Oh W!

Wer war noch mal George W. Bush? Ach ja, richtig. Obamas Vorgänger versucht gerade, sich an die Freizeit zu gewöhnen - und geht seinen Nachbarn ziemlich auf die Nerven.

Es war ein Morgen im Februar, Patrick Bibb saß an der Uni in der Wirtschaftsvorlesung, als sein Handy klingelte. Das Display zeigte keine Nummer an, also beschloss der 19-jährige Student, den Anruf wegzudrücken. Am Ende der Vorlesung hörte er seine Mailbox ab: George W. Bush hatte eine Nachricht hinterlassen.

Der ehemalige Präsident der USA bedankte sich mehrfach bei dem Studenten, der Bushs neuen Nachbarn in Texas für 20 Dollar Schilder verkauft hatte – Schilder mit der Aufschrift »Willkommen zu Hause, George & Laura«. Er hoffe, diese Nachricht sei ausreichend, um seine Dankbarkeit auszudrücken, hörte Patrick Bibb den Ex-Präsidenten sagen. Die Idee mit den Schildern war dem geschäftstüchtigen Studenten gekommen, als er erfahren hatte, dass Bush nach dem Ende seiner Amtszeit dort hinziehen würde, wo Bibbs Eltern wohnten: in eine exklusive Wohngegend im Norden von Dallas. Kurz nach Bushs Anruf saß Bibb in der nächsten Vorlesung: Bilanzwesen. Das Telefon klingelte, wieder Bush. Er bedankte sich erneut für die Schilder. Der Student wollte nicht unhöflich sein, unterbrach ihn dann aber doch. Er sei gerade »mitten in der Vorlesung« und müsse jetzt auflegen. »Kein Problem«, beruhigte ihn Bush.

Auch Wochen später staunt der Student über sein Geplauder mit dem Menschen, der bis vor Kurzem der mächtigste Mann auf diesem Planeten war. »Ich wollte ihm doch einfach nur zeigen, dass ihn die Leute hier immer noch mögen, Umfragen hin oder her«, sagt Bibb. Mit seiner Verwunderung steht er nicht allein: Molly Vilbig wohnt einige Häuser weiter. Sie erzählt, Bush habe wohl Wind davon bekommen, dass ihr Enkel im Alter von sechs Jahren einen Dollar gespendet hatte, als Bush zum ersten Mal für das Präsidentenamt kandidierte. Jedenfalls habe der Ex-Präsident den mittlerweile 14-Jährigen angerufen und zu sich nach Hause eingeladen. Unter den Augen der Agenten des Geheimdienstes marschierte der Junge in das Haus von George W. Bush. Die beiden machten es sich im Garten bequem und, so schildert es die Großmutter, Bush forderte den Jungen auf: »Frag mich alles, was du wissen willst.«

Meistgelesen diese Woche:

Sie saßen anderthalb Stunden zusammen. In den folgenden Tagen freundete sich der Junge mehr und mehr mit den Geheimdienstleuten an. Eines Abends rief ihn die Großmutter zum Essen. Als er kam, war er etwas genervt: »Gerade wollten mir die Agenten den Codenamen von Laura Bush verraten!«

George W. Bush war schon immer ein freundlicher Mensch. Und vielleicht findet er es einfach erfrischend, ganz spontan mit den Nachbarn zu reden – nach all den Jahren, in denen er vom Sicherheitspersonal abgeschirmt wurde, all seine Treffen einer sorgfältigen Choreografie unterworfen und seine Tage auf die Minute verplant waren. Womöglich verrät die Wahl seiner Gesprächspartner aber noch viel mehr über sein Innenleben: Die meiste Zeit in Washington lebte er in einer Blase; nach seinem Abschied aus dem Amt und Umfragen, wonach 73 Prozent der Amerikaner ihn und seine Politik zuletzt ablehnten, ist es sehr verständlich, dass er sich nur zögernd in die Öffentlichkeit wagt. Wie es scheint, versucht Bush zunächst wieder in seiner alten Heimat Texas Fuß zu fassen, indem er langsam Kontakt zu alten Freunden aufnimmt und zu seinen treuesten Unterstützern. Oder eben zu seinem 14-jährigen Fan, der vielleicht nur am Rande mitbekommen hat, wie harsch der Mann kritisiert wurde, der gerade im Nachbarhaus eingezogen ist.

»Texas ist seine Heimat, hier fühlt er sich am wohlsten«, sagt Bruce Buchanan, Politikwissenschaftler an der Universität von Austin.
»Opposition, Schwarzseher, Kritiker – das alles mag er nicht. Mochte er nie. Auch jetzt sucht er Geborgenheit, wie er sie hier eben findet.«

Schon als Bush am 20. Januar Washington verließ, ging er auf Nummer sicher: Er landete in Midland, Texas. In der kleinen wohlhabenden Stadt hat er prominente, mächtige Freunde. Dort wuchs er auf, dort hat der Name Bush immer noch großes Gewicht. »Er wurde von 30 000 Menschen empfangen«, sagt Bob McCleskey, Bushs Steuerberater in Texas, »und das, obwohl es kein Freibier gab. Die meisten Leute hier haben Hochachtung vor ihm, weil er nie umfiel, wenn er einmal etwas entschieden hatte.«

Anfang des Jahres brachte ein texanischer Abgeordneter aus Waco, wo Bush seine Ranch hat, sogar einen Entwurf für ein Gesetz ein, das den Ex-Präsidenten ehren soll: als einen Mann, »der jeden Tag die Sicherheit und den Wohlstand seiner Bürger im Sinn hatte. Er zeigte Prinzipientreue in vielen Fragen von zentraler Bedeutung für jeden Amerikaner. Sein unermüdlicher Einsatz wird noch lange in unser aller Gedächtnis bleiben.« So sollte es in dem Gesetz stehen. Und auch für die neuen Instrumente sollte Bush geadelt werden, die er im Kampf gegen den Terrorismus geschaffen hatte. Dieser Passus erregte allerdings heftigen Widerspruch eines anderen Abgeordneten. Er kritisierte, man könne leicht den Eindruck gewinnen, dass Bush »für sein Waterboarding und andere Foltertechniken« gefeiert werden soll. Der Entwurf wurde mehrmals umgeschrieben und liegt seit April auf Eis.

In Dallas hat sich Bush nun ein Büro gemietet. Freunde sagen, er schreibe voller Eifer an seinen Memoiren. »Ich glaube«, sagt der Milliardär und langjährige Freund Tom Hicks, »er vertraut darauf, dass ihn die Geschichte weit besser beurteilen wird, als die New York Times und andere Medien das im Moment tun.«

»Präsidenten haben kein faires Urteil zu erwarten, solange sie selbst und ihre Zeitgenossen noch leben«, meint der Politikwissenschaftler Buchanan. Bush wird sich also noch gedulden müssen.
Dieses Warten ist sicher nicht einfach für den umtriebigen Mann, der auch mit 62 vor Energie strotzt. In einem Blog ist nachzulesen, dass der Ex-Präsident in Dallas eine Grundschule besuchte. Dort regten Eltern an, er solle doch beim Karneval an der Schule mitwirken, wo es auch ein Spukschloss geben wird.

»Ich würde ein sehr gutes Gespenst abgeben«, antwortete Bush.


Aus dem Amerikanischen von Rainer Stadler

Carolyn Herter Stalder (Foto)