»Man vergibt mir nicht«

Die Tour de France 2008 hat begonnen. Jörg Jaksche war ein Jahr wegen seiner Doping-Beichte gesperrt, jetzt könnte er eigentlich wieder mitfahren. Aber im Radsport hassen sie ihn. Weil er die Wahrheit gesagt hat.

SZ-Magazin: Herr Jaksche, im vergangenen Sommer gaben Sie zu, als Radprofi zehn Jahre lang systematisch gedopt zu haben. Sie wurden dank einer Kronzeugenregelung nur für ein Jahr gesperrt, doch statt nun wieder Rennen zu fahren, haben Sie Ihre Karriere beendet. Warum?
Jörg Jaksche: Ganz einfach: Ich habe kein Team gefunden. Man will mich nicht mehr.

Das Kartell des Schweigens hat gesiegt?
So kann man es sagen. Aber dafür kann ich jetzt als einer der wenigen aus der Szene aufrecht durchs Leben gehen. Wann haben Sie geahnt, dass kein Platz mehr für Sie ist?
Das war am 25. April, damals habe ich vom deutschen Team Milram die letzte Absage bekommen. Die Rennställe, mit denen ich in Kontakt war, haben plötzlich ethische Erklärungen der Rennveranstalter von mir gefordert – das war schon ein Witz, denn niemand sonst hat wohl solche Erklärungen jemals gebraucht. Sie wollten durch diese Schreiben, zum Beispiel von der Tour-de-France-Direktion, eine Rechtssicherheit haben – dabei ist meine Situation rechtlich klar geregelt: Ich dürfte fahren, überall. Doch die vermeintlich interessierten Teams haben mich gegen die Wand laufen lassen. Bei allen Mannschaften waren die Begründungen, warum sie mich nicht einstellen, abenteuerlich. Ich musste mir sogar anhören, dass man den maximalen Punkt der Vergebung noch nicht erreicht habe. Man vergibt mir nicht!

Trotzdem haben Sie Ende Mai ein allerletztes Mal Kontakt zum Milram-Team aufgenommen. Masochismus?
Ich bin da nicht als Bittsteller aufgetreten. Ich weiß sehr gut, dass ich keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz bei denen habe. Aber ich hatte ja inzwischen diese von Milram geforderte Unbedenk- lichkeitserklärung von der Tour de France erhalten, ich habe dasselbe Papier vom Weltradsportverband bekommen. Ein Dreizeiler, mit dem Inhalt: Kein Problem, Jaksche darf fahren. Außerdem habe ich mir sogar ein Gutachten eines Rechtsprofessors besorgt. Alles vergeblich. Dieses letzte Gespräch mit Milram war das deutlichste. Danach war mir klar: Schau, dass du deine Kröten zusammenhältst – es kostet mich einfach zu viel Geld, Transparenz in den Radsport zu bringen und um die Wahrheit zu kämpfen.

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Zwei Jahre nachdem das Doping-Netzwerk des spanischen Arztes Eufemiano Fuentes aufflog, dominieren dessen mutmaßliche Kunden wie Alberto Contador und Alejandro Valverde die Weltspitze. Will der Radsport die Welt verarschen?
Einen so krassen Rückfall ins alte Verhaltensmuster hätte auch ich nicht für möglich gehalten. Der Radsport hat seit 2006, als Fuentes gefasst wurde, eine große Gelegenheit verpasst, reinen Tisch zu machen. Man hätte offen über die Vergangenheit reden und sagen sollen: Wir alle haben gedopt, denn das war früher einfach so – und jetzt machen wir es anders. Doch es wird weiterhin nur scheibchenweise gestanden, wenn es halt nicht mehr anders geht. Der Großteil der Fahrer schweigt und leugnet. So entstand der Eindruck: Der Jaksche ist ja fast der Einzige, der gedopt hat, ein Einzeltäter.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Es hieß, ich würde nie mehr fahren können – genau das, was jetzt eingetreten ist.)

Wurden Sie von anderen Profis beschimpft oder bedroht?
Nein, von den Fahrern nicht. Ich habe nur einige Kommentare und Anrufe von Managern bekommen, etwa von meinem früheren CSC-Teamchef Bjarne Riis. Dabei wurde genüsslich das Szenario entworfen, was passieren würde, wenn ich das Schweigegelübde des Radsports brechen würde. Es hieß, ich würde nie mehr fahren können – genau das, was jetzt eingetreten ist.

