Das Beste aus aller Welt

Axel Hacke ist beängstigt, wie sehr Gutscheine, Extrapunkte und Bonusmeilen seine Freiheit beschränken und fragt sich, wie er zum Sklave der Rabattsysteme werden konnte.

Für einen der größten Fortschritte in der Geschichte der Menschheit halte ich die Gründung der Firma, die auf Autobahnraststätten saubere Toiletten anbietet. Bei deren Benutzung muss man zunächst 50 Cent bezahlen. Für diese 50 Cent bekommt man einen Gutschein, den man in der Raststätte einlösen kann. Geniale Idee. Im Grunde hat niemand Kosten, alle profitieren. Ich habe bereits überlegt, die Pflege unseres Badezimmers diesem Unternehmen zu übertragen. Jedes Familienmitglied muss pro Badbenutzung 50 Cent entrichten, bekommt einen Gutschein, den kann es beim Griechen unten im Haus einlösen. Perfekt.

Manche Leute sammeln ja die Bons, bis sie eine komplette Mahlzeit in der Raststätte damit bezahlen können. Bruno, mein Freund, war in New Orleans, wo ihm fünf Klo-Coupons aus der Geldbörse fielen. In Amerika sind sie allerdings nutzlos. Die einzige Toilette des Unternehmens außerhalb Deutschlands ist in Ungarn, in einem Ort namens Karácsond. Aber wer pinkelt schon in Karácsond? Diese vielen Bons im Portemonnaie sind jedoch ein Problem. Zum Beispiel bekomme ich immer wieder Gutscheine: Tanken Sie bei Spritol, Sie bekommen die fünffache Punktmenge! Oder: Kaufen Sie zwischen 29. Mai und 26. Juni im Eisenwarengeschäft Hammergut, wir schreiben Ihnen 300 Extrapunkte auf! So was liegt wochenlang im Geldtascherl, zusammen mit Flaschenautomat-Quittungen, die ich einzulösen vergessen habe, und Wäschereizetteln.

Es ist lästig. Dieses langsam sich verfärbende Papiermaterial. Und immerzu habe ich im Hirn: muss zu Spritol, auch zu Hammergut, bevor die Gutscheine abgelaufen sind. Große Teile meines Denkvermögens sind blockiert, es ist untragbar. Aber ich kann nichts machen: Ich bin ein Kind, was das angeht. Punktesüchtig. Ein Meilenjunkie.

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Neulich habe ich ausgerechnet, dass ich bei elf Unternehmen Punkte, Meilen, Rewards und Digits sammle. Aus Sicht eines Datenschützers ist das die Katastrophe. Man kann von mir ein totales Bewegungs- und Kaufprofil anfertigen. Der gläserne Kunde ist ein Dunkelmann gegen mich. Diese Leute wissen jederzeit, wo ich bin. Wo sie mich holen könnten.

Warum mache ich das? Sobald ich die Kataloge der Sammelfirmen durchblättere, in denen Belohnungen fürs Punktehorten verzeichnet sind, befällt mich lähmendes Entsetzen. Nichts von dem, was mir angeboten wird, benötige ich. Man dient mir schnurlose Schraubendreher, Kindersitze, Langschlitz-Toaster, Fondue-Sets, Woks und Messerblöcke an. HAB ICH ALLES! Bei Spritol hätte ich demnächst (noch zweimal volltanken!) das Anrecht auf einen Kärcher-Hochdruckreiniger erworben. Aber was soll ich damit kärchern? Meine Kinder nach dem Spielen? Autobahntoiletten?

Bruno hat in seiner Verzweiflung einen Mörser für die Küche ausgesucht, groß wie eine Salatschüssel, was im Katalog nicht erkennbar war. Die Tür des Küchenschranks lässt sich seinetwegen nicht mehr schließen. Benutzt hat er ihn nie. Er müsste das Monstrum wegwerfen, aber darin läge das Eingeständnis, dass große Teile seines Lebens vergeudet waren.

Es ist ziemlich sinnlos. Nie habe ich einen Lufthansa-Freiflug geschafft; immer verfallen kurz, bevor ich so weit wäre, die Meilen. Aber ich mache weiter. Ein Punktesklave, warum? Ich habe nichts zu verschenken. Und hoffe auf das große Ding, einen Karibikurlaub für zwei oder so, für eine Million Punkte, erspart mit Tanken, Erdbeerjoghurt im Supermarkt und Bahnfahren.

Vor Jahren habe ich gelesen, zum weltweit reichsten Meilenbesitzer sei ein Mann geworden, der die gesamte Portokasse seiner Firma über die eigene Kreditkarte abgewickelt habe: 25 Millionen Meilen, genug für 250 Flüge London – Sidney und zurück. Mein Vorschlag damals: Den gesamten Bundesetat über eine Kreditkarte laufen zu lassen. Die Punkte an alle Bürger gleichmäßig auszuschütten. Woks und Toaster für alle! Warum ist das bis heute nicht geschehen? Es wäre der ganz große Schlag, vielleicht sogar der einzige Weg aus der Finanzkrise.

Illustration: Dirk Schmidt