Das war eine schlimme Zeit. Die erste Quote lag bei zwölf Prozent. Wir wussten, wenn die nächste einstellig ist, wird es ungemütlich – und so kam es.

Seit zwanzig Jahren gucken Sie fast jeden Morgen auf die Zuschauerzahlen.
Grabosch: Aber für mich hängt das Glück nicht von der Quote ab. Eine Sendung kann auch top sein, wenn sie keiner guckt.

Dafür wussten Sie vorhin aber sehr schnell, wann Stefan Raab vor Joko und Klaas lag.
Grabosch: Natürlich kenne ich immer die Quote vom Vortag. Wenn ich eine Bäckerei habe, muss ich auch am Abend zählen, wie viele Brötchen noch da sind. Aber ich brauche keinen Quotenkick.
Wolter: Das nicht. Aber ich muss schon gestehen, dass ich für meine Familie unerträglich bin, wenn wir eine schlechtes Quote hatten. Ich will natürlich gewinnen. Und von den Quoten hängen ja auch Jobs ab.
Grabosch: Das Schlimme ist, dass die Sender oft erst wissen, ob sie eine Sendung gut oder schlecht fanden, wenn sie die Zahlen kennen.

Wird man zynisch im Fernsehgeschäft?
Wolter: Es gibt in unserer Branche viele Berufszyniker. Ich gehöre nicht dazu. Ich habe in meinen Fernsehjahren kein einziges persönliches Ideal verraten. In dem Wort Unterhaltung steckt Haltung. Sendungen, die eine klare Haltung haben, werden auch erfolgreich sein.

Nach Brainpool und vor Endemol leiteten Sie den umstrittenen Call-In-Sender 9Live, Herr Wolter. Was war denn dort bitte schön die Haltung?
Wolter: Die Haltung war, ein Geschäftsmodell zu entwickeln, das ohne Werbeeinnahmen funktioniert.

Dem Sender wurde immer wieder Betrug vorgeworfen.
Wolter: Auch dort gab es tolle TV-Momente: Einmal konnte der Ehering eines C-Promis ersteigert werden, wir hatten nur 500 Anrufe. Am nächsten Tag probierten wir ein einfaches Gewinnspiel und hatten 400 000 Anrufe. Das war keine kreative Zeit. Aber eine erfolgreiche. Ich habe da viel gelernt und stehe dazu.

Herr Grabosch, war der Brainpool-Börsengang 1999 Ihr größter Fehler?
Grabosch: Das ging nicht anders. Lustigerweise wollte John de Mol damals bei uns einsteigen, dann wären wir Teil der Endemol-Gruppe geworden, und Marcus Wolter wäre heute vielleicht mein Chef. Wir mussten an die Börse, um unabhängig zu bleiben. Heute gehört Brainpool zum Glück wieder uns. Hier feiern zwei Firmen zwanzigsten Geburtstag, aber Endemol und Brainpool, das sind zwei konträre Systeme. Wir waren immer viel nationaler, viel künstlergetriebener als Endemol.
Wolter: Viel kleiner eben.

Was gucken Sie eigentlich privat noch im Fernsehen?
Grabosch: Bundesliga auf Sky. Abends gerne TV total.

Das dann aber dienstlich?
Grabosch: Nein, ich finde Stefan immer noch lustig!

Und Sie, Herr Wolter?
Wolter: Außer wenn Fußball läuft, glotze ich nur dienstlich. Genießen kann ich das nie so richtig. Ich denke mir immer: Wie machen die das? Warum machen die das?

Die neuen Youtube-Stars machen alles selbst und haben ein Millionenpublikum. Braucht es Produktionsfirmen bald nicht mehr?
Wolter: Im Gegenteil: Das Netz macht unseren Job wieder spannender. Es gibt mehr Sendeplätze.
Grabosch: Wir haben am Anfang auch alles selbst gemacht. Aber irgendwann wird man so groß, dass man professionell rangehen muss.

Was haben Sie aus diesen zwanzig Jahren Fernsehgeschichte gelernt?
Wolter: Genieße, was du tust, aber nimm das Fernsehen nicht zu ernst. Definiere dich nicht darüber. Dann bleibst du gesund.
Grabosch: Bleib konsequent. Wenn Stefan Raab vor zwanzig Jahren nicht gesagt hätte »Ich mache Das kann ja mal passieren oder gar nichts«, wäre er heute nicht so erfolgreich. Aber klar, am Ende geht es in diesem gnadenlosen Geschäft immer auch um Zufälle. Wäre Ulla Kock am Brink nicht durchgefallen auf ProSieben, würde Stefan vielleicht heute noch Werbejingles komponieren.

Fotos: Thomas Rabsch