Mutprobe Nr. 2: Die Körperenthaarung

Harmlose Routine oder infernalische Schmerzen? Augen zu und durch: Tobias Kniebe hat sich im Waxing-Studio von seiner Rückenmatte befreien lassen.

Der Laden ist nicht besonders auffällig. Ein simpler Schriftzug an der Tür, der hauptsächlich aus dem Wort »Waxing« besteht. Milchglas verhindert, dass man hineinschauen kann. Ich lausche. Kein Geräusch zu hören. Nicht einmal Schmerzensschreie. Trotzdem gehen dort unaussprechliche Dinge vor, so viel ist mal klar. Ich habe Angst – und ich muss da jetzt rein. Warum ich da rein muss? Eine sehr berechtigte, gerade jetzt ziemlich unerklärliche Frage. Gib einem Mann eine Mutprobe und sieh zu, wie er sich zum Affen macht.

Apropos Affe. Bevor ich jetzt diese Tür aufmache, sollte für die Nachwelt eines festgehalten werden: Ich war nie einer von diesen ganz Zotteligen. Diesen Kreaturen, von denen man am Strand kaum den Blick abwenden kann, weil ein Fell auf dem Körper des Homo sapiens … Sie wissen schon. Nein, aus mittlerer Entfernung im Freibad betrachtet, könnte ich noch als teilweise glatthäutiger Typ durchgehen, mit einer durchaus nicht unattraktiven Brustbehaarung Modell »Sean Connery«. Aus der Nähe betrachtet, besonders seit ich die 35 überschritten habe, wächst da allerdings doch so einiges, was meiner Meinung nach nicht unbedingt wachsen müsste. Was meine Silhouette im Spiegel irgendwie, nun ja, fusselig macht.

»Haare auf dem Rücken gehen gar nicht.« Den Satz habe vor Jahren mal auf einer Party gehört. Sagte eine hübsche Studentin zur anderen. Moment mal wollte ich fragen: Und was ist mit superfeinen, mittelbraunen, eigentlich kaum sichtbaren, also fast: Härchen? Aber ich sagte nichts. Ich packte nur meine Bierflasche fester und strebte wortlos neuen Jagdgründen entgegen. Die Verletzung sitzt tief.

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Egal jetzt. Ich bin drin. Ein starker Geruch von Bienenwachs. Nicht unangenehm. Ein Tresen, eine Art Warteraum. Leer. »Komme gleich«, ruft eine Stimme aus den hinteren Verliesen. Die Wände sind bis auf Brusthöhe violett bemalt. Aha. Wegen der Blutspritzer. Ich lasse mich in ein Rattansofa sinken. Halblaut läuft ein Radio. An der Wand hängen Blumengemälde, Postershop-Expressionismus, suggestive Dolden, feuerrote klaffende Blütenkelche. Ein Wasserspender gluckst. Eine Schale mit Bonbons steht auf der Theke. Im Eck eine Stachelpalme. All meine Sinne sind geschärft, aber erst einmal tut sich nichts. Nur Robert Redford grinst mich an, von einem Zeitschriftentitel. Wie würde ein echter Mann in dieser Lage handeln? Ich stelle mir Dirty Harry vor, den Magnum-Revolver im Anschlag, der hier Ansagen macht: Keinen Schritt näher zum Wachstopf! Make my day!

Ich studiere die Preisliste. Es gibt sie für Frauen und Männer. Immerhin: Männer machen das. Jeder Körperteil ist aufgeführt. Von Achseln (11 Euro) bis Schultergürtel (18 Euro). Dazwischen auch Bart, Brust, Beine komplett, Nase, Ohren. Wachs in der Nase? Wachs in den Ohren? Wie soll das gehen? Am teuersten ist, mit 34 Euro, der »Brazilian Hollywood Man«. Der ist noch mal sechs Euro teurer als der »Brazilian Man«. Was, zum Teufel, bedeutet das? Ein Sternchen steht dahinter, unten wird es aufgelöst: ohne Pofalte. Was immer der Brazilian Man sein mag – die Pofalte ist schon mal nicht mit drin. Die kostet extra. Unglaublich, diese Schnäppchenjäger, die meinen, für 34 Euro könnten sie gleich noch die Pofalte gratis dazu abstauben!

Okay, es kommt jemand. Eine mittelgroße, drahtige Frau im Poloshirt. Sieht tough aus. Wie man halt so aussieht, wenn man den ganzen Tag, die ganze Woche, das ganze Jahr über Haare ausreißt. Die dann doch immer wieder nachwachsen. Stichwort: Sisyphos. Ja, dieses Gesicht ist sisyphosmäßig von der Sinnlosigkeit des Seins gezeichnet. Jetzt sieht man es genau. »Kann ich chelfen?«, fragt die Frau. Interessanter Akzent. Ja, bitte: Was ist, bedeutet denn, ähem, dieser Punkt hier auf der Preisliste? »Brazilian Chollywood Man? Is Intimbereich. Mit Choden. Brazilian Man, ohne Choden.« Ah ja. Ein Bild vor dem inneren Auge, das man erst einmal verkraften muss. Der Raum beginnt sich, langsam zu drehen. Die Frau schaut mich mitleidig an. »Sie waren noch nie chier?« Wieso? Sieht man das? Finden Sie etwa, dass ich abstoßend behaart bin? »Was möchten Sie nun chaben?«, kommt die nächste Frage, im Ton schon leicht ungeduldig. Ihr Blick sagt: Haare warten nicht. Die wachsen und wachsen, jede Sekunde ein tausendstel Millimeter. Packen wir’s an. »Schultern«, sage ich matt. Etwas Harmloseres fällt mir auf die Schnelle nicht ein. »Okay. Chollegin kommt.« Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die »Chollegin« legt Hand an - auch an die »Choden«?

