Die verlorenen Flüchtlingskinder

In griechischen Flüchtlingslagern werden jeden Tag Babys geboren. Für viele Mütter und Väter ist das weniger Anlass zur Freude als zur Verzweiflung.

    »Ich habe Elin im Bauch über das Meer gebracht. Ich muss sie weiter durchbringen. Aber in Wahrheit habe ich schon aufgegeben«, sagt Aysha Hassan, Flüchtling aus Kobane. Mit Elin und ihrem Mann lebt sie in Skaramagas, einer von 3500 Flüchtlingen bevölkerten Hafenanlage bei Athen.

    Leila Arous sagt, dass sie sich aus Syrien auf den Weg nach Europa gemacht hat, weil sie wollte, dass ihre Kinder leben können. Aber nun ist Roliana tot. Roliana wurde nur eine Woche alt. Leila Arous trug ihre zweite Tochter noch im Bauch, als sie mit ihrem Mann und der Dreijährigen mit dem Boot die griechische Insel Lesbos erreichte. Im Elend des Flüchtlingslagers ganz im Norden Griechenlands, in dem die Familie aus Aleppo schließlich landete, wurde Roliana nach der Geburt immer schwächer. Als sie in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, war es schon zu spät.

    Das Lager, in dem Leila Arous nach diesem Erlebnis noch immer leben muss, scheint ebenso vergessen worden zu sein wie die Weiterreiseanträge der Menschen, die hier in Zelten untergebracht sind. Über 50 000 Flüchtlinge, die allermeisten davon aus Syrien, sitzen seit der Schließung der Balkanroute und dem sogenannten »Türkei-Deal« der Europäischen Union in Griechenland fest. Sie kommen nicht voran. Und können nicht zurück. Der griechische Staat ist entweder nicht imstande oder nicht gewillt, sie alle menschenwürdig unterzubringen.

    Mittlerweile befinden sich mehr Frauen und Kinder auf der Flucht nach Europa als Männer, jede zehnte Frau darunter ist schwanger. Oft harren Frauen und Kinder in dieser Situation aus, deren Männer und Väter sich zuerst auf die gefährliche Reise gemacht und es bereits nach Deutschland geschafft haben. Doch die Familienzusammenführungen werden oftmals unmöglich gemacht.

    Meistgelesen diese Woche:

    In der Sackgasse von Griechenland kommen, wie an allen Schauplätzen der aktuellen Flüchtlingsbewegungen, fast täglich Kinder zur Welt. Direkt im Dreck der Flüchtlingslager oder in griechischen Krankenhäusern, die aufgrund der Staatskrise ohnehin überlastet sind. Sie kommen auf eine Welt, die nicht für sie gemacht ist, die nur von Zeltplanen geschützt wird und in der ihre Mütter und Väter, deren letzte Hoffnung diese Kinder sind, für sich selbst längst keine Zukunft mehr sehen.

    Roliana war eines dieser Transitkinder, deren Geschichte der SZ-Magazin-Reporter Patrick Bauer und die Fotografin Tanja Kernweiss bei ihrer Reise durch die griechischen Flüchtlingslager erfahren haben. Die anderen, zum Glück noch am Leben, heißen Hamoda, Rnde, Yusra, Elin, Ashmad, Omran, Djwar und Aniyah. Es sind die Namen von Kindern aus einer sonst namenlosen und staatenlosen Generation, die an den Rändern unseres Wohlstands aufwächst und eine verlorene Generation zu werden droht. Bauer und Kernweiss schildern in ihrer Reportage das Elend und die Hoffnungslosigkeit der in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge – und beschreiben, wie Mütter und Väter unter widirgsten Umständen mit dem Mut der Verzweiflung für die Zukunft ihrer Kinder kämpfen.

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    Geboren auf der Flucht

    Seit der Schließung der Balkanroute sitzen in Griechenland Zehntausende fest. Mitten im Chaos kommen täglich Babys auf die Welt. Viele wachsen ohne Vater auf, viele wohnen im Dreck - und manche überleben das Elend nicht.

    Foto: Tanja Kernweiss