Die totale Mamamanie

Früher versuchten prominente Frauen, ihr Privatleben für sich zu behalten. Heute wollen sie der ganzen Welt zeigen, dass sie ideale Mütter sind. Denn nichts sorgt für mehr Glamour als ein Haufen Kinder.

Vorsicht! Das Betreten eines Zeitschriftenladens führt momentan leicht zu einer Schwangerschaft. Das ganze Regal nationaler und internationaler Presse ist vollgestopft mit Süßigkeiten, als sollten die ganzen Geschichten über Hollywoods Adel noch den letzten Frauen auf den Sprung zum Ei helfen: auf den Titeln Gwen Stefanie, Kate Hudson, Liv Tyler, Sarah Jessica Parker, Christina Aguilera und Victoria Beckham mit ihren coolen Söhnchen; Nicole Kidman, Katie Holmes, Nicole Richie und die erneut schwangere Jennifer Garner im Partnerlook mit puppigen Töchtern. Und täglich grüßt Angelina Jolie als heilige Übermutter einer multikulturellen Kinderkompanie von einem anderen Titelblatt.

Nun zieht die Politik nach: In der Wahrnehmung der US-Öffentlichkeit scheint die Mutterschaft Sarah Palins, Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner, inzwischen derart heilig, dass sie als höchste, fast göttliche Stufe menschlicher Entwicklung intellektuelle Anforderungen einfach ersetzt. »Ihre größte Qualifikation scheint zu sein, dass sie keine Abtreibung hatte«, meinte Carol Fowler, Demokratin aus South Carolina, bitter über die Frau und fünffache Mutter, die bei McCains Alter und Gesundheitszustand realistische Chancen hat, statt der Schulterpolster-Feministin Hillary Clinton erste Präsidentin der USA zu werden.

Sarah Palin, die Frontkämpferin für die Familie, weiß als Mutter eines behinderten Babys und einer schwangeren Teenagertochter, wie man harte Zeiten übersteht. Marina Rupp, Soziologin am Staatsinstitut für Familienforschung an der Universität Bamberg, beschreibt die Überzeugungskraft von Amerikas neuem Idol so: »Hillary Clinton hat sich fast ausschließlich über ihre nicht-mütterlichen Kompetenzen definiert. Palin dagegen entspricht dem Klischee der bürgerlichen US-Familie viel eher.«

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»Könnte nicht Angelina Jolie in einem künftigen Film Sarah Palin darstellen?«, fragte ein Leser auf der Homepage der LA Times. Die Idee ist so abwegig nicht: Beide Mutterikonen dominieren und polarisieren seit Wochen die internationalen Medien. Obwohl stilistisch sehr unterschiedlich, ähneln sie sich in vielem: Jolie leidet am Zustand der Entwicklungsländer, Palin an dem ihres Heimatlandes. Beide wollen die Welt retten: Jolie adoptiert dafür Kinder aus Krisengebieten, Palin verabschiedete gerade ihren 19-jährigen Sohn als Soldat in den Irak. Jolies Religion ist Obsession – einst ausgelebt mit Sex, Waffen, Erfolg und Tatoos, nun mit Babys. Palins Religion ist Fanatismus – die Befolgung des vermeintlichen Willens eines Gottes, der den Krieg im Irak gewollt hat und einen mit Russland nicht ausschließt. Beide setzen dazu gern auf Waffen: Jolie gegen die Bösen im Film (obwohl sie auch ankündigte, jeden umzubringen der ihrer Familie etwas antue), Palin gegen die Bösen draußen.

In Amerika geht derzeit eine ganze Gesellschaft in Mutterschutz, und Mutterschaft mutiert wieder zum moralischen Maß. Wehe, eine Frau verstößt dagegen wie die Schauspielerin Sienna Miller: Weil sie eine Affäre mit dem Milliardenerben Balthazar Getty hatte, der aber verheirateter Vater von vier Kindern ist, kann sie sich schon mal nach einer anderen Arbeit umsehen. Die Starts ihrer beiden neuen Filme Hippie Hippie Shake und GI Joe: Rise of Cobra wurden gerüchteweise deshalb verschoben, weil die Produzenten befürchten, dass gerade niemand die böse Sünderin »Sluttyenna« (Schlampienna) sehen will.

Jennifer Aniston hat zwar gerade vier Filme gedreht, aber über die redet trotzdem keiner. Nur die Frage, ob sie es schafft, einen Samenspender an sich zu binden, ehe ihre Eierstöcke implodieren, beherrscht die Zeitschriftentitel. Der Tenor ist so mitleidig wie schadenfroh: Tja, als Brad Pitt damals Kinder von ihr wollte, war »Jen« die Karriere wichtiger – nun muss sie täglich mitansehen, was Angelina Jolie davon hat.

Die Frauenfrage scheint nur noch zu lauten, wann wer mit wem wie viele bekommt. Es gibt Websites wie celebritybabies.com, die sich nur mit dem Nachwuchs von Berühmtheiten beschäftigen und Doppelgänger-Wettbewerbe für Starkinder abhalten. Auch in Filmen wird das Thema durch-gespielt: Von Juno über Little Children bis zu den Nanny Diaries. Immer neue, stylische Schwangerschaftsmagazine fluten den amerikanischen Markt wie Pregnancy mit dem Titelthema »Pimp My Stroller«, Pregnancy &newborn, Fit Pregnancy oder das schicke Plum, das sich speziell an die wachsende Zielgruppe der Mütter über 35 wendet.

