Wurzelbehandlung

Die Millionäre an der Côte d’Azur haben ein neues Hobby: Sie lassen uralte Olivenbäume in Spanien ausgraben und pflanzen sie neben ihren Pool.

»Der bringt mindestens 50.000 Euro, schau dir den Stamm an.« Leon Tettarasar streicht über die Rinde eines knorrigen Olivenbaums, schätzungsweise 1800 Jahre alt. Raphael Drago, sein Kompagnon, blickt über das Tal an der Quelle des Ebro: »Und da sind noch dreißig andere, fast alle so groß wie dieser hier. Das wird sich lohnen.« Seit einigen Jahren durchkämmen die beiden Männer abgelegene Landstriche in Spanien nach Olivenbäumen – je älter, desto besser. Drago, ein Transportunternehmer, und Tettarasar, ein Gärtner, graben die Bäume aus und liefern sie an die Baumschule Derbez in St-Tropez. An der Côte d’Azur sind die Könige der Bäume, wie sie in der Bibel heißen, ein begehrtes Statussymbol. Mit einem mehr als tausend Jahre alten Olivenbaum pflanzen sich Millionäre heute ein Stück Ewigkeit an den Pool. Schon bei den Griechen stand der Olivenbaum für Lebensenergie und Sieg. Triumphierende Feldherren und Olympiasieger trugen Kränze aus seinen Zweigen. Und in der Bibel war es der Spross eines Ölbaums im Schnabel der Taube, der Noah zeigte, dass nach der Sintflut das Leben auf Erden wiedererwacht war. »Ich verkaufe nicht nur Bäume«, sagt der Baumschulenbesitzer Thierry Derbez, »sondern Träume und Geschichten.« Einst kam die Olive als eine der ältesten Kulturpflanzen von Asien nach Europa, doch inzwischen liegen vielerorts die alten Haine brach, und so fällt es Derbez’ Mitarbeitern leicht, in Spanien Bäume zu finden – 2000 Exemplare holte die Firma allein im vergangenen Jahr nach Frankreich. Ein lukratives Geschäft: Mindestens 20.000 Euro sind für einen großen Baum fällig, dazu kommen vierzig Prozent Aufschlag für Pflanz- und Transportkosten. Sechs bis acht Tonnen wiegt ein tausend Jahre alter Baum, schweres Gerät ist notwendig, um die Veteranen auszugraben und quer durch Europa in Parks und Villengärten zu schaffen. »Die Wurzel muss noch weg, sonst passt er nie auf den Lkw.« Tettarasar dirigiert den Fahrer des Baggers, Metall zerteilt das knorrige Holz des Wurzelwerks. Hilfsarbeiter spalten mit Äxten einige widerspenstige Strünke. Tettarasar hält eine Messlatte an den Baum: »Hierher mit der Säge! Höher als 4,50 Meter darf er nicht sein.« Sonst passt der Baum nämlich nicht unter Brücken und Mautstationen hindurch. Als der Stumpf schließlich verladebereit ist, hat er nicht mehr viel mit einem Baum zu tun: Alle Zweige und die meisten Äste sind abgesägt worden, auch zwei Drittel des mächtigen Wurzelballens fehlen. Dennoch wird der Baum die Prozedur überleben. »Von den Tausenden Olivenbäumen, die wir geholt haben«, erzählt Tettarasar, »sind nur vier nicht wieder angewachsen. Keine andere Baumsorte überlebt eine solche Verpflanzung in dem Alter.« In Italien hat die Regierung schon in den Fünfzigerjahren Gesetze erlassen, die den Export von Olivenbäumen erschweren, jetzt ist sogar eine Verschärfung geplant, die ihn praktisch unmöglich macht. Spanien sieht dem Ausverkauf bisher nahezu tatenlos zu, und so beginnen Drago und Tettarasar, die für Derbez bestimmten Bäume festzuzurren und auf die Reise zu schicken. Nach zwölf Stunden Fahrt kommt die Lieferung an der Côte d’Azur an. Thierry Derbez’ Baumschule liegt am Ortseingang von St-Tropez. Die alten Olivenbäume stellt Derbez direkt an die Straße: »Sie sind unser Aushängeschild.« 120 Gärtner, Baggerfahrer, Maurer und Landschaftsarchitekten beschäftigt Derbez. Um fünf Uhr morgens schwärmen seine Trupps aus, schneiden Rosen, pflanzen Lavendel und Maulbeerbäume, mauern Außentreppen. Die Gärten sind die Visitenkarten der Villen hier, oft spielt Geld keine Rolle: Ein russischer Industrieller investierte jüngst acht Millionen Euro in seinen Garten. Die Olivenbäume werden dabei häufig mit dem Hubschrauber geliefert, weil die teuren Hanggrundstücke mit Blick auf den Golf von St-Tropez für Tieflader nicht zu erreichen sind. Derbez’ Kunden stehen im Bann der Bäume, von denen jeder einen eigenen Charakter hat. »An der Form des Stammes, der Krümmung der Wurzeln und Ausrichtung der Äste kann man sehen, was sie durchgemacht haben«, erzählt Derbez. »Sommer ohne Regen, Felsen in der Erde, Brände, die sie bis auf den Stumpf vernichteten. Man sieht, wie sie all dem getrotzt haben.« Stundenlang gehen die Kunden in der zwanzig Hektar großen Baumschule an den endlosen Reihen der Olivenbäume entlang, berühren die Stämme, betrachten die Bäume von allen Seiten. Ein deutsches Unternehmerpaar sucht einen Baum für einen Platz neben dem Pool. Er wird das Erste sein, was die beiden sehen, wenn sie morgens aus ihrem Schlafzimmer den Blick über den Rosengarten und den angrenzenden Golfplatz bis zum Yachthafen schweifen lassen. Auch die Familie eines englischen Unternehmensberaters hat sich in Derbez’ Ölbäume verguckt. Die vier kleinen Töchter rennen zwischen den Stämmen umher, stecken Süßigkeiten und Briefchen in die Höhlen und Furchen der Bäume, weil sie glauben, dass dort Elfen wohnen. Vielleicht keine schlechte Art, um den alten Baum am neuen Ort willkommen zu heißen.