Models und Miezen

An niedlichen Kätzchen können Sie sich nicht sattsehen? Walter Chandoha schon gar nicht: Er fotografiert sie seit siebzig Jahren.

Ich habe nichts gegen Hunde, wirklich nicht. Aber es gibt nicht dieselbe Verbindung wie mit Katzen. Eine Katze ist irgendwie … sensibler. Ansprechbarer«, sagt Walter Chandoha. Er hat den Cat Content erfunden, bevor es den Begriff überhaupt gab: Seit gut siebzig Jahren fotografiert der heute 97-Jährige Katzen, in den USA gilt er als »Vater der Katzenfotografie«. Mehr als 200 000 Bilder umfasst Chandohas Fotoarchiv, seine Katzenporträts waren auf Hunderten Magazintiteln und in Tausenden Werbekampagnen zu sehen. Zeitweise, sagt er, stammten neunzig Prozent aller Werbebilder für Hunde- und Katzenfutter in den USA von ihm (manchmal fotografierte er dann doch auch Hunde).

Walter Chandoha mit seinem Sohn Enrico im zum Studio umgebauten Wohnzimmer. Das Foto entstand in den Sechzigerjahren - später nutzte die Familie ihre Scheune für Shootings.

Chandoha lebt mit seiner Tochter Chiara auf einer Farm in New Jersey. Aber nicht im Ruhestand: Auf die E-Mail-Anfrage des SZ-Magazins antwortet er persönlich und binnen weniger Stunden. Wie viele Bilder man brauche und bis wann? Für wie viele Seiten? In Farbe oder Schwarz-Weiß?

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Chandoha hat Probleme mit dem Hören und leichte Arthritis. Trotzdem steht er morgens im Garten und jätet die Gemüsebeete. Er postet auf Instagram und Facebook. Zwischendurch schaut er nach Maddie, dem jüngsten Neuzugang der Chandohas: eine orangefarben getupfte Vierjährige. Erst heute Morgen habe er sie in der Küche fotografiert, erzählt Chandoha am Telefon: »Sie hielt ihre Schnauze unter den Wasserhahn und leckte die Tropfen auf. So etwas habe ich noch nie gesehen!« Die Möglichkeiten der Katzenfotografie seien unendlich. »Ich finde immer noch Motive, die anders sind als sämtliche Katzenbilder, die je gemacht worden sind.«

Chandohas Motive waren in der Katzenfutterwerbung sehr beliebt.

Seine Karriere verdankt Walter Chandoha seinem ersten Kater namens Loco, spanisch für »durchgeknallt« – aus unerfindlichen Gründen flitzte Loco Nacht für Nacht wild durch die Wohnung. Chandoha hatte ihn gefunden, als er Ende der Vierzigerjahre in New York lebte. »Eines Tages sah ich auf dem Heimweg ein graues Kätzchen im Schnee zittern, also packte ich es in meine Tasche.« Zu der Zeit studierte Chandoha Marketing, das Fotografieren lernte er nebenbei. Mit Loco auf seinen Probebildern, entdeckte er, bekam er mehr Aufträge als mit jedem anderen Motiv. »Ich wollte ein Foto, wie Loco durch die Luft springt. Zufällig hörte ich von einem Physiologen namens Pawlow, der das Verhalten von Tieren steuerte, indem er sie belohnte. Ich stellte zwei Stühle auf, auf dem einen platzierte ich einen Leckerbissen. Dann zog ich sie auseinander. Es klappte: Loco sprang.«

Chandohas älteste Tochter Paula mit Precious, einem der vielen Kätzchen, die die Familie aufzog.

Auf Loco folgten Minguina, Kome, Friend, Spook und Jet und viele andere – Chandoha fotografierte seine eigenen Katzen und die seiner Freunde und Nachbarn, er fand seine Modelle auf Katzenausstellungen und in Tierheimen. Seine Frau Maria wurde zu seiner wichtigsten Mitarbeiterin: »Sie schmierte das Ohr eines Katzenbabys mit einem Stück Speck ein, was die Mutter dazu brachte, es zu lecken.« Maria sei eine Katzenflüsterin gewesen. »Sie lenkte die Katzen ab, massierte sie und belohnte sie mit Leckerbissen.« Das Paar hielt auch drei Hunde. »Es wurde gebellt, miaut, gefaucht und gejault. Wie in einem Irrenhaus. Aber die Katzen hatten immer das Sagen.« Maria starb 1992.

Mehr als 200 000 Bilder schlummern in Chandohas Archiv. Manchen Tieren, zum Beispiel dem Kätzchen oben, lässt sich kein Name mehr zuordnen.

Sind Katzen fotogener als Hunde? »Absolut. Hunde wedeln mit dem Schwanz und hecheln mit der Zunge, aber ich finde, sie sind in ihrem Gesichtsausdruck limitiert. Katzen können in ihrer Körpersprache alles ausdrücken von Neugier, Erwartung und Anspannung bis zu Wut und Zufriedenheit.«

Floyd lebte auf der Familienfarm und half gern beim Fischen: Zog einer der Chandohas einen Fisch aus dem Teich, schlug Floyd ihn gleich mit der Tatze tot.

Und Menschen? »Menschen sind sich ihrer immer bewusst. Katzen lächeln nicht, wenn man die Kamera auf sie hält. Darum bevorzuge ich Katzen.« Seit den Neunzigerjahren fotografiert Chandoha digital, fast sein gesamtes Schaffen befindet sich aber nach wie vor auf Analogfilm. Seine Tochter Chiara und er arbeiten nun daran, die Bilder zu digitalisieren. »Es wird noch zehn Jahre dauern. Ich werde mein Bestes tun, so lange durchzuhalten.«

Walter Chandoha bei sich zu Hause in New Jersey - mit Maddie, seiner jetzigen Katze.

Schaut er sich manchmal Katzenvideos im Internet an? »In meiner Freizeit lese ich lieber Bücher«, sagt Chandoha. Aber er könne sich erklären, warum Cat Content so erfolgreich ist: »Ich glaube, viele Menschen wollen insgeheim sein wie Katzen. So selbstbestimmt und unabhängig. Es gibt nichts Schöneres als eine Katze, die sich zusammenrollt und einschläft. Die Zufriedenheit und Ruhe, die sie dabei ausstrahlt, ist wie von einer anderen Welt.«

Fotos: Walter Chandoha