Sportfreunde, stiller!

In Wales bietet ein Friseur einen »quiet chair« an, auf dem der Kunde nicht vollgequatscht wird. Unser Kolumnist ist begeistert und überlegt, wie man das Geschäftsmodell ausbauen könnte.

In Cardiff, der Hauptstadt von Wales, gibt es einen Friseursalon namens Bauhaus, sein Besitzer heißt Scott Miller. Er macht folgendes Angebot: Man kann, kommt man zum Haarschneiden, einen quiet chair buchen, das heißt, niemand wird fragen, wie der letzte Urlaub gewesen sei oder ob man schon den nächsten Urlaub plane, man wird auch nichts über Urlaubsreisen des Friseurs erfahren. Es wird Stille herrschen, ja, wenn alle Stühle des Bauhauses als quiet chairs gebucht sind, wird auch keine Musik zu hören sein. In den Ohren wird nichts klingen als das Klappern von Scheren, das Surren der Schneidemaschinen, vielleicht das Brausen eines Föhns.

Könnte man dieses Angebot nicht auch ohne Haarschneiden bekommen?

Und nicht bloß in Cardiff?

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Vielleicht wäre es ein erfolgreiches Geschäftskonzept, man würde in unseren Städten quiet chairs anbieten? Stühle in kleinen Räumen, in denen nicht nur der reale Weltlärm ausgeblendet wäre, sondern auch der virtuelle, das heißt: kein Internet, kein Facebook, kein Twitter, keine Nachrichten über die Schauderhaftigkeiten des Daseins. Man würde eine Stunde lang nur dahocken, dem eigenen Tinnitus lauschen, atmen, die Arme auf der Stuhllehne spüren und sich dem Gefühl des sich der Sitzfläche vermählenden Hinterns hingeben. Ja, das klingt nach Meditation, das ist es auch, aber würde man Meditationsstühle offerieren? Das schreckte manchen schon wieder ab, er dächte, er müsste Buddhist werden, aber das soll er nicht. Bruno, mein alter Freund, sagt, es gebe doch Kirchen. Da hat er recht. Aber es sind eben Kirchen.

Wir leben übrigens vermutlich in den lautesten Zeiten, die es je gab. Der Krach hat Formen erreicht, die man sich nie hätte vorstellen können, er ist über physischen Lärm längst hinaus, ich rede nicht von Laubbläsern, startenden Flugzeugen, hupenden Autos. Das sind Dinge, die schon bald der Vergangenheit angehören werden, denn das Elektroauto wird das Straßengetöse in einer Weise reduzieren, die wir uns jetzt nicht vorstellen können. Ich schreibe dies in Florenz, wo der Fußgänger einst ein an Hauswände gepresstes Schattenwesen war, auf der Flucht vor rauschenden Kraftfahrzeugen. Heute schieben sich im Zentrum Hybrid-Taxis durch flanierende Massen, Autos, die man akustisch nur bemerkt, weil sie dann und wann dezent piepen.

Der Lärm, der uns heute verrückt macht und der uns bleiben wird, ist anders: Es handelt sich um jenes virtuelle Geschrei, das einem Stunde für Stunde das Weltgeschehen durch Mark und Bein dringen lässt. Es ist geräuschloser Radau, zum Beispiel: der lautlose Krawall von dringenden Push-Mitteilungen auf dem Mobilfon, die mich, kaum bin ich erwacht, über eine Flugzeugentführung irgendwo auf der Welt informieren.

Bitte, gehöre ich einem Krisenstab an, dass ich so etwas wissen muss?

Natürlich könnte ich diese Push-Mitteilungen auch abstellen. Aber ich tue es nicht, das ist ja eben das Problem: dass diese Art von Weltkrawall süchtig macht. Man sieht bisweilen Menschen, die in einer Weise in ihre Mobilgeräte starren, dass man das Gefühl hat, sie stürben, wenn sie nicht auf der Stelle wenigs-tens von einem Fußballergebnis in der dritten Liga erführen oder Nachricht von einer neuen Frisur der zweitbesten Freundin erhielten. Mancher von uns glaubt, nur zu leben, wenn er an DAS GROSSE LEBEN da draußen angeschlossen ist wie ein Stromgerät ans Netz. Das ist eben das Problem: dass der Globaltumult uns nicht über die Ohren erreicht, sondern quasi intravenös.

Noch mal zu der Idee: Stühle in kleinen Räumen. Die Leute sollen da einfach nur still sitzen. In der Stille sitzen. Was heißt: Sie sollen? Niemand soll. Aber denjenigen, die es wollen, müsste man ein Angebot machen. Etwas Zeitgemäßes. Die schnelle Stille für zwischendurch. So eine Art Kaffeebude für Ruhesuchende.

McSilence? Chairbucks?

Illustration: Dirk Schmidt