Die Logik der Outlets hat sich aufgelöst. Seinem ursprünglichen Verständnis nach ist dieser Geschäftstyp ein Ort, an dem die im Einzelhandel liegen gebliebene Ware ein zweites Mal zum Verkauf angeboten wird. Doch in jüngster Zeit häufen sich die Meldungen, dass Bekleidungshersteller von vornherein eigene Kontingente für die »Designer-Outlets« produzieren, um der Nachfrage gerecht zu werden. Es geht nicht mehr um verbilligte Auslaufmodelle, um Remittenden und Ramsch, sondern einfach um einen zusätzlichen Vertriebszweig. Das Outlet hat sich von einer sekundären in eine primäre Erlösquelle verwandelt.

Diese Entwicklung macht etwa der Begriff »Flagship-Outlet« deutlich, angelehnt an den »Flagship-Store«, mit dem die Designer ihre wichtigsten Standorte bewerben. Das Wort ist eigentlich ein Widerspruch in sich, weil der Resteabsatz in der Hierarchie der Verkaufsbereiche genau am entgegengesetzten Ende steht wie die Vorzeige-Geschäfte in den Innenstädten. Das Versprechen, das dieses Zauberwort bei der wachsamen Armee der »Schnäppchenjäger« auslöst, lässt sich aber auch daran erkennen, dass längst nicht nur die großen ländlichen Outlets so bezeichnet werden, sondern eine Fülle von kleineren Läden, die sich ihrem Geschäftsprinzip nach wahrscheinlich gar nicht so nennen dürften. Sie sind die Trittbrettfahrer der Outlet-Hysterie. Der große Erfolg der Outlets – in den USA in den 1970er-Jahren, in Deutschland um die Jahrtausendwende eingeführt – lässt sich aber nicht allein mit dem Anreiz der tiefen Preise erklären. Auch im Einzelhandel gibt es fast das ganze Jahr über Sonderangebote. Die Beliebtheit dieses Formats hat vielmehr mit dem zunehmenden Ereignischarakter des Einkaufens zu tun, wie ihn Rem Koolhaas und seine Mitarbeiter an der Harvard Design School vor einigen Jahren untersucht haben. Dass das Einkaufen, jene »letzte verbliebene Form der öffentlichen Tätigkeit«, den urbanen Raum wie nichts anderes prägt, belegen die unzähligen amerikanischen Kleinstädte, die um eine Shopping-Mall herum konzipiert sind. Die Factory Outlet Center heben die Bestimmung des öffentlichen Raums durch die Sphäre des Shoppings, zumindest in Deutschland, auf eine neue Stufe. Sie werden immer an den gleichen Stellen im Niemandsland errichtet, am Rand von Kleinstädten nahe der Autobahn, höchstens eine Autostunde von der nächsten Metropole entfernt. Es sind künstliche Shopping-Dörfer, die, wie es der Betreiber der größten Outlets in Deutschland formuliert hat, »nicht wie der Einzelhandel ticken, sondern wie Freizeiteinrichtungen«. Man geht ins Outlet, als wäre es eine Touristenattraktion – und dass die Baugenehmigung für solche Areale einfacher zu erhalten ist, seitdem man sie rechtlich genau als solche Attraktionen deklariert, ist folgerichtig.

Ein wichtiger Unterschied zu den gewöhnlichen Shopping-Malls besteht allerdings darin, dass sich das Angebot im Outlet auf Luxusmarken konzentriert. Der geografischen Herauslösung der Geschäfte, von den gewachsenen Ortsstrukturen in das künstlich angelegte Dorf, folgt die gesellschaftliche: Die Designer-Marken verlassen die Sphäre des Luxus. Das Outlet nimmt den Prada-, Gucci- oder Escada-Geschäften ihren gewohnten sozialen Kontext, die Flaniermeilen der Innenstädte, die Nachbarschaft von teuren Hotels und Restaurants. Es demokratisiert auf diese Weise den Zugang zu teuren Marken, und vermutlich hat der Erfolg des Einkaufsmodells auch mit dieser Öffnung, dem Abbauen von Schwellenängsten, zu tun. In einigen besonders begehrten Outlets versucht man dem Andrang dadurch Herr zu werden, dass man die Besucher am Eingang wie im Einwohnermeldeamt Wartekärtchen ziehen lässt und sie grüppchenweise einlässt, wenn die entsprechenden Nummern auf Monitoren aufleuchten. Die Luxusboutique und das Meldeamt: zwei Orte, deren Gegensatz, was Besucherspektrum und Kundenpflege angeht, nicht größer sein könnte. Im Outlet fallen sie in eins.