Die Gewissensfrage

Darf man ein selbst gemachtes Kunstwerk zurückverlangen, wenn der Beschenkte es nicht pfleglich behandelt?

»Ein guter Freund hat einen selbst gemachten Siebdruck, den ich ihm geschenkt habe, barbarisch mit Klebestreifen an die Wand gehängt, anstatt ihn zu rahmen, wie es sich für ein Original gehört. Er meint, es sei seine persönliche Art, Kunst aufzuhängen, außerdem sei das Bild doch jetzt sein Eigentum. Habe ich das Recht, mein Geschenk zurückzufordern?« Christian S., München

»Geschenkt ist geschenkt, wiederholen ist gestohlen«, klingt es sofort vor dem inneren Ohr. Allerdings beabsichtigen Sie gar nicht, das Kunstwerk heimlich von der Wand zu reißen – was dank der umstrittenen Befestigungstechnik sehr leicht ginge –, sondern wollen den TesaVerbrecher zur Herausgabe auffordern. Nur mit welcher Begründung?

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Ich sehe zwei Ansatzpunkte: Mangelnder Respekt vor einem Kunstwerk und mangelnde Dankbarkeit. Das eine könnte den Künstler dazu berechtigen, einzuschreiten, das andere den Schenkenden. Hier sind Sie beides in Personalunion, deshalb womöglich auch doppelt verärgert.
Damit wären wir bei der Frage, ob die rahmenlose Befestigung an der Wand so barbarisch ist, wie Sie meinen, oder sich, wie Ihr Freund meint, im Rahmen hält. Das ist schwer zu beantworten, ich glaube aber, das muss man gar nicht, wenn man sich Folgendes überlegt.

Bei der Sache gibt es drei Beteiligte: Sie, Ihren Freund und das Kunstwerk. Versucht man, diese drei bei Ihrer Forderung, das Kunstwerk so aufzuhängen, »wie es sich für ein Original gehört«, in eine Rangfolge zu bringen, kommt man zu einem interessanten Ergebnis. An erster Stelle steht vermutlich das Kunstwerk, jedoch sehr knapp gefolgt, wenn nicht gar überholt, von Ihnen und Ihrer Vorstellung, wie Kunst zu behandeln sei. Ihr Freund mit seinen Vorstellungen landet abgeschlagen am unteren Ende.

Diese Position eines Beschenkten aber lässt sich mit der Idee des Schenkens nur schwer in Einklang bringen, deshalb scheint mir die Hängungsvorgabe im Zusammenhang mit einer Schenkung falsch; und infolgedessen auch die Rückforderung des Geschenks bei Nichtbeachtung. Gleichwohl würde ich als Beschenkter ein derart mit Forderungen und Ärger belastetes Kunstwerk nicht haben wollen und es Ihnen auch ohne Aufforderung zurückgeben.

Literatur:

Zur Dankbarkeit als Tugend: André Comte-Sponville, Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben. Ein kleines Brevier der Tugenden und Werte, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1998, dort das Kapitel 10: Die Dankbarkeit, S. 157-166

Daneben gibt es eine Reihe von rechtlichen Bestimmungen, die von der Fragestellung berührt werden:

Bürgerliches Geschenkbuch BGB

§ 530
Widerruf der Schenkung
(1) Eine Schenkung kann widerrufen werden, wenn sich der Beschenkte durch eine schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen Angehörigen des Schenkers groben Undanks schuldig macht.
(2) Dem Erben des Schenkers steht das Recht des Widerrufs nur zu, wenn der Beschenkte vorsätzlich und widerrechtlich den Schenker getötet oder am Widerruf gehindert hat.

§ 903
Befugnisse des Eigentümers
Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen. Der Eigentümer eines Tieres hat bei der Ausübung seiner Befugnisse die besonderen Vorschriften zum Schutz der Tiere zu beachten.

Urheberrechtsgesetz UrhG
§ 14
Entstellung des Werkes
Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.

Illustration: Serge Bloch