Hans-Michael Holczer, Chef des Gerolsteiner-Rennstalls, sagte, ihm reichten Ihre Aussagen nicht aus.
Wenn Holczer mehr weiß, bitte, die Nummer vom BKA kann ich ihm geben. Holczer ist seit zehn Jahren dabei, was er macht, ist ein Schlingerkurs zwischen Anklage und Selbstverteidigung. Bei solchen Attacken steckt wohl ein anderer Gedanke dahinter: Wie kriegen wir es hin, dass uns nicht von politischer Seite der Jaksche als Antidoping-Mann aufs Auge gedrückt wird?

Auch der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes, Thomas Bach, sagte, er nehme Ihnen Ihre Läuterung nicht ab.
Herr Bach und ich, wir kennen uns gar nicht! Ich habe gehofft, dass er falsch zitiert worden ist, aber er hat das wohl tatsächlich gesagt – sehr verwunderlich, denn von Deutschlands oberstem Sportfunktionär erwartet man Unterstützung, wenn man Doping-Netzwerke offenlegt. Stattdessen verbreiten Bach und auch manche andere den Eindruck, ich hätte nur meinen Hintern retten wollen. Dabei wollte ich vor allem zeigen, wie man von einem 19-jährigen Abiturienten, der schnell Rad fahren kann, aber von Tuten und Blasen keine Ahnung hat, zum 30-jährigen Profi wird, der sich von Doktor Fuentes fünf Liter Blut abnehmen lässt.

Bei Fuentes wurden Hunderte Blutbeutel, Namenslisten, tonnenweise Medikamente gefunden. Trotzdem ist der Skandal inzwischen versandet. Sind die Sportmedien mitschuldig am Betrug?
Die meisten Journalisten glauben, sie säßen im selben Boot wie die Athleten. Wenn da einer eine Latte rausreißt, ist das für beide der Untergang. Man kann es vergleichen mit China und Tibet. Man hätte seit zehn Jahren wissen können, dass dort Aufständische unterdrückt werden, aber erst vor Peking ist es dann ein Thema. Genauso war es auch mit dem Fuentes-Skandal. Jan Ullrich steckte drin, plötzlich wird der ganze Radsport in Frage gestellt – ein System, das all die Jahre davor schon genauso bestand, in dem sich viele Medien aber recht komfortabel gefühlt haben.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Dabei geht alles weit über die Fälle Ullrich oder Telekom hinaus, die Strukturen des deutschen Leistungssports sind ein Problem.)

Begann deshalb die Jagd auf Jan Ullrich erst, als er nicht mehr zu retten war, weil Beutel mit seinem Blut bei Fuentes gefunden wurden?
Ullrich ist für mich das typische Opfer, die Sau, die durchs Dorf getrieben wird. In einem Land, wo Doping aus staatlicher Sicht früher in Ordnung war, wo eine renommierte Hochschule, die Uni Freiburg, den Fahrern die leistungssteigernden Mittel verabreichte. Jetzt plötzlich wollen Leute, die das lange in Ordnung fanden, mit aller Staatsgewalt dazwischenhauen. Das funktioniert nicht.

Innenminister Schäuble hat vor 31 Jahren im Bundestag für Doping unter ärztlicher Aufsicht plädiert, wohl um die Erfolgsquote des westdeutschen Sports im Vergleich zur DDR zu erhöhen. Wussten Sie das?
Davon habe ich gehört, ja. Nur waren die in der DDR die besseren Deutschen, weil sie alles aufschrieben; so konnte man nach der Wende das Doping-System der DDR aufarbeiten. Im Westen lief das unter der Hand. Und jetzt, nachdem man die Sache 30 Jahre hat wuchern lassen, sagt man plötzlich, oh, wir haben ein Riesenproblem. Dabei geht alles weit über die Fälle Ullrich oder Telekom hinaus, die Strukturen des deutschen Leistungssports sind ein Problem. Schon weil wir keine Gesetzesgrundlage haben, sprich: weil Doping bei uns nicht strafbar ist.

