Mach kaputt, was dich kaputt macht

Auf Youtube kann man Menschen zusehen, wie sie stundenlang ein Sofakissen föhnen oder Barbiepuppen und Golfbälle in einer Hydraulikpresse zermalmen. Die Videos könnten gute Dienste auf AfD-Parteitagen leisten, findet unser Kolumnist.

Bruno, mein alter Freund, sagt, er habe bei Youtube Erstaunliches entdeckt: Ein Video, auf dem zwei Stunden lang nur eine Hand zu sehen ist, die einen Föhn hält und mit ihm ein blaues Plüschkissen föhnt. Ich habe entdeckt, dass dieser Film bereits 9,5 Millionen Mal angeklickt wurde, dass es aber auch eine siebenstündige Variante gibt und eine Tinnitus Sound Therapy, bei der nichts geschieht als dieses: Ein glatzköpfiger und mit zunehmender Zeit sehr müder Mann hält die Rückseite eines blasenden Föhns vor ein Mikrofon. Man hört ein Föhngeräusch - und zwar zehn Stunden lang. Dies wurde von mehr als 800 000 Personen angeschaut und angehört.

Wie ist das zu erklären? Warum denken sich Fernsehmacher ambitionierte Programme aus, warum leben Menschen, von Kameras gefilmt, wochenlang im Dschungel, wenn es offensichtlich genügt, ein blaues Kissen zu föhnen, um Millionen in den Bann zu ziehen? Man kennt das Phänomen vom norwegischen Fernsehen, das (zur besten Sendezeit, nicht mitten in der Nacht!) lodernde Kaminfeuer zeigt, strickende Frauen, siebenstündige Bahnfahrten und 134-stündige Passagen mit einem Postschiff. Ergebnis: eine Quote von vierzig Prozent!

Aber ein Föhn ist noch mal was anderes. Bruno sagt, ob ich nicht wisse, wie beruhigend das Föhngeräusch sei. Es gebe nicht wenige Eltern, die schreiende Kinder nachts einen Föhn hören ließen, um sie zur Ruhe zu bringen, denn dieses Geräusch ähnele dem des brausenden Blutstroms im Mutterleib. Das klingt logisch. Aber kann man tiefer in die Keller unserer Existenz steigen? Ist es möglich, der Wahrheit des Lebens näher zu kommen denn als nachts um drei ein Kind föhnend beruhigendes Elternteil? Zeigte die Performance-Künstlerin Marina Abramovic solches in einem Museum, die Menschen stünden weinend vor der Installation. Doch es geschieht Nacht für Nacht in den Reihenhäusern unserer Vorstädte!

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Unterwegs bei Youtube stieß ich dann auf den Hydraulic Press Channel. Hier bedient ein Mann, der Englisch mit schwerem finnischen Akzent spricht, eine Hydraulik-Presse, mit der er Gegenstände zerstört, das heißt: Er legt oder stellt zum Beispiel einen Golfball, eine Bowlingkugel oder ein Playmobilmännchen unter den zylindrischen Kopf einer Presse und lässt dann diesen Kopf mit höchstem Druck auf den Gegenstand herniedersinken, was natürlich zu dessen Platzen oder Explodieren, zu seiner Plattwerdung oder Zerbreiung führt, ein Vorgang, dessen Faszination man sich schwer entziehen kann.

Melonen, Kokosnüsse, Mixgeräte, Foto-Apparate, Mobiltelefone, alles landet unter der Presse, auch (4,3 Millionen Zuschauer!) ein dickes Vokabelbuch Suomi-Englanti-Suomi, dem die Presse als einzigem Gegenstand nicht gewachsen ist: Irgendetwas Fürchterliches geschieht während des Hydraulikvorganges, Gegenstände fliegen, eine Kamera geht kaputt, man versteht’s nicht recht, aber klar ist: Bücher sind widerstandsfähiger als mancher denkt! Wahrhaft entsetzlich: das Bild einer Barbie-Puppe, die unter dem erbarmungslosen Stempel zu formloser Masse wird, aus der nur die Beine sich unzerstört herausspreizen.

Und: Mehr als zehn Millionen sahen das Video, in dem ein sieben Mal gefaltetes DIN-A4-Blatt unter der Druckgewalt und den What-the-fuck!-Rufen des Moderators regelrecht aus dem Gerät spritzt, zu Stein oder Plastik geworden, was weiß ich?! Zehn Millionen!

Und auch hier: Beruhigung. Der Betrachter entspannt sich, es handelt sich wohl um eine stellvertretende Auslebung des in vielen von uns mehr oder weniger schlummernden Rohen und Gemeinen, sodass man nicht anders kann als, zum Beispiel, Teilen der österreichischen Wählerschaft die regelmäßige Betrachtung hydraulischer Bearbeitungen von Kaspressknödeln, Skischuhen und Autobahnmautpickerln nahezulegen. Und wäre es nicht auch hilfreich, wenn AfD-Parteitage mit einem fünfstündigen Föhn-Video begönnen?

Illustration: Dirk Schmidt