Gedanken über Gedanken

Erstaunt erfährt unser Kolumnist, dass es eine »globale Denker-Liste« gibt. Ist das so etwas ähnliches wie die Tennis-Weltrangliste? Und bei was für Wettbewerben könnte man denn ermitteln, wer am besten denkt?

Menschliche Gedanken können unterschiedlichste Formen annehmen. Manche ähneln einer Nadel, andere filzigem Wollstoff, weitere haben die Form einer Blumenvase. Dann gibt es solche: schwebend wie die Feder einer sehr jungen Ente. Der Schriftsteller Nicholson Baker hat übrigens mal in einem Aufsatz unter dem Titel Wie groß sind die Gedanken? vorgeschlagen, man solle sich das Denken vorstellen wie ein halbes Glas Wein, das auf einem frisch gestärkten Tischtuch ausgekippt worden sei. »Beobachten Sie«, schrieb er, »völlig absorbiert, wie die Ränder des Flecks ihren Weg nach außen suchen, dabei jede ausgedörrte Baumwollkapillare Fädchen um Fädchen sättigen und dann weiterziehen – eine lautlose, glückliche Explosion ohne bewegliche Teile. Ein Gedanke bewegt sich mit der Geschwindigkeit dieses Flecks voran.«

Das gilt natürlich auch wieder nur für eine bestimmte Art von Gedanken. Aber nun las ich im Unternehmensteil der Frankfurter Allgemeinen ein Gespräch mit dem deutschen Informatiker Sebastian Thrun, der, wie ich erfuhr, im Silicon Valley ein »Star« sei, doch ist das hier nicht wichtig. Von Bedeutung ist: Es hieß, Thrun habe einmal »Rang vier auf der globalen Denker-Liste« eingenommen.

Das hat mich interessiert: die »globale Denker-Liste«. Wie muss man sie sich vorstellen? Wie die Tennis-Weltrangliste? Da finden regelmäßig Turniere statt, bei denen es sich zu bewähren gilt. Und was mich auch fasziniert, das ist: der Gedanke als Sportgerät, in Form eines Speeres oder einer Hantel.

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Könnte man sich solche Wettkämpfe also auch für Denker vorstellen? Gibt es sie gar? Und wenn ja, wie sehen sie aus? Und wenn nein, wie sähen sie aus?

Müssten zum Beispiel die in Frage kommenden Denker sich versammeln, um ihre Gedanken zu äußern, die dann, wie beim Eiskunstlaufen, von einer Jury beurteilt würden? Sodass es auch um die Schönheit von Gedanken gehen könnte oder den ästhetisch befriedigenden Umgang mit ihnen? Gäbe es Gedankenhochsprung oder das Heben besonders schwerer Ideen? Könnte man sich einen Gedanken als eine Art Loipe vorstellen, die man möglichst schnell absolvieren muss? Ist ein Abfahrtsrennen auf steilen Thesen denkbar? Würde man Wettbewerbsteilnehmer an Gedankenmessgeräte anschließen, Cogitometer?

Wie schön wären Radioreportagen von den Ereignissen!

»Nun, meine Damen und Herren, sehen wir Edmund Stoiber denken, den Altmeister, der schon vor Jahren mit einem 400 Meter langen Gedanken über Kompetenzkompetenzen in komplett entbürokratisierten Bürokratien so souverän in die Weltspitze aufstieg. Was wird Stoiber heute tun? Ja, da legt er seine Stirn in Falten, da zieht er seine Hirnhäute stramm, da zurrt er seine Basalganglien fest, nagelt sie förmlich an die Schläfenlappen. Da sieht man die Schädeldecke vibrieren – und was nun? Was haut er heraus? Hier, ja, da, ein erster Gedanke, wir sehen ihn schillern, schimmern, wir sehen ihn im Licht der Deckenbeleuchtung glitzern, geradezu oszillierend schwankend schwebend hervorschwullern, oha, das könnte eine dieser großartigen spontanbegnadet ins Bahnbrechende sich steigernden Hirnbrillanzen sein, die wir von ihm kennen, tief aus der subventrikulären Zone kommend, es ist, es ist, es ist, äh, ein Gedanke, äh … ähem … an Schweinsbraten. Ja, was ist da los?! Welche Enttäuschung, welche drückende Erkenntnis: Stoiber, der unbestrittene Matador der Denk-Olympiade von Bad Schwürbelbach vor Jahren, es gelingt ihm nicht, an anderes zu denken als an Schweinsbraten, woran, womit, wogegen, ja, was jetzt noch?, mit ein, zwei, drei Knödeln – und, ja, mit herrlich zwischen den Zähnen krachender Kruste, aber das wird es jetzt auch nicht mehr herausreißen, nein, nein, ist das bitter, ein Helles denkt er sich noch dazu, ja, was denkt er denn, was ist denn …?!«

Na, so viel für heute. War nur so ein Gedanke.