»Darf man eine Maschine lieben?«

Die Bestsellerautorin Meike Winnemuth hat ein extrem inniges Verhältnis zu ihrem Smartphone. Es verreist sogar mit eigenem Gepäck.

Ach, Liebe. Ist das jetzt das richtige Wort? Darf man eine Maschine lieben, ist das nicht erbärmlich? Oder ist es im Gegenteil die reinste Form der Zuneigung, eine, die nicht auf Erwiderung aus ist? Lassen wir es vorerst dabei: Liebe. Für ein Handy, Herrgott. Für das, was dieses Ding kann und was ich mit seiner Hilfe kann. Für dieses Werkzeug, dieses Spielzeug. Für dieses absolute Wunder.

Diesen Text schreibe ich im Gehen. Auf einem Feldweg in der Nähe der Ostsee, mein Hund läuft voraus, er trägt sein derzeitiges Lieblingsding, einen frisch gefundenen Stock. Ich trage mein Lieblingsding und spreche hinein, und das Ding verwandelt die Sprache in Schrift. Schwer zu sagen, wer glücklicher ist, mein Hund oder ich.

Dass so was geht, Schreiben während des Gehens, finde ich immer noch ganz wundersam. Auch dass mich ein Anruf hier im Nirgendwo erreicht, eine Freundin mit einer Terminverschiebung, dass ich sie auf laut stellen kann, parallel in meinem elektronischen Kalender blättere, plaudernd, gehend und lachend was Neues verabrede, dass dieser Termin, gerade eingetragen, schon zu Hause auf meinem Laptop ist, dass ich der Freundin sofort ein Foto meines Hundes mit dem Stock schicken kann, im Weitergehen, dass das alles so selbstverständlich wie Atmen ist. Man ist jederzeit erreichbar? Ja, genau! Ja, wie herrlich! Ich denke an jemanden, und der merkt das sofort. Ich will was wissen und weiß es gleich. Ich will was sagen und kann es binnen Sekunden. Das trennt mich nicht von der Welt, wie Zivilisationsapokalyptiker maulen, sondern verbindet mich mit ihr auf eine Weise, wie das nie zuvor in der Geschichte der Menschheit möglich war. Das liebe ich vor allem an dieser Maschine: Sie erweitert mich, ermöglicht, gestattet, ermuntert. Melde dich bei dem, der freut sich, sagt sie. Und hat immer recht.

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Die erste Bewegung des Tages ist der Griff zum Handy, das nachts neben mir auftankt. Noch bevor der Vorhang zurückgezogen ist, weiß ich, ob es jetzt oder in einer halben Stunde regnen wird und wenn ja, wie stark (Regenradar), wer was wollte (Mail) und wer nichts wollte und trotzdem geschrieben hat (diverse Newsletter), was heute zu tun ist und was sich auf morgen schieben lässt (Wunderlist). Ich streiche, streichle, klicke, markiere, lösche, eine halbe Stunde Handwerk in stabiler Rückenlage. Das iPhone ist der Schuhlöffel, der mir in die Welt hilft. So beginnt der Tag, und er beginnt gut. Es ist ein Kinderaufwachen: das Spielzeug unter die Bettdecke ziehen, sich gegenseitig etwas zuflüstern, etwas mehr Zeit verdödeln, als gut wäre.

Mein iPhone ist ein durchschnittliches Gerät in durchschnittlichem Grau mit durchschnittlichem Klingelton, jenem nostalgischen Gebimmel, das nahezu alle haben. Allein in diesem Jahr, so die Hochrechnung, werden weltweit 1,5 Milliarden Smartphones verkauft werden. Alle verlassen das Werk mit einer Default-Einstellung, jedes wird in der Hand seines Besitzers zu einem besonderen Ding. Welche Apps man hineinpackt und was man in diese Apps packt, welche man rechts unten auf dem Schirm positioniert, in besonders bequemer Reichweite zum Daumen, und welche man auf den hinteren Seiten versteckt, das würde zu einem präzisen Psychogramm des Benutzers taugen. Man hinterlässt seine Fingerabdrücke, physisch wie psychisch, man prägt sich ihm ein, man macht es sich zu eigen. Ganz leicht könnte man mich auslesen – gerade mithilfe längst nicht mehr gebrauchter Apps, die wie kleine Grabsteine vergangene Versionen meiner selbst markieren oder verraten, wer ich gern geworden wäre. Eine Tagebuch-App (nie genutzt), ein 7-Minuten-Trainingsprogramm (nie genutzt), ein Lonely Planet Tokyo Travel Guide (nie genutzt), eine Schlafüberwachungs-App (genutzt und in Rente geschickt, weil mir das Ergebnis nicht gefiel) – das iPhone ist wie ein Museum meiner Interessen und meines Versagens. The way I was. Das Ding ist mir greifbar nah, ich glaube, das ist auch schon das ganze Geheimnis: die permanente Berührung. Nie ist es weiter als eine Armlänge entfernt. Man nimmt es in die Hand, es nimmt einen an die Hand, geht einem zur Hand. Man drückt, wischt und erlebt die kleine Allmachtsfantasie, mit Gesten etwas zu bewirken wie ein alttestamentarischer Gott.

Wenn wir verreisen, reist das Handy mit eigenem Gepäck. Akku, Kabel, diverse Adapter. Gerade unterwegs braucht und gibt es viel Energie. An Reisetagen ist es statt der normalen zwei Stunden auch mal sechs bis acht Stunden im Einsatz: Ein Zugabteil verwandelt es in einen Hörsaal, gerade schaue ich die Vorlesungsreihe Justice des Harvard-Professors Michael Sandel. Kann sein, dass es bessere Smartphones gibt, aber das ist egal. Liebe sucht nicht das Beste, sondern das Richtige. Und manchmal muss man zum Alten zurück: Ich finde das 6er eine Spur zu groß, ich hätte es gern so schmal wie das 5er, aber ohne die harten Kanten. Die nächste Generation wird es richten. Bis dahin ermöglicht mir das Ding ein Leben im Überall, die Befriedigung meiner Neugier, das Ausloten meiner Optionen. Ich bin immer erreichbar, schlimmschlimm? Nein, ich erreiche. Immer.

Foto: Gunter Glücklich/Knaus Verlag