Nutten beim Jurastudium

Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Schwule – die Songs des Rappers Kollegah dürften eigentlich kaum jemandem gefallen. Dennoch bricht er gerade Chartsrekorde. Unser Autor hat sein Erfolgsgeheimnis entschlüsselt.

Das sind schon fast Beatles-Dimensionen: Der Rapper Kollegah hat ein Album mit 19 Songs veröffentlicht, eine Woche später stehen 16 davon in den Single-Charts. Man muss sich das kurz klar machen: Üblicherweise enthält ein Album zwei, drei Hits, die als Singles vermarktet werden. Wenn es gut läuft, steigen sie in die Charts. Bei Kollegahs Zuhältertape Vol. 4 (genau wie bei seinem letzten Album, übrigens) haben so viele Menschen die Songs einzeln bei iTunes heruntergeladen, dass man sagen muss: Das Album besteht fast komplett aus Hits. Sogar das »Outro« hat es auf Platz 92 geschafft.

Kollegah, Spitzname »Boss«, bleibt damit der kommerziell erfolgreichste deutsche Rapper, und die Frage ist: Woran liegt das? Denn Zuhältertape Vol. 4 ist alles andere als leichte Konsenskost. Es ist Gangsta-Rap der knüppelhärtesten Sorte, eine Orgie der Gewalt und der Frauenfeindlichkeit.

"Ich sag' aus Erfahrung, wenn ich Hardcore-Sluts schlage /
Haben ihre Faces herbstliche Ahornblattfarben."

Meistgelesen diese Woche:

"Nutte, zeig' dass du Putzlappen befeuchtest /
Ich bring' Schusswaffengeräusche wie die Schutzstaffel der Deutschen"

So geht das ununterbrochen weiter. Kollegah rappt von »Untermenschen« und »Hardcore-Faggots«, von »Mamas«, die er aufreißt »wie Schwangerschaftsstreifen«. Auch wenn man die spielerischen Gewaltbeschreibungen im Gangsta-Rap gewohnt ist, lässt einen die kühle Konkretheit der Texte frösteln. Umso erstaunlicher: der breite Erfolg der Platte!

Einen Hinweis lieferte Kollegah vor ein paar Tagen in einem Interview. Er erklärt da, wie sich sein Publikum zusammensetzt: »Von Straßenjugendlichen, die wahrscheinlich nur die Hälfte meiner Punchlines checken, bis zu Akademikern«. Das muss nicht stimmen, aber es könnte. Denn die Texte von Kollegah, der nebenher angeblich Jura studiert, sind bei aller verstörender Gewalt vollgepackt mit, tatsächlich, gewieften Sprachbildern und, ja, doch, um die Ecke gedachten Gags, die man beim ersten Hören kaum versteht.

"Du hast Rauschgift dabei? Da nehm' ich gern mal 'ne Probe /
Doch find' die haut nicht rein, wie Seals Dermatologe"

(Gag verstanden?)

"Bin kein britischer Lord, doch geb' meinen Dienern Schellen /
Wenn sie sich nicht vor dem Sir verneigen, wie Riesenwellen"

(Na...?)

Diese ständige Diskrepanz zwischen Zuhälter-Image und dem Vokabular eines Jura-Studenten, das Pendeln zwischen extremer Gewaltverherrlichung und tatsächlich witzigen Sprachbildern, ist der Unique Selling Point von Kollegah. Ausgestellte Muskelmann-Dumpfheit, die kleine Jungs beeindruckt - und überraschend geistreiche Metaphern, die auch Poetry-Slammern imponieren dürfte. Die Rechnung geht auf: Wer das Image abstoßend findet, kann sich trotzdem noch am Sprachwitz freuen. Und wer nicht versteht, was zum Teufel die Zeile »Der Boss hat Termine / Wie Harry Potter« bedeuten soll, kann ja immer noch über die Bitchslaps in der nächsten Strophe lachen.

Kollegah ist der erfolgreichste Rapper Deutschlands, weil er mit jedem Song zwei Schichten gleichzeitig bedient, auf unterschiedlichen Kanälen, ganz ohne Störgeräusche.

Erinnert an: Scarface
Wer hört das? Männer. Ausschließlich.
Was dem Album gut tun würde: Weniger Gewalt gegen Frauen und Schwule - schon aus Vermarktungsgründen!

Foto: Universal Music