Unsere Obsession mit weißen Weihnachten

Alle Jahre wieder... hofft man in Deutschland auf Schnee an Heiligabend. Und wird doch meist enttäuscht. Zum Trost: »Weiße Weihnachten« sind eine Erfindung der Postkartenindustrie – und Regen an Heiligabend hat sogar echte Vorteile.

Im Jahr 2017 war es knapp, immerhin. Am dritten Advent stapfte man noch durch einen kleinen Schneesturm auf dem Weihnachtsmarkt im Münchner Umland, aus einem Lautsprecher sang Dean Martin »Let it snow«, wie schön das war. Aber warum eigentlich? Woher kommt diese Sehnsucht? Warum soll unbedingt Schnee liegen an Heiligabend, einem Fest, dass an die Geburt eines Kindes vor 2000 Jahren im schneearmen Bethlehem erinnert, wo es gestern 22 Grad hatte? In der Bibel steht nichts vom Nordpol und Rentierschlitten.

Und mal praktisch gesehen: Ist Schnee nicht eher gefährlich, wenn das halbe Land zur anderen Hälfte zu Besuch fährt über Landstraßen und Autobahnen? Versinkt die Deutsche Bahn nicht immer ab fünf Zentimeter Schnee im Winterchaos? Und ist man Ende Dezember nicht ohnehin genervt von all den Kunstschnee-Kulissen der Werbekataloge, von den künstlichen Weihnachtsbäumen mit Wattebausch darauf in Adventsshows wie Florian Silbereisens »Fest der 1000 Lichter«?

Erstaunlicherweise nicht. Der ganze Kitsch kann die Freude auf weiße Weihnachten nicht nehmen. Da ist am vierten Advent immer noch genug Sehnsucht nach dem Winter Wonderland. Hoffnung, dass leise der Schnee rieselt. Wer wünscht sich nicht, dass Schneeflöckchen-Weißröckchen an Heiligabend am Fenster vorbeifliegt und drauß vom Walde jemand durch den Schnee stapfen kann. Die Sehnsucht nach weißen Weihnachten wird einem in Deutschland schon als Kind vorgelesen. Kaum eine Geschichte ohne Schnee, Tannen, Schlitten.

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Dezemberschnee hat ja auch etwas Magisches an sich, er legt sich auf eine Stadt wie eine frische weiße Bettdecke, dämpft und beruhigt alles darunter. Das Warten aufs Christkind erleichert er obendrein: Kinder können die Aufregung vor der Bescherung mit Schneeballschlachten und Schlittenfahren überdecken, Erwachsene sitzen mit Glühwein vor dem Fenster und denken versonnen an Weihnachten als Kind zurück. Lag damals nicht immer Schnee an Weihnachten?

Nein. Der Spiegel hat eine Statistik dazu erstellt: Der zufolge gab es selbst im alpennahen München in den Fünfzigerjahren nur jedes zweite Jahr weiße Weihnachten. Und in den gesamten Achtzigern nur an zwei Jahren. Schnee in ganz Deutschland gab es an Weihnachten zuletzt 1981, seitdem mal hier, mal dort – und eher selten. Der richtig kalte Winter beginnt im Flachland eben erst im Januar, man müsste Weihnachten verlegen, vier Wochen später und die Chancen wären deutlich besser.

Oder man erinnert sich an früher, also: ganz früher. Die schweizer Klimaforscherin Martine Rebetez hat den Mythos weiße Weihnachten untersucht. Ihr fiel auf, dass die frühesten Weihnachtskarten um 1843 in England noch ohne Winteranzeichen gemalt wurden – und erst einige Jahre später Schnee auf den Dächern gezeichnet wurde. Sie vermutet, dass die Künstler von Reisen in die Alpen inspiriert wurden oder ausgewanderte Europäer in schneereichen Gebieten der USA den Schnee auf die Karten brachten. Damit prägten sie unsere Erwartungen, die das Wetter schon vor 150 Jahren nicht erfüllen konnte.

Das wäre doch mal ein guter Retro-Trend: realistische Weihnachtskarten mit Regenwetter, das Christkind im Friesennerz, der Weihnachtsmann versaut das Wohnzimmer mit seinen Matschstiefeln und statt mit dem Schlitten kommt er wie Mary Poppins mit dem Regenschirm vom Himmel geflogen. Was für eine neue Warenwelt sich da öffnet: Regenschirme mit Rentieren drauf, Nikolaus-Gummistiefel, regenfeste Nikolausmützen. Tchibo, übernehmen Sie.

Fotos: dpa