Alarm für Iller 2

Ein Landkreis, drei Streifen: Auf dem Land fehlen Polizisten. Unterwegs auf einsamem Einsatz im Allgäu

Als die beiden zum ersten Mal zusammen Streife fuhren, verfolgten sie einen Betrunkenen, der einen Laternenmast umgetreten hatte. Der Mann sprang über einen Zaun und pflügte die Weide hoch. Kalle, damals wie heute stets in Schutzweste und mit Schlagstock am Gürtel, riss die Beifahrertür auf, keuchend hinterher. Und der Pauli - das bleiche Uniformgrün, das sie nur noch in Bayern tragen, spannte bei ihm damals wie heute - steuerte den Wagen um den Zaun, tuckerte im Zweiten übers Gras, parkte sich in den Weg, und als Kalle angestolpert kam, rief er dem flüchtenden Kerl schon zu: Moin, wo willst du hin, du Vogel?

War gleich klar, dass sie ein gutes Duo sind. René Pauli, 50, Hamburger, ein Schnacker. Und Benedikt Karl, 27, Polizistensohn aus Augsburg, einer, der erst warm werden muss. Pauli war Kalles Bärenführer, Bürgersprache: Mentor. 2011 war das, Pauli war da schon sechs Jahre im Ostallgäu, Polizei- inspektion Füssen - Rufname Iller 22 -, 424 Quadratkilometer Dienstbereich, 50 000 Bewohner, 1,2 Millionen Urlauber, 27 Seen, Neuschwanstein. Pauli war wegen der Liebe in den Königswinkel gekommen. Kalle wegen der Berge. Kalle ist nebenher Mitglied der alpinen Einsatzgruppe der Polizei, seilt sich vom Hubschrauber ab, sucht Vermisste, birgt Tote. Berge stehen massiver als die Liebe. Kalle klettert, sobald er freihat, noch auf dieselben Gipfel, aber die Frau, die Pauli liebt, ist heute eine andere, Patchwork, kein Geheimnis. Von zehn Stunden Dienst hockst du acht im Auto, da erzählt man sich einiges.

Zwei Streifen fahren aus Füssen, tagsüber noch eine in Pfronten, nachts übernehmen sie auch dort. Ein Wagen bestreift das Stadtgebiet, der andere fährt über Land, Richtung Lechbruck. Wenn bei Halblech ein Mountainbiker stürzt, brauchen sie eine halbe Stunde hin und sind im Funkloch. Kalle sagt, in Füssen wird man schnell erwachsen. In der Stadt kommt gleich Verstärkung, ein Diensthöherer. Hier bist du allein. Mit dem Feuer. Mit dem Springer, der sich vom Dach vor deine Füße wirft. Mit dem Kerl, der 87 Waffen im Keller versteckt. Mit dem verletzten Pferd, das du erschießen musst. Mit den Eingequetschten im Autowrack. Mit der Familie, die der Schlepper stehen ließ. Die schöne ist keine heile Welt. Nach Dienstschluss triffst du im Supermarkt den Kerl, der seine Frau schlägt. Sie sind näher bei den Leuten. Auch bei den Kollegen. Ein junges Team, ein Chef per Du, jeder hilft aus.

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Pauli ist jetzt in der Verfügungsgruppe, kümmert sich vor allem um häusliche Gewalt, läuft nebenher als Kontaktbeamter durch die Fußgängerzone - das hat früher ein Beamter hauptberuflich gemacht - und fährt nur bei Bedarf. Also oft. Sie sind zu wenige, 42 Beamte. Der Chef sucht junge Leute aus der Region, die Gewerkschaft schlägt Alarm. War richtig schlechte Stimmung voriges Jahr, nur noch Arbeit, und der Ärger mit dem neuen Computersystem, sie drucken Formulare aus, nur um sie wieder einzuscannen. Sie haben sich dann ein neues Schichtmodell ausgedacht, nun gibt es zwischendurch vier Tage frei, durchatmen.

Aber sobald einer krank ist oder Überstunden abbaut, sobald Kalle auf den Berg muss, gibt es Probleme. Wer Urlaub nimmt, hat ein schlechtes Gewissen. Sie sind diese »multifunktionalen Beamten«, von denen Innenminister träumen. Sie wollen ja. Aber nur weil sie wollen, können sie noch. Die Bürgermeister aus dem Hinterland beschweren sich: Bei uns war Monate keine Streife! Sie stellen sich eine halbe Stunde pro Schicht mit der Laserkanone an die Straße, damit sie gesehen werden. Sie fahren kreuz und quer, damit die Leute nicht denken, es gebe sie nicht mehr.

Foto: Daniel Delang