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Wenn eine Freundin ihre Wohnung über ein Internetportal an Touristen vermietet und in dieser Zeit bei mir wohnt: Steht mir dann ein Teil des verdienten Geldes zu? Die Gewissensfrage.

»Eine Freundin vermietet in letzter Zeit häufig ihre Wohnung über ein Internetportal für kurze Zeiträume gewinnbringend an Touristen unter. Während sie Gäste hat, übernachtet sie selbst bei mir und anderen gemeinsamen Freunden. Sollte sie uns, ihren Freunden, etwas von ihren Einnahmen abgeben?« Gregor D., Berlin     

»Klare Rechnung – gute Freunde«, lautet ein Sprichwort. In diesem Sinne sollte Ihre Freundin, wenn sie mit Ihrer Hilfe Geld verdient, davon auch etwas abgeben. Denn um eines kommt man nicht herum: Ihre Gastfreundschaft ist Teil des Geschäftsmodells Ihrer Freundin. Sie macht ihren Wohnraum zu Geld, das kann sie aber nur, solange sie selbst in dieser Zeit anderen Wohnraum nutzen kann. Wenn sie das gratis tut, während sie gegen Geld vermietet, entsteht eine Schieflage.

Allerdings würde ich das Sprichwort persönlich gerne umformulieren oder erweitern: »Bessere Freunde – keine Rechnung«. Denn zwischen wirklich guten Freunden ist es nicht notwendig zu rechnen oder abzurechnen. In den Essais von Michel de Montaigne findet man die schöne Beschreibung, dass unter Freunden unterteilende und einstufende Wörter wie Wohltat, Schuldigkeit und Erkenntlichkeit, wie Bitte und Dank und dergleichen verpönt und verbannt seien. Da Freunde in Wirklichkeit alles gemeinsam hätten, könnten sie voneinander nichts leihen und einander nichts geben.

Im Grunde gibt es deshalb drei Konstellationen. Wenn Ihre Freundin das Geld dringend braucht, dringender als Sie, sollten Sie ihr helfen, ohne etwas abhaben zu wollen. Bei einer wirklich guten Freundin wäre das Ganze nach Montaignes Grundsätzen ohnehin eine Wir-Aktion, keiner von Ihnen beiden würde rechnen, wer nun genau das Geld bekommt, weil sich die gegenseitigen Großzügigkeiten ausgleichen.

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Bei weniger guten Freunden gibt es eine Grenze, ab der man sich ausgenutzt vorkommt. Dann kann man über eine Beteiligung sprechen, was ich jedoch auch nicht als ideal ansehe. Wenn man sich über die Übernachtung der Freundin nicht auch ohne Geld freut, belastet und entwertet das die Freundschaft eher, und Ihre Freundin sollte vielleicht besser wirklich klare Rechnung machen und in ein echtes Hotel gehen.

Literatur:

Michel de Montaigne, Essais, übersetzt von Hans Stilett, Die Andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 1998, 28. Über die Freundschaft, S. 98ff., 102 rechte Spalte

Eine günstigere Ausgabe dieser neuen Übersetzung gibt es mittlerweile bei dtv
Bei der von Montaigne beschriebenen Freundschaft dürfte es sich um das handeln, was Aristoteles als Tugendfreundschaft oder Freundschaft unter Guten bezeichnet, man könnte auch echte oder wahre Freundschaft sagen, und von den beiden anderen Typen der Freundschaft, der aus Nutzen und der aus Lust abgrenzt.

Die Idee der echten Freundschaft findet man bei Aristoteles im VIII. Buch seiner Nikomachischen Ethik:

»4. Vollkommen ist die Freundschaft der Tugendhaften und an Tugend Ähnlichen. Diese wünschen einander gleichmäßig das Gute, sofern sie gut ist, und sie sind gut an sich selbst. Jene aber, die den Freunden das Gute wünschen um der Freunde willen, sind im eigentlichen Sinne Freunde; denn sie verhalten sich an sich so, und nicht zufällig. Ihre Freundschaft dauert, solange sie tugendhaft sind. Die Tugend ist aber beständig, und jeder von beiden ist an sich gut und gut für den Freund. Denn die Tugendhaften sind schlechthin gut und einander gegenseitig nützlich, und ebenso auch angenehm. Denn auch schlechthin angenehm sind die Tugendhaften, wie auch für einander gegenseitig. Denn jedem machen die ihm eigentümlichen Handlungen Freude und die damit verwandten; die Handlungen der Guten sind aber die entsprechenden oder doch ähnliche. So ist anzunehmen, dass eine derartige Freundschaft dauerhaft sei. Sie verknüpft in sich alles, was bei Freunden vorhanden sein muss. Denn jede Freundschaft existiert wegen des Guten oder wegen der Lust, entweder schlechthin oder für den Liebenden und beruht auf einer gewissen Ähnlichkeit. ...
Es ist freilich anzunehmen, dass solche Freundschaften selten sind. Denn wenige Menschen sind derart. Außerdem bedarf es langer Zeit und Gewöhnung.«
Übersetzt aus dem Griechischen von Olof Gigon, dtv, München 1991

Generell sind die Ausführungen zur Freundschaft von Aristoteles im VIII. und IX. Buch seiner Nikomachischen Ethik nach wie vor unerreicht. Gute Übersetzungen gibt es von Olof Gigon bei dtv, München 1991 und von Ursula Wolff bei rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006

In der Übersetzung von Eugen Rolfes (ursprünglich Felix Meiner Verlag, Leipzig 1911) kann man die Stelle bei Projekt Gutenberg hier lesen

Für die Freundschaft als Modell für soziale Beziehungen siehe Anton Leist, »Ethik der Beziehungen. Versuche über eine postkantianische Moralphilosophie«, Akademie Verlag, Berlin 2005
Dort besonders das Kapitel 7 Moralische Beziehungssystem in der Gesellschaft. 1. Das Modell der Freundschaft, S. 140ff.

Eine schöne Sammlung von philosophischen Texten zur Freundschaft findet sich in dem von Klaus Dieter Eichler herausgegebenen Buch »Philosophie der Freundschaft«, Reclam Verlag 1999

Illustration: Serge Bloch