Immer mit der Ruhe

Wenn die Gedanken kein Ventil mehr finden: Was passiert mit einem Menschen, der eine Woche lang eisern schweigt? Der Schauspieler Christian Ulmen, vor der Kamera sonst sehr redselig, hat es für uns ausprobiert.

Tag 1
Westberliner Vormittag. »Im noch zuckenden ehemaligen Herz der Stadt«, beschrieb ein Journalist die Lage unseres Büros. Stau vor den Boutiquen. Sehr alte Russinnen versperren in dicken Trauben die Seitenstraße, in der ich parken will. Einparken, ohne fluchen zu dürfen: Das ist die Vorhölle. Schmerzhaft wie eine Brandwunde ohne Kühlung. Ich brumme in kurzen Intervallen. Schimpfworte, die nicht rausdürfen, geistern unausgesprochen über meine Lippen. Leidet so ein Tourette-Patient?

Ich will »Jesus« sagen und sogar »Fucking« und »Arschloch«, mit jedem vergeblichen Versuch, eine Lücke zu finden, und jedem Punto, der vor mir einen Platz ergattert hat. Ich darf seufzen! Und parke im Halteverbot. Dies ist der erste Tag eines Experiments. Eine Woche schweigen.

Ich spreche generell nicht viel. Nicht, weil mir nichts einfällt, sondern weil es mich anstrengt. Beim Small Talk suche ich immer nach Themen, von denen ich annehme, dass sie irgendwie passen, die mich aber im Grunde überhaupt nicht interessieren: die Grippewelle im Januar; warum die Bahn im Winter immer total überfordert ist; ob Boris Becker noch in der Pubertät ist. Das ist mir alles egal – aber ich unterhalte mich auf Stehpartys über diese Dinge, als bestünden darin die letzten Wortwechsel meines Lebens; stets etwas hastig und unentspannt.

Man müsste Schweige-Partys organisieren. Keiner darf was sagen. Alle stehen da und trinken und gucken und nicken. Würde wahrscheinlich kaum einer mitmachen. Was aber, wenn man das nur für sich durchzieht? Eine Woche lang nichts sagen. Also noch weniger als sonst. Gar nichts. SMS, Briefe und Mails – okay. Ansonsten: Klappe halten. Kein einziges Wort sprechen. Und um’s spannender zu machen: vorher niemandem etwas sagen. Einfach morgen früh loslegen. Ganz normal aufstehen, nur nichts mehr sagen. Das stelle ich mir sehr schön vor. Mal sehen, was passiert.

Meistgelesen diese Woche:

Das Vorhaben ist in zwei Zeilen erklärt. Ich schrieb sie am Vorabend auf und lasse sie meine Frau jetzt laut vorlesen: »Will eine Woche lang schweigen und Tagebuch führen. Ein Experiment.« Sie sieht mich an, prüft wohl, ob es ernst gemeint ist. Hält es, glaube ich, für einen Scherz und spielt mit. Kurz darauf leise Umarmung. Dem unbändigen Abschiedsritual meines Sohnes begegne ich mit heftigem Grimassieren, was sicher wahnsinnig albern aussieht. Er grimassiert zurück, scheint aber ansonsten nichts zu vermissen.

Frau fährt zur Fortbildung in die Lüneburger Heide, nimmt den Sohn mit. Ein Vorgeschmack auf die bevorstehende Woche ohne Sprechen: Geräusche. Vier Füße auf der Treppe. Die Haustür fällt langsam zu, ich bin gerührt. Als Einziger. Fünf Minuten später fahre ich ins Büro. Der Verkehr steht zäh, mein Navigationssystem wird kreativ. Die Dame spricht am laufenden Band. Ferres-Momente, wenn ihre Stimme übergluckst. Kurz gut gegen die eigene Stille.

Sie betont Straßennamen, als seien es eingeölte Körperteile: »Kurfürstendamm« klingt plötzlich ekelhaft, wie der glänzende Damm des Kurfürsten. Schalte sie stumm. Muss noch ein Paket abgeben. Postfrau frankiert atemlos, rasend und stumm. Zum ersten Mal wünsche ich ihr keinen schönen Tag. Hab ich all die Jahre gemacht, sie hat nie geantwortet. Fast eine kleine Rache. Gehe befriedigt. Hab ich sie da noch leise grüßen hören?

