Edle Tropfen

Wer sich als Kenner allerfeinster Getränke beweisen will, sollte schon mal Wasser aufsetzen. Denn eins ist klar: Tee ist der neue Wein.

»Magic Gold« hat einen reichen Geschmack: Was da zwischen Rosenblütenblättern und Safranfäden glänzt, ist echtes Blattgold. Seit Esin Rager vor sechs Jahren mit Freunden Samova gegründet hat, eine mit weißen Polstern ausgestattete Tee-Lounge im Hamburger Stilwerk, bietet sie zu den ungewöhnlichen Teemischungen aus ökologischem Anbau, modernen Tanztees und philosophischen Salons jährlich verschiedene Weihnachtssorten wie »Magic Gold« an. Dieses Jahr gibt es dazu eine limitierte Edition von 500 Porzellanflakons und passenden, innen mit Glanzgold ausgestatteten Porzellan-Teebechern. Die Umsätze der Tee-Lounge steigen jedes Jahr um zwanzig Prozent.

Auch dieses Beispiel zeigt: Dem Kaffeeklatsch, dieser deutschen Ikone, schlägt die Stunde. Da inzwischen selbst Kleinstädter ihre Hauptstraße mit Pappbechern aus dem Coffeeshop ablaufen und die Haushalte mit Kaffeevollautomaten jeder Preisklasse möbliert sind, setzt sich die Avantgarde zum Tee ab. Und grob gesagt, heißt alles Pflanzliche Tee, was sich mit heißem Wasser aufgießen und trinken lässt. Aus nahezu 10000 Tees kann man in Deutschland wählen, schätzt Patrick Balsat, Filialleiter eines Hamburger Reformhauses. Mit Tee werden mehr als 500 Millionen Euro umgesetzt, das entspricht zwar nur einem Zehntel des Kaffeemarkts, aber die Tendenz ist steigend. Inzwischen ist klar: Wer nachts auf einen Kaffee in die Wohnung bittet, will Sex. Wer zu einem Tee einlädt, missionieren. Während Kaffee, der alte Muskelprotz, immer nur eins kann, nämlich wach machen, aber zack, zack, ist Tee, der Feingeist, die Lifestyle-Droge der Stunde und dient der Selbsterforschung: Kann ich grünen Bio-Tee zelebrieren, aber am Abend Schweinshaxe essen? Darf ich zugleich Tee- und Biertrinker sein?

Andererseits: Wie ernst soll ich Tee nehmen, wenn mir der ayurvedische Tee »Leidenschaft« für 3,80 Euro verspricht; sogar »Mut« und »Kuschel« gibt’s in Beuteln.

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Tee darf inzwischen nach allem schmecken, außer nach Herbergs-Hagebutte oder Krankenhaus-Kamille. Doch Teespezialisten ächten die Zwangsjacke am Ziehfaden. Ist das geklärt, kommt die gute Frage: Ist Teein das bessere Koffein? Während sich deutsche Kaffeetrinker nämlich oft nicht dafür interessieren, ob ihr Stoff fair gehandelt wurde, geht beim Teekauf nichts mehr ohne ökologischen Anbau und soziale Nachhaltigkeit. Sehr erfolgreich mit dem moralisch-emotionalen Mehrwert ist in Deutschland die Biofirma Sonnentor aus Österreich. Deren Teesortiment führt unter anderem »Schutzengeltee«, »Glückstee« und sogar »Elisabethtee«, der an die heilige Elisabeth und ihre Nächstenliebe erinnern soll. Zwanzig Cent vom Verkauf jeder Packung werden der Caritas gespendet.

Die Grenze zum Zaubertrank ist fließend. Wer dann noch seinen Schokoladen- gegen den »Tee-Adventskalender« tauscht, kann sich Gewissensbisse wegen der Kalorien sparen.

Frauen konvertieren häufig während Schwangerschaft und Stillzeit zum Tee. Trinken statt Milchkaffee Fencheltee, Stilltee, Roibusch-tee. Und wer auch nach der Geburt Teetrinkerin bleibt, kann daraus sogar einen neuen Beruf machen: Tee Gschwendner sucht Menschen, »die sich zum Tee-Sommelier ausbilden lassen wollen«. Was die Vermutung bestärkt, dass Tee der neue Wein ist. Mit dem Unterschied allerdings, dass man Degustationen schon auf Kindergeburtstagen veranstalten kann.

Und wer bis gestern dachte, grünen, gemahlenen »Kabuse-cha« mit dem Bambusbesen aufzuschäumen sei ein 1-Euro-Job für Asiatinnen im Museum für Völkerkunde, sieht plötzlich immer mehr geläuterte Ex-Espresso-Kipper, die ihren edlen »Matcha«-Tee liebevoll schaumig schlagen und mit dem Tee-Thermometer in der Hand dozieren, was man alles falsch machen kann.

Das kann sich ziehen. Aber das kennt man ja vom Tee.

Illustration: Zsuzsanna Ilijin