Vor uns die Sintflut

Tsunamis, Erdbeben, Vulkanausbrüche: Kaum ein Land ist so gefährdet von Naturkatastrophen wie Indonesien. Wie gehen die Menschen mit dieser Bedrohung um? Eine Expedition in Bildern.

Die Daten der Messstationen waren eindeutig: Der Merapi, ein knapp 3000 Meter hoher Vulkan auf der indonesischen Insel Java, würde im Oktober 2010 ausbrechen. Die Behörden ließen alle Dörfer im Umkreis von zehn Kilometern evakuieren, doch Mbah Maridjan, ein Greis von mehr als achtzig Jahren, blieb in seiner Hütte. Maridjan, den alle »Wächter des Berges« nannten, war Schamane und überzeugt davon, den Vulkan zu verstehen und seine Launen vorhersagen zu können. Er glaubte nicht an einen Ausbruch. Am 26. Oktober 2010 starben Maridjan und 15 seiner Getreuen, als der Vulkan glühende Asche auf die Hütte des Schamanen regnen ließ.

Doch der Wächter des Berges ist für die Einheimischen unsterblich: Maridjan ist ein Idol, jeder in der Gegend kennt den Mann, der sich dem Vulkan entgegenstellte und verlor. Der Schamane ist der wohl prominenteste Vertreter des traditionellen Umgangs der Indonesier mit den Naturkatastrophen, die seit Jahrhunderten das bevölkerungsreichste Land Südostasiens verwüsten – es ist eine Mischung aus Aberglaube und Schicksalsergebenheit. Ein Achselzucken der kleinen Menschen gegenüber der riesigen Natur, die mit Urgewalt ihr Revier verteidigt.

Die beiden deutschen Künstler Miguel Hahn und Jan-Christoph Hartung reisen seit Jahren um die Welt, um Menschen in extremen Situationen zu fotografieren. In Indonesien wollten sie erkunden, wie die Bewohner besonders betroffener Regionen mit der Gefahr von Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüchen umgehen. Und tatsächlich, der Glaube von Mbah Maridjan lebt in den Dörfern nahe der Vulkane fort, nicht nur am Merapi, auch am Ijen, einem anderen Berg, der regelmäßig Asche und Lava spuckt. Die Menschen dort müssen sich mit dem Vulkan arrangieren, die Böden nahe des Kraters sind besonders fruchtbar, außerdem lassen sich dort Schwefel gewinnen und wertvolle Baumaterialien aus Vulkangestein abtragen. »Viele Leute sehen in der Natur keine Gefahr, sie nehmen die Bedrohung als Teil des Lebens war«, sagt Miguel Hahn. In den örtlichen Sprachen heißt es nicht: »Der Vulkan bricht aus«, sondern: »Der Vulkan arbeitet«. Und wenn etwas oder jemand unter der Asche begraben wird, ist das eine Art Arbeitsunfall, schlimm, aber eben Schicksal.

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Schamanen gibt es noch, ihr Wort wiegt in manchen Orten mehr als die Daten der Wissenschaftler. Deren Versuch, mit Sensoren, Seismografen und internationalen Forscherteams den Naturgewalten empirisch auf die Spur zu kommen, ist das Gegenteil der traditionellen Sichtweise, menschliche Sünden und nicht die ungünstige geografische Lage am Rand tektonischer Platten für die Naturgewalten verantwortlich zu machen. Durch einige Dörfer verlaufe ein regelrechter Spalt, berichten die Fotografen: Die einen glauben an die wehrhafte Natur, die anderen an die Daten der Forscher. Und beide Seiten denken übereinander: Mit diesen lächerlichen Mitteln soll man die Macht der Natur begreifen? Spiritualität versus Empirie, ein Konflikt, so alt wie die Menschheit.

Bei ihrer zweimonatigen Recherche in Indonesien ist den Fotografen noch ein weiterer Standpunkt aufgefallen: der von Touristen, die mit Jeeps auf die Vulkane gekarrt werden oder an tsunamigefährdeten Stränden mit All-inclusive-Cocktails in der Sonne liegen. Viele von ihnen kommen auch, um sich ein bisschen zu gruseln angesichts der latenten Gefahr, sie machen Selfies vor Warnschildern und wollen das traditionelle Wird-schon-werden-Gefühl der Indonesier spüren, zumindest für die Dauer der Ferien. Andererseits legen Besucher Wert auf das Gefühl, dass im Notfall alles gut vorbereitet ist.

Also haben die Indonesier für Touristen einen Kompromiss gefunden: Lässig zur Schau gestellten Gleichmut bei gleichzeitiger omnipräsenter Sicherheitssymbolik. Schilder zu Fluchtwegen und Unterständen sieht man überall, mancherorts gibt es alle paar Meter sogenannte Tsunami-Warnknöpfe, mit denen das Hotelpersonal Alarm auslösen kann – auch wenn Mitarbeiter den Fotografen erzählt haben, dass diese Schalter eher der Beruhigung der Gäste dienen als echtem Katastrophenschutz. Für Luxushotels gibt es sogar ein Zertifikat, das sie in ihre Kataloge drucken können: »Tsunami-Ready«. Die Touristen danken es ihnen, indem sie Vulkan-Souvenirs und anderen Katastrophen-Krimskrams kaufen. Besonders beliebt: T-Shirts mit dem Gesicht von Mbah Maridjan, dem toten Schamanen.

Fotos: Miguel Hahn und Jan-Christoph Hartung