Dieser junge, schlaksige, linkische Körper. Diese roten Haare, unschuldig zurechtgestutzt, Prinz-Eisenherz-Stil. Die Zungenspitze, die in Momenten der Anspannung zur Oberlippe vorschnellt. Oder diese Hechtsprünge, dem Ball hinterher, die Faust des Triumphs, die staubige Bremsspur der Füße auf dem Rasen von Wimbledon, direkt nach dem Matchball gegen Kevin Curren. Es hat heute etwas seltsam Anrührendes, sich diese Bilder noch einmal in Erinnerung zu rufen –und auch, was man damals empfunden hat. Als Boris Becker sich im Juli 1985 ins Herz der Nation spielte, war das ein unvergesslicher Moment: Siebzehn Jahre alt, der erste deutsche Sieger in Wimbledon, der bisher jüngste überhaupt – und dazu noch einer, der praktisch aus dem Nichts kam. Und doch: Jeder Schlag und jede Geste zeigten, wer dieser Jüngling war, was er gerade fühlte, was er wollte, wofür er kämpfte. Das Bobbele, ein offenes Buch. Jeder konnte es lesen und sich darin wiederfinden.
In gewisser Weise ist das bis heute so geblieben. Dieser Teenager, der gerade 41 wird, ist so durchsichtig wie eh und je. Nur die Vorzeichen haben sich geändert. Wir durchschauen ihn in seiner Verwirrung, seinem Wunsch nach Anerkennung außerhalb der Tenniswelt, in seiner Geilheit. Wir wissen, welche Art von Frau ihm den Verstand raubt und im Zweifel auch den Samen; wir erkennen selbst seinen illegitimen Nachwuchs auf den ersten Blick, Vaterschaftstest unnötig. In Bezug auf sein Fortpflanzungsverhalten – und eigentlich nur bei ihm – verwenden wir mit Vorliebe das Wort »Beuteschema«, das aus dem Tierreich stammt. Wie Zoologen analysieren wir, warum das mit Sandy nie und nimmer etwas werden konnte, während Babs die einzig Richtige für ihn war und ist – es liegt so offen zutage, wir könnten ihn ohrfeigen und ihm die roten Haare raufen. Egal, ob er wegen Steuerhinterziehung verurteilt wird, wegen irgendwelcher Insolvenzen vor Gericht steht oder für ein paar Werbeeuros alles tut, sogar jämmerlich beim Poker ver-lieren – die Motive und Gefühle dahinter sind dermaßen klar, es ist herrlich. Und das mit dem Pokern ist wirklich der größte Witz: Wenn jemand in der Geschichte der Menschheit kein Pokerface war, dann Bobbele.
Boris Becker selbst kann es leider nicht sehen, wie sollte er auch, aber sein Leben folgt der Dramaturgie einer sogenannten Sitcom. Nur der Sitcom-Held ist in seinen Wünschen und Träumen, seinen Stärken und Schwächen und ewigen Selbsttäuschungen ähnlich durchschaubar und simpel gestrickt. Er sagt dies, und jeder Fünfjährige vor dem Bildschirm weiß: Eigentlich meint er das. Eine cappuccinofarbene Frau tritt auf, und siehe da: Sabber, sabber, bumms, rassel, Gelächter. Dann kommt eine Blondine, er schenkt ihr mit großer Geste einen Verlobungsring, aber am Ende der Folge: Har, har, har. In der Ecke des Sets ist eine Tür, die fast nie aufgemacht wird, aber jeder weiß: Besenkammer. Wann immer er daran vorbeikommt: Ho, ho, ho. Am Anfang jeder Episode taucht ein windiger »Berater« mit einer neuen Geschäftsidee auf, die natürlich ausprobiert wird und am Ende jeder Episode scheitert. Der Held ist nicht unsympathisch, seine Kinder zum Bei-spiel lieben ihn. Aber er lernt halt nie etwas dazu. Täte er es, wäre die Sitcom zu Ende. Und hier nun also eine Bitte an den »Creator« der langlaufenden, heißgeliebten, längst zum Klassiker avancierten Serie »Bobbele«. Kein Witz, Serienerfinder heißen in Amerika wirklich so: creator, Schöpfer. Wir haben also eine Botschaft an Bobbeles Schöpfer, und die lautet: Es war gut, es war schön, was haben wir gelacht, auch geweint, aber es reicht. Alle guten Dinge haben ein Ende. Wie aktuell in der Serie Californication ist bei »Bobbele« in jeder Folge sonnenklar, dass der Held und seine Exfrau füreinander bestimmt sind, sosehr sie es auch leugnen. Es geht also nicht anders: Es muss ein großes Finale geben, in dem Boris und Babs wieder zusammenkommen, ach was, heiraten, und zwar bald. Palmen, Meer, tiefblauer Himmel. Mit Noah, Elias und Anna. Ja, wir wollen. Korkenknallen. Smile. Flash. Freeze. Und aus.
Fotos: ap, dpa