Braunau in Georgien

Auf bis zu 20 Millionen Todesopfer wird die grauenvolle Bilanz des Stalinismus geschätzt. In seinem georgischen Geburtsort wird Stalin aber noch immer Menschen verehrt, seine Büsten geküsst, sein Ebenbild auf Tassen gedruckt. Der Fotograf Sebastian Hopp war für eine Reportage vor Ort.

Name: Sebastian Hopp
Alter: 07.03.1989
Wohnort: Berlin
Website: http://sebastian-hopp.com/startseite/
Ausbildung: Fotografie-Studium an der Fachhochschule Dortmund

SZ-Magazin: Gibt es den Stalin-Kult in Georgien wieder oder immer noch?
Sebastian Hopp:
Es gibt ihn immer noch. Vor allem ältere Menschen, vorrangig Männer, die Stalin und die Sowjetunion noch miterlebt haben und unzufrieden mit der derzeitigen Politik sind, sehen ihn als den einzig wahren großen Herrscher. In Gori, der Geburtsstadt Stalins, habe ich die Bevölkerung als geteilt wahrgenommen. Die einen feiern Stalin, die anderen versuchen mit dem Kult Geld zu verdienen und alle anderen wollen damit nichts zu tun haben.

Gori liegt nahe der georgischen Hauptstadt Tiflis, wie geht es den Menschen, die dort leben?

Die meisten Bewohner haben nicht viel Geld und leben teilweise noch mit einer Toilette im Hinterhof und versuchen von ihrem selbstangebauten Gemüse über die Runden zu kommen. Ich denke, daher kommt auch dieser Personenkult um Stalin. Die Leute schauen verklärt auf die Vergangenheit, weil es ihnen gerade wirtschaftlich nicht gut geht.

Wie kann man sich diesen Kult vorstellen?

Ich habe miterlebt, wie ein Mann ab und an eine Büste Stalins, die in seinem Garten steht, zur Verehrung küsst. Ein Souvenir-Shop vertreibt T-Shirts, Tassen und Teekannen – alles mit Stalins Gesicht darauf. Auf einem meiner Bilder sieht man auch einen Mann, der sich das Gesicht Stalins auf die Brust tätowiert hat. Er hat mir erzählt, dass er das gemeinsam mit neun ehemaligen Soldaten gemacht hat, nachdem Stalins Leichnam aus dem Mausoleum in Moskau entfernt wurde. Sie wollten ein Zeichen dafür setzen, dass er trotzdem in ihren Herzen bleibt. Ich habe aber auch erfahren, dass manche Menschen, die in einem Gulag in Sibirien waren, ebenfalls ein Tattoo tragen – aus einem ganz anderen Grund: Es herrschte damals der Glaube, dass man nicht erschossen wird, wenn man das Ebenbild des Führers trägt, weil auf den Führer nicht gezielt wird. Sie haben dadurch versucht, ihr Leben zu retten.

Wofür steht Stalin bei den Menschen dort?

Seine Verehrer sehen in ihm einen georgischen Mann, der es aus einfachsten Verhältnissen zu einem weltpolitisch einflussreichen Mann geschafft hat. Es geht um Stolz – ich hab noch nie ein so stolzes Volk wie die Georgier gesehen. Gleichzeitig findet so gut wie gar keine Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit den Gräueltaten statt, die es unter Stalins Regime gab. Es wird vor allem Wert darauf gelegt zu bekräftigen, dass Stalin derjenige war, der die Sowjetunion vor Hitler beschützt hat.

2010 wurde in einer Nacht- und Nebelaktion eine große Stalin-Statue in Gori von ihrem Sockel geholt. Wer versucht denn dem Stalin-Kult entgegenzuwirken?

Die Regierung versucht schon länger, den Personenkult einzudämmen. Ich habe auch von einem Gesetz gehört, das besagt, dass alles was in irgendeiner Weise mit Stalin zu tun hat, nicht in der Öffentlichkeit stattfinden darf. Im Zuge dessen, wurden Statuen weggesprengt oder abgebaut. Nach längerem Suchen habe ich eine der abgebauten Statuen auf einem Bauhof gefunden. Die Statue lag – das machte es für mich so schwer, sie zu finden. Viele Georgier wollten nicht, dass Stalin in dieser Position fotografiert wird, es erschien für sie entwürdigend.

Trotz der Bemühung der Regierung gibt es in Georgien in jeder größeren Stadt stalinistisch geprägte Parteien. Wie schätzen Sie deren Einfluss ein?

Bisher ist der Einfluss dieser Parteien nicht wirklich groß. Dafür sind zu wenige Menschen aktiv. Ich habe einige Parteitreffen besucht und hatte mehr das Gefühl, dass es dabei um eine Zusammenkunft in der Gemeinschaft ging. Trotzdem finde ich, dass es wichtig ist, diese Strömung ernst zu nehmen. Es erinnert mich ehrlich gesagt daran, wie in Deutschland lange Zeit mit rechten Parteien umgegangen wurde. Die Politik sollte handeln, bevor diese Menschen wieder mehr Macht bekommen.

Fotos: Sebastian Hopp