Hätten Sie sich von einem Strafgesetz abschrecken lassen?
Ja. Als Fahrer war mir immer klar, zwei Jahre Sperre wären schlimm. Aber Knast? Hätte es eine strafrechtliche Bedrohung gegeben, wären die Entscheidungen pro Doping nicht nur von mir anders getroffen worden. Alles wäre schwieriger gewesen, besonders die Beschaffung. Bis heute bekommt man doch Dopingmittel wie Epo und Testosteron über einen Arzt oder Apotheker in Spanien.

In Deutschland wollte der Radverband Andreas Klöden ursprünglich für Peking nominieren, Sportdirektor Burckhard Bremer behauptete lange, über Klöden sei nichts Negatives bekannt. Sprach aber die Tatsache der langjährigen Zugehörigkeit zu den Teams Telekom und T-Mobile nicht ohnehin eher dafür, dass Klöden als mutmaßlicher Teilnehmer des Freiburger Dopingsystems zu gelten hat, auch wenn er weiterhin jedes Doping leugnet?
Jeder weiß doch inzwischen, was beim T-Mobile-Team ablief. Vor einer Reinwaschung Klödens sollte man deshalb die Ergebnisse aus Freiburg abwarten und schauen, wie sich Klöden als Zeuge vor der Justiz verhalten würde. Falls die Freiburger Uni-Ärzte angeklagt werden, müsste er ja dort erscheinen. Aber dem BDR geht es wohl vor allem um Geld: Wie kriegen wir Medaillen – und Fördergelder? Es geht nicht darum, ob du sauberen Sport machst, sondern ob du erfolgreich bist.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Es wäre wohl ein Riesenproblem, wenn plötzlich in gewissen Sportarten scharf getestet würde.)

Die Funktionäre schwärmen immer von ihrer Waffe, den Dopingtests. 4500 soll es laut IOC in Peking geben.
Ich hatte in zehn Jahren als Profi rund 120 Kontrollen. Aber im Großen und Ganzen hatte ich keine Angst davor. Meine Ärzte waren immer gut informiert, die haben mir gesagt, welcher Stoff wie lange nachweisbar ist.

Wozu taugen die Tests dann? Als Alibi?
Der australische Hämatologe Robin Parisotto, der Tyler Hamilton überführt hat, erzählte mir mal, wie weit sie eigentlich schon sind, wie lange sie Epo mit ihren Tests nachweisen könnten: mehr als 80 Tage! Aber das IOC habe dieses Verfahren einfach nicht akzeptiert. Es wäre wohl ein Riesenproblem, wenn plötzlich in gewissen Sportarten scharf getestet würde.

Welche Disziplinen meinen Sie? Wenn zum Beispiel im
100-Meter-Lauf …

… wo gerade ein neuer Fabelweltrekord gelaufen wurde … … auf Wachstumshormone getestet würde! Wann immer ein neuer Test publiziert wird, kann man sicher sein, dass schon seit einem Jahr ein noch neueres Produkt auf dem Markt ist. Die Kontrolleure hinken hinterher.

Medien, Funktionäre, Verbän-de, Kontrolleure – als dopender Athlet wurden Sie offenbar von einem unsichtbaren System geschützt.
Klar. Mir hat zum Beispiel ein Funktionär von einem Fall erzählt, da habe ein positiv getesteter Athlet einen Anruf erhalten, er müsse nur soundsoviel zahlen, und seine B-Probe sei negativ. Ich glaube, dass Doping und Dopingbekämpfung teilweise Hand in Hand gehen. Beim Sportärzte-Meeting eines Weltverbandes verwischen doch die Grenzen zwischen Doping-Gegnern und -Befürwortern. Das ist eine große Informationsbörse. Information kann ja auch als Warnung rübergebracht werden: »Sagt euren Fahrern, sie sollen das nicht mehr nehmen, man kann es jetzt finden.«

Gibt es einen Austausch über Dopingpraktiken zwischen den Sportarten?
Ja, zum Beispiel mit dem Wintersport, wo wir schon an dem Punkt sind, dass die Fans für dumm verkauft werden. Denken Sie nur an den Skandal bei den Winterspielen in Turin, als die Polizei bei den österreichischen Langläufern und Biathleten das gesamte Zubehör für Eigenblut-Doping fand – identisches Know-how wie bei uns. Und dass es in Wien jahrelang eine Blutdoping-Stätte für Wintersportler und andere gab, war in der Radszene lange bekannt, bevor es diesen Winter publik wurde.

