1860

Der Niedergang der Münchner Löwen belegt, dass zwei ebenbürtige Fußballvereine zu viel sind für eine Stadt.

Es sei »der Anfang vom Ende bei 1860«, sagte Uli Hoeneß in der vergangenen Woche, als bekannt wurde, dass ein Berliner Immobilienmakler bei dem Fußballverein eingestiegen ist. Tatsächlich wirkt die nun wieder zurückgenommene Zusammenarbeit des Klubs mit dem Investor nur wie ein weiteres Kapitel des schleichenden Niedergangs seit dem Bundesliga-Abstieg 2004, und es wäre nicht überraschend, wenn der TSV 1860 in naher Zukunft einen ähnlichen Weg ginge wie die anderen »zweiten« Vereine einer Stadt.

Fortuna Köln, Stuttgarter Kickers, FC St. Pauli, Blau Weiss Berlin: All diese Clubs befanden sich zumindest kurzzeitig in der Bundesliga und waren dauerhafter Bestandteil der 2. Liga, brachen in den vergangenen Jahren aber mehr oder weniger fundamental ein. Blau Weiss spielt nach einem Insolvenzverfahren derzeit in der Bezirksliga, Fortuna Köln seit Jahren in der 5. Liga, die Stuttgarter Kickers sind Tabellenletzter in der 3. Liga, und der FC St. Pauli versucht, ähnlich wie der TSV 1860, Saison für Saison vergeblich, wieder in die Bundesliga aufzusteigen. Seit fünf Jahren hat in der höchsten deutschen Spielklasse kein Stadtderby mehr stattgefunden. Das war lange Zeit ganz anders. Ende der Achtziger- bis Mitte der Neunzigerjahre gab es regelmäßig sogar zwei Städte, die in der Bundesliga jeweils zwei Clubs stellten, Hamburg und Stuttgart oder München und Hamburg. Natürlich ließe sich diese Entwicklung einfach mit der spezifischen Misswirtschaft der einzelnen Vereine begründen, aber das merkwürdige Aussterben der zweiten Clubs ist eine allzu auffällige Regelmäßigkeit, die nicht nur ein deutsches, sondern ein gesamteuropäisches Phänomen zu sein scheint (man denke an den AC Turin, an Espanyol Barcelona oder Atlético Madrid, alles ehemalige Spitzenvereine, die jetzt im Mittelmaß verschwinden; einzig Mailand und London scheinen weiterhin Platz für mehrere ebenbürtige Mannschaften zu haben).

Womit hängt dieser erstaunliche Prozess zusammen? Könnte es sein, dass es über das individuelle Schicksal der Clubs hinaus allgemeinere, eher kulturell und soziologisch bestimmbare Gründe gibt, die mit dem Niedergang der zweiten Vereine zu tun haben?

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Es geht um die veränderte Funktion der Einheit »Stadt«, wie sie im letzten Vierteljahrhundert unter den bekannten Schlagworten der »Globalisierung« und »Mobilität« beschrieben worden ist. Lange Zeit waren Städte für die allermeisten ihrer Bewohner weitgehend abgeschlossene Sphären, in denen sie die gesamte Zeit ihres Lebens verbrachten. Innerhalb dieser Sphären ergaben sich grundverschiedene Lebenswelten, verteilt auf die sozial ungleich ausgeprägten Viertel der Stadt – eine Konkurrenz der Anschauungen und Existenzbedingungen, die in der Welt des Fußballs zu einem Wettstreit zweier Vereine führte.

Und die Vereine existierten nicht einfach nebeneinander, sondern verkörperten zwei unterschiedliche Milieus: Klein gegen Groß, Arm gegen Reich, Arbeiter gegen Bürger. In Deutschland zeigte sich diese Rivalität zwischen 1860 und Bayern, St. Pauli und dem HSV, den aufstrebenden Stuttgarter Kickers und Mayer-Vorfelders saturiertem VfB. Heute ist die Stadt für ein Gutteil der Menschen keine lebenslange Heimat mehr, sondern eine Station auf dem flexiblen Lebensweg. Das gilt für die Anhänger genauso wie für die Spieler; der Kader der Vereine ist in den letzten zehn, 15 Jahren bekanntlich radikal verändert worden, geprägt von Internationalität und hoher Fluktuation.

Im europäischen Fußball hat sich das Zeitalter der Globalisierung und Mobilität in der Gründung der Champions League 1992 niedergeschlagen, vor allem in ihrer sukzessiven Erweiterung zu einer Europaliga, die bis zu vier Vereine eines Landes im Wettbewerb zulässt. Das Verschwinden der zweiten Vereine jedoch, die Auflösung von Stadtrivalitäten hängt genau mit dieser Tendenz zusammen. Denn der Schauplatz des Duells im Fußball hat sich ausgeweitet; nicht mehr dem klassischen »Derby« innerhalb einer Stadt gilt das allgemeine Augenmerk, sondern den mit internationalen Stars gespickten europäischen Partien zwischen Manchester und Barcelona, Bayern und Real Madrid, Liverpool und AC Milan. Vereine wie der TSV 1860 sind das Opfer dieser Entwicklung.