Die Rache des Bergdoktors

Schneeweißer Schnee, blühende Geranien – seit neuestem steht unsere Autorin auf Heimatfilme. Und konnte damit in ihrer Familie einen kaum für möglich gehaltenen Erfolg erreichen.

Dr. Martin Gruber (rechts) ist der Bergdoktor. Aber was wäre er ohne seine Mutter Lisbeth, Bruder Hans und Tochter Lilli?

Es ist so weit. Ich werd alt, sentimental und kitschig – und guck' jetzt Heimatfilm. Und zwar nicht zufällig. Mein bester Freund hat mir sogar schon eine DVD-Box geschenkt. Vom Bergdoktor. Obwohl da gar keine Schwulen drin vorkommen. Wahrscheinlich ist es sogar die einzige Serie, in der Schwule nicht ein Drittel der Bevölkerung ausmachen. Der Serien-Schwule ist ja die Minstrel-Show des neuen Jahrtausends: Auch er muss, wie der Schwarze früher, lustig die Augen rollen, in der Freude wie im Leid. Dann lieben ihn alle. Als Clown.

Aber sicher kann ich es nicht sagen, denn ich sehe selten Serien. Das machen nur meine Männer, und zwar die, wo Frauen nicht sprechen, sondern in den obersten Oktaven kreischen wie hysterische Makaken. Ich verzieh mich, wenn Two and a Half Men, Folge 74, läuft und meine drei Männer strahlend vor der Glotze hängen. Und stecke mir in meinem Zimmer Petersilie in die Ohren. Oft frage ich mich da, ob die Synchronisateurinnen dieser amerikanischen Heulbojen, genannt Frauen, Schmerzenszulage für ihren Job kriegen. Ich würd's verlangen!

Noch lieber als blond ondulierte Makaken mit großen Glocken sehen meine Männer Fußball. Auch da könnte ich Entschädigungen für jahrelanges Passiv-Gucken fordren. Das Wohnzimmer benutzte ich quasi nicht mehr. Bis der Bergdoktor kam. Anfangs habe ich ihn heimlich gesehen, wenn der Große weg und die Kleinen im Bett waren. Meine Mutter erzählte mir dann hinter vorgehaltener Hand, mein Vater liebe den auch. Dabei lachte sie, leicht makakenmäßig, also hysterisch. Weil er ja sonst nur Arte guckt. Für den Bergdoktor macht er eine Ausnahme. »Wegen der Berge«, hat sie gesagt.

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Ich wusste sofort, was er meint. Ich guck den Bergdoktor auch wegen der Berge. Die fehlen mir halt. Die Zacken, die Wolken, die Wiesen, die Matten. Und der Mann ist halt ein guter Arzt. Er hat immer Zeit für seine Patienten, er kennt den Pschyrembel auswendig und kann auch endemische Stoffwechselerkrankungen von aus Tuvalu nach Ellmau eingewanderten Hausmädchen erkennen. Und behandeln! Er fährt 'ne coole Chaise und er grinst griffige Frauen in tieferen Tonlagen an. Okay, in letzter Zeit wirkt er ein wenig zu routiniert. Der Bergdoktor wird halt auch nicht jünger. So wie ich. Sein Gesicht wird einem Knautschkissen immer ähnlicher. Wie meines auch. Dein Gesicht.

(Stets wiederholt der Bergdoktor das letzte Wort des Satzes, wie jeder anständige Platoniker ein Argument. Das hat was Stoisches, Beruhigendes. Vielleicht ist das der Grund für den Erfolg des Bergdoktors. Er macht sogar dem Dschungelcamp Konkurrenz. Es ist einfach zu aufregend.)

Die Sujets im Bergdoktor sind nicht aus den Fünfzigern, es kommt schon auch mal ein Skater vor. Der Doktor rettet die meisten Menschen, aber nicht alle. Darunter leidet er sehr. Aber immer blühen die Geranien. Oder welken goldgelb die Blätter. Oder fällt schneeweißer Schnee. Den Kuhdung kann ich bis hier her nach Berlin riechen.

Und nun gab es die Tage, völlig unerwartet, Überläufer. Wir haben neuerdings eine schicke, leicht zugängliche Mediathek, seit wir das mit dem HDMI-Kabel in den Griff bekommen haben. Und wer zappt sich da ins Senioren-Programm? Tja. Da hat es auch ihrem Vater die Sprache verschlagen. Er meinte, lapidar einwerfen zu können: Heute spielt Schalke gegen... Er ist sofortige Schlachtengesänge gewohnt. Doch nun riefen meine Söhne laut und rhythmisch: Berg-Dok-tor! Berg-Dok-tor! Berg-Dok-tor! Es ging in ein Klatschen über. Ich jodelte. Und dachte: 1 zu 1, endlich!

Was die Kinder daran finden? Zum einen schauen sie keine Krimis, sie ertragen keine Morde. Das reduziert die Auswahl enorm. Quasi auf Null. An Harmlosem bleiben da nur amerikanische Serien mit Makaken und Männern, die in ihrem Coming-of-Age schockgefroren wurden. Schlagerparaden. Und der Bergdoktor, das rührende Drama, leicht verpackt.

Das Traumschiff werden wir nie sehen, das schwör ich. Denn ich komm ja aus den Bergen. Schiffe lassen mich kalt. Und im Alter, das weiß jedes Kind, kommen die Urtriebe wieder hoch. Ich hab sogar mal mit dem Gedanken gespielt, mich als Redakteurin beim Hotel-Journal von Schloss Elmau zu bewerben, schon weil dieser malerische Ort fast genauso heißt wie die Heimat des Bergdoktors. Wieso nicht?, hab ich zum Vater meiner Kinder gesagt, als er mich entgeistert anstarrte. Du wolltest doch auch immer Pressesprecher von Werder Bremen werden.

Foto: ZDF/Stefanie Leo