Im Büro begrüße ich alle mit Handschlag. Wirke wie ein Vorschüler, der seinen Chemiebaukasten mit Leuchtkristallen auspackt. Ich halte ihnen die Notiz hin, die ich zuvor meiner Frau zeigte. »Mal wieder ein verrücktes Experiment.« Sagt der Redakteur, der auch heute zu spät war. Dabei knistert er leise. Er trägt wieder Polyester. Könnte ich ihn jetzt drauf hinweisen. Zusammenhänge zwischen Polyester, elektrischer Spannung und Körpergeruch herstellen. Er weiß nun, dass ich es nicht darf.

Der Wind hat sein krauses Haar zu einem turbanförmigen Klump geweht. Ich sammle Synonyme für sein Haar: Buschgras, Maisbeulenbrand, Rolf Töpperwien. Muss sie alle bei mir behalten. Das ist nicht leicht.
In meinem Bürozimmer lasse ich die Tür einen Spalt auf. Um alle Unterhaltungen mitzubekommen. Scheine ständig entscheidende Teile zu verpassen. Habe das Gefühl, dass man nur über mich spricht. Wie ein Kiffer. Wortfetzen werden in meinem Kopf zu Sätzen, Behauptungen, Fragen. Beginne, in Gedanken zu antworten. Schließe die Tür.

Tag 2
Ich fahre einkaufen. Parken geht schon viel besser so still. Ich beginne, Autofahrer zu respektieren. Es sind jetzt noch 5,75 Tage allein und in Selbstversorgung. Im Supermarkt fließen Kassenpiepen, Stimmen und Musiksauce zu einem zähen Brei zusammen. Wir sind Kaiser’s Tengelmann, und in unserer Familie kommt’s auf jeden Einzelnen an. Bevor ich ausweichen kann, kreuzen sich meine Laufwege mit der einer neuen Nachbarin. Wir kennen uns noch gar nicht mit Namen.

»Ich bin Ute.« Ich nicke. »Christian«, sage ich. Fast. »Geht es Ihnen nicht gut?«, fragt Ute. Ich nicke sehr heftig. »Der Hals?« Klare Geste: Ja. »Die Stimmbänder? Mein Mann hat seit Jahren damit zu kämpfen. Er hatte eine Schilddrüsenoperation, er war beim Logopäden… seine Stimme wurde davon besser… Aber dann kamen die Lähmungserscheinungen. Sie auch?« – Schilddrüse ist Utes Thema. Ich versuche ihren Wortschwall mit kurzen, desinteressierten Blicken in alle möglichen Richtungen zu unterbrechen. »Das Gewebe muss sich erst regenerieren. Der Hals ist supertaub, komplett gefühllos. Als ob die Nahrung beim Schlucken ins Leere fällt. In ein Loch.« Klappt nicht.

Dieses Nichtsprechen hat jetzt wirklich etwas von Kranksein. Verstopfung, Fieber… Ich kann es noch nicht richtig bebildern. Vor allem: Die meisten Worte der anderen erscheinen noch nerviger, noch überflüssiger als je zuvor. 80 Prozent der Unterhaltungen, die ich an so einem Schweigetag aufschnappe, sind überflüssig. Es hat etwas Einfältiges, wie kleinste Alltagswidrigkeiten anscheinend nur durch das selbstbestätigende Wiederkäuen im Umfeld anderer verdaut werden können. Eine Freundin: »Weißt du, und dann steh ich da, die Ampel springt auf Rot, und genau in diesem Moment kommt natürlich die Tram…« Oder: »Und dann hatte ich kein Kleingeld mehr, und der Automat nimmt ja keine Scheine. Da musste ich erst mal zum Bäcker, Geld wechseln. Nerv.« Und wie.

Tag 3
Egal, was geredet wird, ich kann keine Gespräche mehr mit anhören. Früher, als ich noch selbst geredet habe, konnte ich mit den Gedanken abschweifen, wenn irgendwer redete. Jetzt bin ich zum Zuhören verdonnert, jeder Satz kommt an. Scheint, als werden die meisten Sätze im vollen Bewusstsein darüber gesprochen, dass der Zuhörer nicht richtig bei der Sache ist. Wie oft zwei Menschen sich zur eigenen emotionalen Genesung über das Privatleben Dritter anmaßend allwissend unterhalten.

