Zwei Männer, ein Ziel

Gerhard Schröder und Joschka Fischer sollen beide dafür sorgen, dass Europa an Erdgas kommt. Ihre größten Gegner: Gerhard Schröder und Joschka Fischer.

Nun stehen sie einander wieder gegenüber. Manche reden schon von einem »Duell«. Anders als in der rot-grünen Regierung müssen Gerhard Schröder und Joschka Fischer aber nicht mehr miteinander reden, sondern eher übereinander – dies immer dann, wenn sie gefragt werden, ob es nicht eine Ironie der Geschichte sei, dass sie erst zusammen Politik gemacht haben und anschließend beide im Gasgeschäft gelandet sind. Schröder ist der Vorsitzende des Aktionärsausschusses der europäisch-russischen »Nord Stream«, die schon in drei Jahren mit einer Unterwasser-Pipeline durch die Ostsee russisches Gas an Weißrussland und der Ukraine vorbei nach Europa pumpen will. Und Fischer hat in diesem Sommer einen Posten als Berater des Pipeline-Projekts »Nabucco« angenommen, dessen Betreiber nicht-russisches Gas durch Ost- nach Westeuropa leiten wollen.

Als sie noch zusammen in Berlin regierten, war das Verhältnis mitunter angespannt: Schröder trachtete danach, auch ein guter Außenminister zu sein, was Fischer auf die Nerven ging, ohne dass er etwas daran ändern konnte. Es mag ihn getröstet haben, dass die Rivalität zwischen Kanzleramt und Außenamt Tradition hat. Damals hieß es von Fischer, er sitze der amerikanischen Außenministerin Madeleine Albright auf dem Schoß, wohingegen Schröder vorgehalten wurde, sich von Wladimir Putin allzu fest umarmen zu lassen. In wesentlichen Fragen zogen sie allerdings an einem Strang: Das gilt für den Kosovokrieg und den Krieg im Irak, außerdem sehen beide Deutschland als Einwanderungsland und plädieren für die Aufnahme der Türkei in die EU. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie sich für ihren Einstieg ins Gasgeschäft haben rechtfertigen müssen. Und beide haben, wie es ihre Art ist, pampig reagiert.

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Auf die Frage, warum er ausgerechnet bei RWE anheuere, dem deutschen Co-Investor des Projekts, antwortete Fischer: »Ich bin ein freier Mann.« Das stellen seine grünen Kritiker nicht in Abrede; sie stört nur, dass er ausgerechnet Berater eines Konzerns wird, der auf Atomkraft und Braunkohle setzt. Sie empfinden es als Verrat grüner Ideale. Dieses Argument parierte Fischer spitzfindig: Er sei »Sonderberater« für die Pipeline und habe mit den übrigen RWE-Aktivitäten nichts zu tun. Außerdem ärgert es ihn, dass man ihm Gewinnstreben vorwirft, nachdem immerhin schon drei Jahre vergangen sind, seit er aus dem Bundestag ausschied.

Weil Fischer klar ist, dass man ihn und Schröder vergleicht, findet er hier auch einen Punkt, in dem er sich dem Altkanzler moralisch überlegen fühlt. Die »politische Schamfrist«: Schröder hat sie nicht eingehalten. Das mag auch daran gelegen haben, dass er – anders als Fischer – schon unmittelbar nach seinem Ausscheiden das Angebot erhielt, das man nicht ablehnen kann. Wladimir Putin selbst rief ihn an, um ihn für Gazprom zu verpflichten. Wer Schröder schlecht gelaunt sehen will, muss ihn nur darauf ansprechen: »Immer wird gefordert, ein Politiker sollte unabhängig sein, er sollte einen Beruf haben«, sagte er dem Zeit-Magazin. »War bei mir so. Und ist jetzt so. Das ist dann auch wieder nicht recht.« Und dann berief er sich wie Fischer auf seine Freiheit: »Wer da meint, er müsse das kritisieren, der kann mich mal.«

In einer Hinsicht kann man beiden nicht vorwerfen, sich untreu geworden zu sein: Fischer orientiert sich gen Westen, Schröder hält gute Verhältnisse zwischen der EU und Russland für unerlässlich. Das spiegelt sich in ihren neuen Positionen. Da machistisches Verhalten beiden nicht fremd ist, ergibt sich ganz zwanglos die Frage: Wer hat die längere Pipeline?

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wie steht Moskau zu »Nabucco«, und wer soll überhaupt Gas für Fischers Pipeline liefern?

Die Verträge für »Nabucco« wurden im vergangenen Juli geschlossen. Am Vorabend hatten die Unterhändler Verdis gleichnamige Oper besucht. »Nabucco« schien den gut gelaunten Managern dann ein vortrefflicher Name zu sein. Das hat zur politischen Interpretation der Rolle der Pipeline beigetragen. Alle Welt kennt den in dieser Oper auftretenden »Chor der Gefangenen«, dessen Lied in den Fußballstadien Europas gern angestimmt wird, und deshalb liegt der Gedanke nahe, hier handele es sich um eine neue Befreiung aus einer Art Babylonischer Gefangenschaft. Die Gefangenen, das sind in diesem Fall die Erdgasvorräte. Und die Regenten Babylons, die diese Vorräte beherrschen wollen: Sie sitzen in Moskau. Dort, im eisstarren Moskau, so der Tenor vieler Zeitungskommentare, herrscht der russische Bär, eine zwar gewählte, aber autokratische Regierung, die eine Hegemonialstellung beanspruche und Europa eines Tages in Sachen Energieversorgung erpressen könne. Deshalb strebt, im demokratischen Interesse, das Erdgas nach freiheitlicher Entfaltung in europäischen Heizungen. Und deshalb darf sein Fluss nicht nur von dem russischen Bären, von Moskau und der Staatsfirma Gazprom kontrolliert werden.

Tatsächlich ist der Name »Nabucco« wenig passend. Der Kreml hat nämlich nicht das Geringste gegen diese Pipeline einzuwenden. Premierminister Wladimir Putin und sein Präsident Dimitri Medwedjew sind der festen Überzeugung, dass ihr Land ohne gute Verständigung mit Europa nicht florieren kann. Was sie und die Firma Gazprom angeht, können die Europäer Pipelines bauen, solange sie wollen. Gazprom will mehr Gas fördern, als die EU benötigt. Außerdem will der Konzern, der nicht nur staatstreu ist, sondern auch wirtschaftlich denkt, auf keinen Fall von der politischen Stimmung eines Großkunden namens Europa abhängig sein. Deshalb hat Gazprom längst schon Kontakte zu China und anderen Ländern Südostasiens geknüpft.

Alexander Medwedew, Gazproms Vizechef, sagte im vergangenen Juli: »Was gut ist für Europa, ist auch gut für Russland«, und dann fügte er hinzu: Niemand habe ihm erklären können, wo das Gas für »Nabucco« herkommen solle.

Das ist in der Tat eine interessante Frage. Fünf führende Energieunternehmen der beteiligten Transitstaaten haben den »Nabucco«-Vertrag unterzeichnet. Dabei sind: die Türkei, Bulgarien, Rumänien, Ungarn und Österreich. Hinzu kommt die deutsche RWE, die im vergangenen Februar in das Konsortium aufgenommen wurde. Optimisten meinen, dass mit dem Bau der Pipeline 2011 begonnen werden könne. