Das Pony, die Nutten und der Klon

Endlich geklärt: das Geheimnis um die bemerkenswert schlechte Garderobe von Britney Spears.

V.l.: Spears mit ihrem damaligen Freund Justin Timberlake im legendären Partnerlook bei den American Music Awards 2001, pinkfarbener Quetchbody auf der »Femme Fatale«-Tour 2011 und bei einem Fernsehauftritt 2000 im geblümten Nachthemd.

Der Blick auf die Karriere von Britney Spears wirft eine Frage auf: Wie kann ein so unermesslich reicher Popstar kontinuierlich so schlecht gekleidet sein? Wer verantwortet all die Modedesaster, die seit Jahren regelmäßig Top-Plätze auf den weltweiten Worst-dressed-Listen einnehmen?

Der nächstliegende Gedanke ist, dass man sich eben auch mit sehr viel Geld eines nicht kaufen kann: guten Geschmack. In Wahrheit aber sind die Dinge komplizierter.

Zu Beginn ihrer Karriere im Jahr 1999 lief bei Britney auch modisch noch alles einigermaßen rund. Die damals 18-Jährige stand unter der Fuchtel einer ehrgeizigen Mutter und war umgeben von Plattenbossen, Imageberatern und Stylisten, die ihren Aufschlag in der Popwelt als sexy Lolita mit … Baby, One More Time (Schulmädchenporno-Outfit) und Oops!… I Did It Again (rote Latex-Ganzkörperpelle zu hübsch durchgesträhnter Mähne) auch modisch stimmig inszenierten. Doch kaum hatte Britney die ersten Millionen eingefahren, nahm sie sich das Recht heraus, ein paar Dinge selbst zu entscheiden, so wie Erwachsene das eben tun. Als Erstes feuerte sie ihren Stylisten und kaufte sich stattdessen bei einem befreundeten Cowboy ein Pony, sperrte es in ihren begehbaren Kleiderschrank, fütterte es täglich mit halluzinogenen Pilzen und ließ es fortan ihre Garderobe zusammenstellen.

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Das Pony – von Heimweh geplagt und wild halluzinierend – dachte an seinen Cowboy und an die Verschmelzungssehnsucht junger Liebe. Schwups: Der legendäre Jeans-Partnerlook mit Boyfriend Justin Timberlake war gefunden. Das Pony dachte an seinen Cowboy, an Nutten und an Mohnblumen – voilà: pinkfarbene Chaps über geschlitzten Jeans, zu pinkfarbenen Cowboyboots und rotem Top. Das Pony dachte an seinen Cowboy und knabberte dabei versonnen an der Gardine – tadaaa: Ein weiteres Outfit für den roten Teppich ward geboren, asymmetrisch und cremefarben. Das Pony dachte an seinen Cowboy und halluzinierte bunte Blumenwiesen – bitte sehr: ein Blumennachthemd zu pinkfarbenem Cowboyhut und passenden Stiefeln.

Die Fans fühlten sich durch die stillosen Pony-Outfits übrigens nicht die Bohne gestört, im Gegenteil. Je mehr sich Britney zur modischen Katastrophenmesslatte entwickelte, umso erfolgreicher wurde sie. Wir Normalsterblichen konnten uns ihr nahe fühlen, denn egal, wie sehr wir selbst mal modisch daneben gelegen haben mochten: Nie haben wir auf so hohem Niveau daneben gelegen wie Britney Spears.

Den Plattenbossen war die Sache trotzdem unheimlich, schließlich hatten sie Britney als Sex-Ikone eingekauft, nicht als Inspiration für geschmacklose Halloweenkostüme. Eine Weile ließen sie Britney und ihr Pony gewähren, dann starteten sie eine Intervention: »Britney, so kann das nicht weitergehen, hör bitte endlich auf mit dem Cowboy-Scheiß. Denk dran, du bist schon lange kein niedliches Landei mehr, sondern eine verruchte Sexgöttin! Ein Vamp! Ein Luder! Eine Femme fatale!«

Also gab Britney das Pony schweren Herzens zu Cher in Pflege. Von dort schickte es noch einmal eine Postkarte, die Britney zu einem ziemlich verunglückten, orange-wallenden Cher-Gedenk-Outfit mit Oma-Hütchen inspirierte. Eine Weile lang trug sie dann brav die sexy Lack-, Leder- und Pailletten-Outfits, die ihr die Plattenbosse aussuchten, versank jedoch bald darauf im Wahnsinn: Scheidung vom Gatten, Entzug des Sorgerechts für die beiden Söhne, Glatzenrasur, Entmündigung.