»Sie sagt, sie kümmert sich jetzt um sich selbst. Aber die ist noch lange nicht über ihre Scheidung hinweg.« – »Schrecklich, wenn sich Leute selbst etwas vormachen.« – »Sie sah schlecht aus. Richtig schlecht. Lässt sich gehen und stürzt sich in den Job. Pure Verdrängung.« So im Treppenhaus gehört. Heute Morgen. Ohne besondere Vorkommnisse schweigend zur Arbeit gefahren. Sogar das Radio ausgelassen. Lange nicht mehr nur den Motor meines Wagens gehört. Klingt gut. Zwölfzylinder. Herrlich. VW.

»Der Hinterhof«, sagt unser Telefontechniker Michael, »wirkt wie ein Lautsprecher. Er läuft flach trichterförmig zusammen, die Häuser bilden den ringförmigen Wulst am Ausgang.« Fahrig formt er einen Lautsprecher mit den Händen. Ein dünner, schüchterner Mensch mit Hautfärbungen. Sehr gut erzogen. Spricht sehr leise und erklärt uns, warum es im Hinterhof immer so laut ist: die Architektur. Mag sein. Ich finde noch immer, es liegt an den Nervbolden darin. Wir beugen uns aus dem Fenster meines Bürozimmers:

Es sind, wie immer, drei Angestellte aus dem »Krawatten-Zentrum« im Erdgeschoss. Sie machen Mittag im Hof. Essen Sushi und unterhalten sich, nein, schreien sich an: BMW Z8, Handytarife, Triebtäter, Weihnachten. Der ringförmige Wulst bläst jedes Wort ihrer Null-Unterhaltungen in doppelter Lautstärke zu mir hoch. Normalerweise schreie ich die Typen so lange an, bis sie endlich verstummen. Heute bitte ich Michael per Post-it-Notiz, dies für mich zu tun.

Michael, der immer alles falsch macht: Er kommt, wenn die Telefonanlage versagt, einmal in der Woche. Er schraubt verzweifelt an der Anlage, verwechselt Kabel, stolpert über Trittleisten und bricht sich dabei das Kahnbein, aber in all der Zeit ist eine Art Freundschaft zwischen uns entstanden. Er traut sich jetzt nicht, die Idioten auf dem Hinterhof anzuschreien, und erklärt darum stundenlang, die Architektur sei schuld am Lärm. Der Trichter, der Wulst und das alles.

»RUHE SPACKOS!«, schreibe ich ihm auf einen Zettel. Michael kann kein »ck« aussprechen, er sagt »Kuchen bachen«, aber das habe ich vergessen. Er windet sich, fasst sich dann ein Herz, holt tief Luft und schreit die Worte in den Hof. »Spachos«, liest er. Seine Stimme jault. Keine Reaktion im Hof. »Hier wird gearbeitet!«, kritzle ich ihm auf den Zettel. Er wiehert die Worte hinaus. Es ist mehr das Bellen eines sehr kranken Pferdes. Die Krawattenhändler machen weiter. Ich danke Michael per Handschlag und drehe meine Anlage auf. Free Jazz. John Zorn.

Zeit für ein Zwischenfazit: Ärgernisse überwiegen. Ich kann nicht mit mir selbst sprechen. Um meine Gedanken zu ordnen, muss ich sie in ein Wort stecken und rauslassen. Sie bilden sonst Knoten, Schluckaufs. Ich führe gern Selbstgespräche, trage meine und mögliche Gedanken eines imaginären Gegenübers laut vor. Nur so gibt’s Ordnung. Das Schweigen ist da wirklich giftig. Als dürfe man nicht aufräumen. Alle Gedanken liegen wild herum. Habe mich dabei ertappt, wie ich ein Mindmap malen wollte.