Je schneller Ehen auseinanderbrechen – und in Hollywood brechen sie noch schneller als anderswo –, desto wichtiger wird das eigene Kind zur einzig sicheren lebenslänglichen Liebesbeziehung. Die Sehnsucht danach sei wie die Erfahrung überwältigender Mutterliebe jeder Frau gegönnt.

Unheimlich aber ist der ebenso überwältigende Vorbildcharakter dieser akuten Inszenierung, Romantisierung und Idealisierung von Mutterschaft. Mit den reizenden Babybildern, für die es immer öfter Kindergeld in Millionenhöhe gibt, dringen auch weniger nette Botschaften in das weibliche Bewusstsein: Hollywoods Glamour-Mütter sorgen dafür, dass sich normale Mütter für undisziplinierte Schlampen halten, moderne Madonnen tragen bereits eine Woche nach der Entbindung Size Zero und ein Baby auf jedem Hüftknochen. Das Kind an der Hand ersetzt gleichzeitig It-Bag und Sinnsuche. Deutschland derzeit bekannteste Mutter macht es vor: Heidi Klum kriegt alles spielerisch auf die Reihe, lesen wir, drei Kinder, Modeln, eigene Show, Reisen, Werbung, Seal, Work-out, Kleidergröße 34. Sendet unser Mädel aus Bergisch Gladbach nicht unentwegt die Botschaft aus: Mit ein bisschen gutem Willen hat der Tag auch strahlende 29 Stunden? Nun mach nicht so ein Tamtam, Mutti, bloß weil du die Küche nicht aufgeräumt kriegst.

Die Veteranen der häuslichen Kleinkriege, postfeministische Mütter von maximal zwei Kindern im täglichen Kampf um ihre Life-Work-Balance, glorifiziert jetzt niemand mehr. Kein Blatt will sie im Heft, kein Mann will sie im Haus haben, weder im Weißen noch im eigenen. Während die privat und beruflich erfolgreichen Übermütter wie Klum und Jolie als vollkommen normal dargestellt werden, sind in Amerika und England überraschenderweise immer weniger Eltern der Meinung, dass Familie und Beruf derart zu vereinbaren seien. Dies hat eine aktuelle Studie der Universität Cambridge ergeben.

Die stellvertretende Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes, Petra Gerstkamp, erlebt jeden Tag, wie sich Frauen vollkommen überlasten, weil sie – wie ihre prominenten Vorbilder – »alles wollen«: Besonders alleinerziehende Frauen, aber auch Mütter mit Partner litten unter Erschöpfungszuständen, weil sie »nicht nur eine gute Mutter, sondern ebenso auch eine gute Partnerin und dazu gut im Beruf sein wollen«.

Von all den Glamour-Müttern scheint nur Gwyneth Paltrow diese Probleme zu kennen. Zwar sagte die Oscar-Gewinnerin über ihre Kinder: »Es ist eine völlig neue Gefühlsdimension, wie ich sie nie erlebt habe.« So ein Karrieretief wie das darauf folgende allerdings auch nicht. Paltrow immerhin gab zu, was in Hollywood derzeit keine zugibt: wie schwer es war, nach zwei Kindern wieder in filmgerechte Form zu kommen und auch die Produzenten davon zu überzeugen.

Viele weibliche Stars werden auf der Zielgeraden zu den Wechseljahren schnell noch schwanger: Nicole Kidman mit 40, Halle Berry und Salma Hayek mit 41, Geena Davis bekam mit knapp 50 noch einmal Zwillinge. Der süße Fertilitätsbeweis zeigt zudem der Berufswelt: Schaut, ich bin noch gesund, fruchtbar und sexuell aktiv! Längst noch nicht zu alt für die Rolle der Verführerin! Das Image-Lifting gelingt umso spielender, weil mit dem Kind ein Stab von Familienhelfern in den Hollywood-Haushalt einzieht, von der Säuglingsschwester bis zum Personal Trainer. Während sich normale Mütter mit der Super-Nanny begnügen müssen.

Die Soziologin Marina Rupp ist optimistisch, was die Verhältnisse in Deutschand betrifft. Sie glaubt nicht an einen dauerhaften Rückzug der Mütter ins Heim. Stattdessen erhofft sie sich von ihnen, dass sie die Gesellschaft emotional intelligenter machen: »Es ist wichtig und richtig, dass durch die Mütter soziale Kompetenzen in den Vordergrund treten, ohne dass diesen Frauen dafür berufliche Fähigkeiten abgesprochen werden. Viele wissen heute ja kaum noch, wie man jemanden tröstet.« Das jedenfalls kann Sarah Palin also bestimmt gut, falls McCain es nach der Wahl nötig haben sollte.

Das letzte Wort soll Mariah Carey gehören, die keine Kinder will – wenn auch aus eher pragmatischen Gründen: »Ich habe viel Arbeit in meinen Körper gesteckt, damit er so aussieht«, sagte die Frischverheiratete, »eine Schwangerschaft würde alles kaputtmachen!«

Illustration: Alfons Kiefer c/o Claudia Schönhals