In den Jahren nach ihrem Zusammenbruch versuchte Britney vergeblich, das Pony zu vergessen und wieder an ihre alten Tage als Schulmädchen-Männerfantasie anzuknüpfen. Was nicht ganz leicht fällt, wenn man eine zweifache Mutter mit Drogenproblemen ist und sich die Klamotten in der Fetisch-Ecke des örtlichen Kostümverleihs zusammensucht: schwarzer Glitzer-Quetschbikini zu Netzstrümpfen, pinker Quetschbody mit schwarzer Spitze zu Netzstrümpfen, schwarzer Quetschbody mit hässlichen roten Schnürdetails zu Netzstrümpfen – überhaupt: sehr viel Gequetsche, bei gleichzeitig null Sex-Appeal. Das Britney-Comeback geriet zum Desaster.

Diese Zeit war sicherlich nicht die kommerziell erfolgreichste in der Karriere von Britney Spears, aber es war ihre wahrhaftigste. In all den Jahren hatte Britney mit messianischem Eifer die Modesünden dieser Welt auf sich genommen, nun war sie endgültig ein fleischgewordenes Fanal: Seht mich an! Es nutzt alles nichts, auch mit den nuttigsten Glitzer-Leder-Latex-Strapsen wird man nicht zur Sexgöttin, wenn man sich nicht wie eine Sexgöttin fühlt, sondern wie ein trauriges, müdes, kaputtes Mädchen! Ein Mädchen, das in seiner Freizeit am liebsten Schlabberklamotten trägt und auch im heißen Kalifornien immer kalte Füße hat (daher die Ugg Boots zu den extra-kurzen Shorts).

Auf diesem schmerzhaften Moment der Wahrhaftigkeit hätte Britney auch als Sängerin eine wirklich neue Karriere aufbauen können: als gereifte Identifikationsfigur. Als eine, die Fehler macht, auf die Schnauze fällt, aufsteht und sich dann von niemandem mehr in irgendeine Rolle oder Klamotte zwingen lässt. Die passende Musik dazu hätte ihr schon irgendwer geschrieben.

Doch die Plattenfirma hatte andere Pläne: Das »Authentisch«-Segment war nun schon von Taylor Swift belegt, in der Sex-Abteilung machte Miley Cyrus mächtig Druck, das Britney-Problem musste nun ein für alle Mal gelöst werden. Also ließen die Plattenbosse Britney klonen, schickten den Klon zum Chirurgen und ließen ihn absaugen, aufpumpen, straffen, glätten, bleechen und bräunen, bis er mehr an die junge Pamela Anderson als an die alte Britney erinnerte. Zusätzlich engagierten sie einen Stylisten, der auf Outfits mit minimalem Materialeinsatz spezialisiert ist. Diese Klon-Britney schicken sie seitdem auf rote Teppiche und zu Preisverleihungen, wo sie verlässlich Schlagzeilen produziert, auch wenn sich für ihre Musik schon längst niemand mehr interessiert. Zu den vergangenen Video Music Awards war Klon-Britney zur Freude aller Anwesenden beinahe nackt erschienen und hatte sich kurz vor dem Auftritt nur mit ein wenig Lametta bewerfen lassen.

Die echte Britney zog unterdessen ihre alten Cowboystiefel an, schwor sich, nie wieder irgendwas mit der Musikindustrie, mit Mode oder sogar mit Sex zu tun zu haben, holte ihr Pony ab und ritt glücklich in den Sonnenuntergang davon.

Fotos: dpa; Getty Images