»Wenn die eigene Tochter spielt, denken viele Eltern um«

Frauenfußball in Palästina wächst – und ist für die Sportlerinnen mehr als eine Freizeitbeschäftigung. Die Fotografin Anthea Schaap hat miterlebt, wie die Frauen abseits des Platzes gegen Vorurteile, patriarchalische Strukturen und Straßenblockaden auf dem Weg zum Training kämpfen.

Name: Anthea Schaap
Alter: 14.09.1988
Wohnort: Berlin
Website: Tomorrow-we-ll-win
Ausbildung: Fotografie-Studium an der Ostkreuzschule, Berlin

SZ-Magazin: Sie haben für Ihr Projekt »tomorrow we’ll win« Fußballerinnen in Palästina, im Libanon und dem Westjordanland fotografiert. Wie kommen die Mädchen dort zum Fußball?
Anthea Schaap: Meistens über ihre Brüder. Sie kicken erst auf der Straße mit anderen Kindern und wenn sie Glück haben, gibt es in der Nähe eine Frauenmannschaft. Mittlerweile hat die palästinensische Nationalmannschaft der Frauen aber auch eine gewisse Berühmtheit erlangt. Erfolgsgeschichten wie die von Honey Thaljieh, die durch den Fußball inzwischen in der Schweiz lebt und für die FIFA arbeitet, spornen die Mädchen an.

Seit wann gibt es Frauenfußball in Palästina in dieser organisierten Form?
Der erste richtige Verein in Palästina wurde 2008 in Bethlehem an der Universität gegründet. Das war der Vorläufer von Diyar Bethlehem, einem Verein, der heute in der ersten palästinensischen Liga spielt. Noch bevor es einen richtigen Ligabetrieb gab, haben die Frauen bereits eine Nationalmannschaft gegründet und sind dadurch viel herum gekommen, sie hatten Nationalspiele in Jordanien, Ägypten oder waren zu Besuch bei deutschen Vereinen. Trotzdem ist es immer noch sehr schwer, gemeinsam zu trainieren und sich auf Spiele vorzubereiten, weil sie so wenig zusammen trainieren können.

Woran liegt das?

Zum einen, weil die Spielerinnen aus ganz verschiedenen palästinensischen Gebieten anreisen müssen und durch die Straßenblockaden dafür oft eine stundenlange Fahrt auf sich nehmen, zum anderen lässt die Infrastruktur vor Ort ein regelmäßiges Training nicht zu. Es gibt nicht viele gute Stadien und wenn doch, sind sie meistens von den Männermannschaften belegt. Größtenteils spielen die Frauen auf einfachen Betonplätzen.

Womit haben die Spielerinnen noch zu kämpfen?

Die gesellschaftlichen Vorurteile sind nach wie vor groß. Frauen, so die landläufige Meinung, haben einfach nicht Fußball zu spielen, die patriarchalische Gesellschaft ist da noch immer rigoros. Oft dürfen Mädchen bis zu ihrer Pubertät noch spielen. Ab diesem Zeitpunkt aber, sollen sie sich in den Augen vieler Eltern auf ihre Rolle als Frau in der Gesellschaft vorbereiten. Wenn sie älter sind und nicht mehr so sehr unter dem Einfluss ihrer Eltern stehen, kann es sein, dass ihre Verlobten oder Ehemänner nicht wollen, dass sie diesem Sport nachgehen und verbieten es.

Trotz all dieser Hemmnisse spielen dort immer mehr Frauen Fußball. Wie erklären Sie sich das?

Für viele ist der Sport der Weg zur Selbstbestimmung und Befreiung. Es geht dabei nicht nur um das Spiel als ein Hobby. Es geht um ihr Selbstbild und ihre Rolle als unabhängige Frauen. Dadurch haben sie wenigstens über einen Teil in ihrem Leben die Kontrolle. Ich war bei einer Spielerin Zuhause, Nevin, Nationalspielerin und ursprünglich aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Bethlehem. Ihre Familie ist sehr konservativ und religiös. Alle ihre Schwestern sind verheiratet und haben drei Kinder. Nevin dagegen, ist nicht verheiratet und spielt Fußball. Es hat gedauert, aber inzwischen akzeptiert ihre Familie das.

Der Sport löst also nicht nur bei den Frauen etwas aus, die ihm nachgehen?

Ja, er löst auch in ihren Familien etwas aus. Für viele ist dieser Sport ausgeübt von Frauen, etwas ganz Neues und Ungewohntes. Wenn die eigene Tochter dann aber spielt, denken viele Eltern um. Es gibt zum Beispiel eine Frau, Marian, die für Bethlehem spielt und mich zu sich nach Hause mitgenommen hat. Im ganzen Haus hängen ihre Medaillen von Turnieren oder Fotos von ihren Spielen. Ihre Mutter redet ganz begeistert von ihrer Tochter. Auch wenn ihre beiden Söhne auch Fußball spielen, ist es Myriam, auf die sie wirklich stolz ist. Das war bestimmt nicht von Anfang an so.

In der Region, in der Sie für Ihr Projekt waren, spielen Herkunft und Religion oft eine Rolle für die andauernden Unruhen. Welchen Einfluss haben sie auf den Teamgeist?

Das war eines der Dinge, die mich überrascht haben. Ich habe am Anfang ein paar Mal nachgefragt, wer im Team muslimischen Glaubens oder wer eine Christin ist. Sie haben auf Nachfrage zwar meine Frage beantwortet, gleichzeitig haben sie mich aber mit einem Blick angeschaut, der so ungefähr sagen sollte: »Warum sollte das wichtig sein?«

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Fotos: Anthea Schaap