Natürlich vermisse ich Gespräche mit Frau und Kind. Im Einhalten der Spielregeln hingegen glatte Eins: Habe nicht einmal aus Versehen irgendetwas gesagt. Schnöde Tricks meiner Kollegen, mir mit Fragen wie »Willste was trinken?« ein »Ja« zu entlocken, habe ich gesprengt. Mit so was habe ich gerechnet. Natürlich. Am Abend klopft Ute. Wir sind ja quasi befreundet jetzt.

Zimt, ob ich Zimt hätte, bei Ute gibt es Waffeln, wenn ich möchte, soll ich vorbeikommen auf ein, zwei Wäffelchen. Ich stelle mir Utes schilddrüsenkranken Mann auf einer Chaiselongue hängend vor, leichenblass, Dehnungsstreifen auf der Haut, Vollmondgesicht vom Cortison. Er fragt mich nach meiner Schilddrüse und meinem behandelnden Schilddrüsenarzt. Ich schüttle panisch den Kopf. Habe keinen Zimt!

Tag 4
Der Hofeingang zum Büro ist blockiert. Ein Scientologe stellt sich mir in den Weg. Ein Pappschild preist seinen »kostenlosen Stress-Test« an. In seinem angespannten Gesicht eine schwere Kassenbrille mit eingerissenem Bügel. Der Bügel ist mit Kreppband zusammengeklebt. Es löst sich langsam ab. Die Brille liegt jetzt so schief auf seiner Nase, als hätte man Eduard Zimmermann richtig eine runtergehauen. Reflexartig will ich ihn darauf hinweisen, keine Ahnung, wieso, tippe mir an die Schläfe und will sagen: »Ihre Brille fällt.«

In letzter Sekunde verharre ich, die Hand noch an der Schläfe. Er versteht mich nicht und hält mir ein Taschenbuch von L. Ron Hubbard vor das Gesicht. »Der meistübersetzte Autor aller Zeiten.« Ich winke ab. Irgendwie finde ich keinen geeigneten Moment für den Abgang. Wirklich schwierig, ohne zu sprechen. Achsel zucken und sich einfach umdrehen wäre unhöflich, selbst gegenüber einem Sektenmann. Ich denke über eine freundliche »Keine Zeit«-Geste nach.

Der Mann drückt mir derweil einen metallenen Griffel in die Hand. »Checken wir doch Ihre Stresswurzeln mal durch. Denken Sie jeweils intensiv an das Wort, das ich ausspreche«. – »Familie« – »Beruf« – »Mutter«. Ich denke jeweils intensiv. Der Zeiger bleibt regungslos. Ich denke noch etwas intensiver. Der Scientologe gibt auf. »Lesen Sie Hubbard.« Ich nicke. Jetzt gehen. Toller Moment.

Kolleginnen schichten Papierstapel auf meinen Schreibtisch. Sie schmelzen minütlich. Ich schreibe E-Mails. Informell. Kompakt. Ich beginne, Kürzel zu verwenden: Innerhalb eines Nachmittags ist das Pensum mehrerer Tage abgearbeitet. Vielleicht sollten wir in Zukunft ganz auf das gesprochene Wort verzichten. Geräuschlos parataktische E-Mails schreiben. So funktioniert das Büro eines Hans-Olaf Henkel, Hilmar Kopper. Ich sehe in meine Zukunft: freudlose Abläufe, randlose Brillen, effektive Strukturen. Gar nicht so schlecht.

Stelle mir kurz vor, wie es wäre, wenn ich das Sprechen verlernte. Nach sieben Tagen einfach keinen ganzen Satz mehr sagen könnte. Oder anfinge zu stottern. Verwerfe den Gedanken. Als Kind hat man manchmal stumm und beleidigt getan für eine Milchschnitte oder um Bim Bam Bino doch noch zu Ende sehen zu dürfen. Das hat oft funktioniert.

Im italienischen Schnellrestaurant, das wir in der Mittagspause im Kollegenkreis besuchen, bin ich nur der Autist. An den ersten drei Tagen haben mir die Kollegen noch Signale gegeben, Zettel zugeschoben und sich als Teil des Spiels verstanden. Nun ignorieren sie mich. Ich finde nicht mehr statt. Nur noch auf einer Meta-Ebene.

