Kampf im Kopf

Kann man zugleich für die Aufnahme von Flüchtlingen sein - und doch vor all dem Fremden auch Angst haben? Natürlich, findet unser Kolumnist. Ein Plädoyer für den inneren Widerspruch - und gegen ewige Besserwisser.

In der FAZ las ich ein Zitat aus einer Studie des Marktforschungsunternehmens Rheingold: »Der innere Widerspruch wird salonfähig.« Das gefiel mir. Ich bin ein Freund des inneren Widerspruchs, ja, ich bin der Meinung, dass nur der sich erwachsen nennen sollte, der innere Widersprüche kennt und sie nicht verdrängt, sondern erträgt, zugibt und daraus eine Haltung entwickelt. Wobei wir über das Wort »salonfähig« vielleicht noch einmal reden sollten, denn was bedeutet »salonfähig« noch in Zeiten, in denen man schon unter anderem in Bremen, Kassel, Bochum, Solingen, Geltendorf, München und auf Sylt Friseurbetriebe namens Salonfähig vorfindet, den Salon Fähig in Osnabrück nicht zu vergessen?

Nur mal ganz allgemein als Frage. Jedenfalls las ich in der FAZ, in einer Umfrage des genannten Instituts hätten rund sechzig Prozent der Befragten dazu geneigt, »zu einem Themenkomplex zwei logisch unvereinbare Standpunkte gleichzeitig einzunehmen«. Ja, wie soll man es denn anders halten, in dieser Welt, als Mensch wie auch als Befragter?

Nehmen wir den Schriftsteller Botho Strauß, der im Spiegel erklärte, er möchte »lieber in einem aussterbenden Volk leben als in einem, das aus vorwiegend ökonomisch-demografischen Spekulationen mit fremden Völkern aufgemischt, verjüngt wird«.

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Wenn dieser Strauß sich nur für einen Moment vorgestellt hätte, dass es noch andere Lebensformen gibt als die eines »zurückgezogen in der Uckermark« (Spiegel) lebenden, zum dritten Mal den Zauberberg lesenden, »nach deutscher Dichtersprache« süchtigen, siebzig Jahre alten Eremiten, der sich einerseits als »der letzte Deutsche« fühlt, andererseits in seiner uckermärkischen Abgeschiedenheit nicht in Vergessenheit geraten möchte und deshalb mal wieder einen provozierenden Aufsatz im Spiegel veröffentlicht – wenn also dieser Strauß nur einmal bedacht hätte, dass man vielleicht als 16-jähriger Friseurlehrling in, sagen wir, Bochum nicht ganz so leidenschaftlich gern Angehöriger eines aussterbenden Landes ist – hätte er sich dann, wenigstens dann!, die Wendung »mit fremden Völkern aufgemischt« noch einmal überlegt?

Übrigens erinnere ich mich, dass vor einigen Jahren Autoren, Demografen, Politiker schwer Alarm geschlagen haben, was das Schrumpfen unserer Bevölkerung angeht, den Zusammenbruch unseres Rentensystems, das Veröden vieler Landstriche, der Uckermark zum Beispiel (die eigentlich nie sonderlich belebt war). Hätten diese Leute sich damals der Lebensweisheit erinnert, woran es erstens anders kommt und zweitens als man denkt, hätten sie nicht ganz so systematisch ignoriert, dass in Afrika und anderswo Millionen junger Leute damals längst darauf warteten, die Alterspyramide Deutschlands zu deren Vorteil zu verändern. Und man würde jetzt nicht ganz so händeringend die Lehrer suchen, die man damals vergrault hat. Andererseits kann man Strauß ja auch verstehen: Es wäre wirklich etwas blöde, Einwanderung nur unter dem Aspekt der Rettung des Rentensystems zu sehen. Und wem nicht zwischendurch ein bisschen mulmig wird angesichts dessen, was geschieht, der …Also, dem glaube ich nicht.

Es ist nichts Schlimmes daran, sich einzugestehen, dass man vor all dem Fremden auch Angst hat. Und dass es vielleicht, ein Beispiel, nicht nur toll ist, wenn Hunderttausende junger Männer aus islamischen Ländern einwandern, in denen sie mit brutalem Antisemitismus selbstverständlich aufgewachsen sind. Es ist bloß menschlich, diese Angst zu haben. Wie es im Übrigen vernünftig ist, sie nicht einfach herauszukotzen. Deswegen bin ich ein Anhänger des inneren Widerspruchs. Deswegen mag ich all die Schlaumeier nicht, die uns Tag für Tag mit ihrem Bescheidwissen überziehen. Wir alle sollten uns selbst jeden Tag einmal innerlich widersprechen. Jeder sollte dazu fähig sein. Ob er dann salonfähig ist? Fragen Sie Ihren Friseur! (Meiner stammt aus dem Kosovo.)

Illustration: Dirk Schmidt