(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ich schaue privat aber kaum noch Radsport, denn ich denke schnell, gut, dieser oder jener müsste eigentlich neben mir auf der Couch sitzen.)

Der Sport hat solche Affären nie selbst aufgedeckt, die
Arbeit machen Polizei, Zoll oder Steuerfahndung. Wer also auf dem Niveau von Fuentes dopt, fliegt bei Kontrollen nicht auf?
Nein. Nicht in Peking und auch nicht bei der Tour? Nein, heute so wenig wie früher.

Freuen Sie sich trotzdem auf die Tour de France?
Ich werde die Tour zwar fürs ZDF als Doping-Experte begleiten, schaue privat aber kaum noch Radsport, denn ich denke schnell, gut, dieser oder jener müsste eigentlich neben mir auf der Couch sitzen.

Da wäre ein ziemliches Gedränge. Doktor Fuentes hat schließlich über 50 Radprofis versorgt.
Noch mehr. Das Ausmaß wurde mir erst klar, als ich im Mai 2006 mit der Planung für die Tour begann. Fuentes besaß damals schon das Programmheft der Tour, das offiziell erst sechs Wochen später erhältlich gewesen wäre. Vorn ist die Frankreichkarte mit den Etappen drin. Fuentes hat vor meinen Augen das Heft aufgeblättert. Du hast Frankreich und den Atlantik gar nicht mehr gesehen, weil überall Pfeile und Nummern waren: all die Orte, wo Doping für seine ganzen Kunden geplant war! Das war fünf Tage, bevor Fuentes gefasst wurde. Seither wundert mich nur, wie wenig am Ende bei der Affäre herauskam. Wo man doch heute weiß, dass ihn mehrere Athleten genau an dem Tag kontaktierten, an dem auch ich bei ihm war, im gleichen Hotel. Da frage ich mich: Warum stand nur mein Name in der Zeitung?

Das alte System hat gegen Sie eine Königsetappe gewonnen, denn die Kronzeugenregelung ist beschädigt. Würden Sie noch einmal aussagen?
Schwierig. Einerseits kann ich jetzt locker durch die Welt gehen und offen mit Ihnen reden. Auf der anderen Seite habe ich eine Strafe bekommen, die einfach von einem Jahr auf lebenslang verlängert wurde. Denn die Wagenburg hat sich wieder geschlossen. Dabei bräuchte es Leute, die frisches Blut reinbringen. Aber das darfst du ja im Radsport gar nicht mehr sagen.

HINTERGRUND:

Sein Leben
Jörg Jaksche, 31, zählte ein Jahrzehnt lang zu den weltbesten Radprofis. Sechs Mal startete er bei der Tour de France, 2004 gewann er Paris  –  Nizza. Im Juni 2007 gestand er angesichts erdrückender Beweise, dem Fuentes-Netzwerk angehört und bei seinen Teams systematisch gedopt zu haben. Er kooperierte mit der Justiz und gab sein Wissen preis – ein Novum. Jaksche trainiert weiterhin, im Herbst will er ein Fernstudium in Wirtschaftsrecht beginnen.

Der fuentes-Skandal
Der spanische Gynäkologe Eufemiano Fuentes war Teamarzt des Liberty-Rennstalls, als die Polizei im Mai 2006 bei einer Razzia gut 200 Blutbeutel, Dopingmittel sowie Listen mit Codenamen zahlreicher Radprofis fand. Einige waren so leicht zu enttarnen, dass sie noch vor der Tour de France suspendiert wurden, darunter die Favoriten Jan Ullrich und Ivan Basso. Nur die Italiener Basso und Michele Scarponi sowie Jörg Jaksche gestanden letztlich, Klienten von Fuentes gewesen zu sein. Jaksche stand unter »J.J.« in der Liste, gleich neben »A.C.« – dem mutmaßlichen Kürzel des Tour-Siegers von 2007, Alberto Contador. Letzterer streitet den Betrug ab, wie auch Ullrich, dem aber per DNA-Test einige Blutbeutel zugeordnet werden konnten. Dass Spaniens Justiz die Ermittlungen abrupt einstellte, liegt offenkundig daran, dass zu Fuentes’ Kunden auch namhafte Athleten aus Leichtathletik, Tennis und Fußball zählten.

Foto: Stephanie Fuessenich, Urban Zintel