Ich entwickle einen neuen Sport: Worten zu lauschen und die Kleidung dazu zu erraten. Eine Frau liest einem Mann einen Satz über einen Film aus der FAZ vor. Ich rate: Rollkragen, Jeans, Lacoste-Slipper. Ich drehe mich um: Die beiden sind von der Fitness-Company. Träume nachts von Zungenamputation. Ich wache auf und schaue RTL Shop.

Tag 5
Nach fünf Tagen mit lautlosem Telefon stelle ich mich dem Anrufbeantworter. 14 neue Nachrichten. Einige bitten zweimal um Rückruf, die haben aber auch schon gemailt. Andere anonym. Knistern und Auflegen. Noch mal Knistern. Jemand niest, eine Tür schlägt zu. Habe plötzlich Ideen. Nicht ein Möbelstück, sondern eine ganze neue Wohnphilosophie. Zeichne Regale, Tische und Sitzelemente in eine Skizze für das Wohnzimmer und koloriere den Fußboden mit dem braunen Wachsmalstift meines Sohnes. Wo sich sonst in dünnen Bächen der Gestaltungswille seinen Weg suchte, kommt nun ein erquicklicher Stausee zusammen, in dem sich Ideen in stundenschneller Mikro-Evolution entwickeln.

Komme mit vier vollgeschriebenen Seiten ins Büro. Kann keine Mails mehr sehen. Brauche was zum Anfassen. Drucke alles aus. Man kolportiert, der Ressortleiter der Medienseite einer Tageszeitung habe dafür gesorgt, dass die ganze Zeitung nie wieder über mich berichtet, und zwar nachdrücklich. Vor ein paar Tagen noch hätte ich jetzt einen Kriegsplan geschmiedet, sofort den Entwurf für einen Rachetext begonnen, in dem von Penislängen und Kindertheater die Rede ist. Vielleicht hätte ich gar eine schmierige Figur mit heftigen Minderwertigkeitskomplexen erfunden, die im mittleren Management sein will, aber immer nur das Fernsehprogramm aufschreiben darf. Doch heute… Nichts dergleichen. Fühle mich friedfertiger denn je. Wieder ein Zwischenfazit: Schweigen entfesselt ungemein und beruhigt nachhaltig.

Tag 6

Ich schlafe lange und träume wild. Noch am Morgen wundere ich mich über mich selbst. Fühle mich ein bisschen erleuchtet. Wie nach den Exerzitien im Schweigekloster. Wie peinlich. Hobby-Buddhisten palavern oft denselben Kram. Höre noch mal den Anrufbeantworter ab. Nix Neues. Das alte Rascheln, Niesen, Auflegen. Das Rascheln muss von Polyester herrühren. Das trägt nur unser Redakteur. Und krank ist er auch ständig. Offensichtlich wollte er mich überwachen, testen, ob ich mein Gelübde breche. Ich bewundere mich für meine neue Kombinationsfähigkeit.

Tag 7
Meine Frau und mein Sohn kommen früher als verabredet. Sie rennen mir entgegen, sehen mich an, als hätte ich die Chemotherapie knapp überstanden. Dabei habe ich heute gekocht und die Möbel neu angeordnet und einen Roman zu Ende gelesen. Die ersten Worte perlen aus mir heraus. Hören sich neu an, klingen fröhlich nach. Ich erzähle und muss mich erst mal wieder an meine Stimme gewöhnen. Meiner Frau ist das egal. Ihr gefällt nicht, was ich da im Wohnzimmer gemacht habe. Ich nicke und sage, dass wir die Möbel auch gerne wieder so hinstellen können wie vorher. Zweimal lese ich Tomte Tummetott, dann schläft mein Sohn ein. Als ich es bemerke, bin ich etwas froh. Endlich wieder schweigen.

Christian Ulmen, 33, war früher MTV-Moderator und arbeitet heute vor allem als Schauspieler und Produzent. Für seine Rollen in dem Kinofilm "Herr Lehmann" und der Fernsehserie "Dr. Psycho" erhielt er den Bayerischen Fernsehpreis, für Letztere außerdem den Adolf-Grimme-Preis. Seit 2008 betreibt er seinen eigenen Fernsehsender unter www.ulmen.tv.

Foto: dpa; Illustration: Anita Ortega