Dann werde ich abgeholt und in eine Kabine mit Massagebank geführt. Diesmal von einem feingliedrigen, sanften, eher zarten Wesen. Ohne Akzent. Meine Schuhe kleben ein wenig auf dem Laminatboden, so wachsig und harzig ist es hier. Oberkörper bitte freimachen. »Die Brust sicher nicht«, sagt das Wesen. »Ein paar Haare braucht der Mann ja auch.« Na bitte. Wir verstehen uns. Schon mal auf den Bauch legen. Danke. Ein Eimer wird auf einem Wägelchen hereingerollt, mit einer warmen, karamellfarbenen, zähflüssigen Masse. Und einem Pinsel darin. Es riecht nun wirklich sehr gut nach Bienenwachs. Das Zeug zieht Fäden. Und schon ist meine linke Schulter damit vollgeschmiert. Angenehme Wärme. Ich spüre, wie das Wachs langsam fest wird, eine Art Fladen auf meiner Haut. Jetzt muss es passieren. Etwas zupft kurz am Eck des Fladens. Dann, wusch!, ist er abgerissen. Und die Haare gleich mit. Ein kurzer, aber doch ganz erträglicher Schmerz. Besonders, weil das Wesen seine kühle Hand sofort auf die gerupfte Stelle presst. Das fühlt sich gut an. Und schon geht es weiter.

Vielleicht ist es das Gefühl, das könne ja jetzt wohl nicht alles sein. Oder dass die Anspannung nun schlagartig nachlässt. Vielleicht sind es auch die Wachsdämpfe, in die sie dort ein psychedelisches Zeug mischen. Jedenfalls gerate ich in einen Enthaarungsrausch. Wie denn der Übergang zum Nacken aussehen solle, fragt das Wesen, als die Schultern fast fertig sind. Ach was, sage ich: den Nacken gleich mit! »Eine gute Entscheidung.« Wenig später ordere ich den ganzen Rücken. »Wir brauchen mehr Wachs!«, schallt es durch den Laden, und als das Wachs kommt, sagt das Wesen: »Ist natürlich Luxus pur – aber man gönnt sich ja sonst nichts.«

So geht es weiter. Ich möchte jetzt nicht langweilen, vor allem möchte ich mich nicht für alle Zeiten als metrosexueller Volltrottel brandmarken. Sagen wir es so: Ich verlasse den Laden nicht als Brazilian Hollywood Man. Auch nicht als Brazilian Man. Meine Choden bleiben unangetastet, Brust und Beine entsprechen immer noch dem Modell Sean Connery, aber sonst … Insgesamt habe ich fast 90 Euro ausgegeben. Und ich komme mir ein wenig wie diese hemmungslose Filmfigur Brüno vor, die man auch einmal in ein Waxingstudio gehen sieht: Man hat mir, zusammen mit vielen Haaren, auch einen Teil des Schamgefühls ausgerissen. Und es fühlt sich, jawohl, befreiend an.

Das Babyhautglück, diese neue Existenzform, superglatt und strandtauglich und fast perfekt zu sein, hält allerdings doch nur einen Tag vor. Und man darf auch leider nicht sofort in die Sonne, das war das warnende Wort zum Abschied: Keine UV-Strahlung, die Haut brauche jetzt erst mal Schonung. Am nächsten Morgen erkenne ich vor dem Spiegel, warum: Die Anmutung des Rückens hat sich von »seidig weich« doch ein wenig in Richtung »gerupftes Huhn« verschoben, die Haarwurzeln organisieren einen kleinen Massenprotest. Sind das nur Anfangsschwierigkeiten? Bin ich vielleicht doch nicht der brasilianische Waxing-Typ? Mit erledigten Mutproben ist das nämlich so eine Sache. »Wie war es denn?«, fragt ein Freund. »Jetzt sag doch mal!« Er ist weniger behaart als ich, aber man ahnt sofort, wie sich sein Körper bei der Frage versteift. »Brutal«, sage ich. »Könnte man glatt mal wieder machen.«

Für unseren Autor Tobias Kniebe war es das erste Mal, aber inzwischen geht etwa jeder zehnte Mann zur Haarentferung in ein Kosmetikstudio. Am häufigsten lassen sich Männer übrigens die Achselhöhle enthaaren, gefolgt vom Genitalbereich, dem Oberkörper, den Augenbrauen, Beinen und Armen, so die Ergebnisse einer Studie der Unversität Leipzig.

Peter Rigaud (Fotos)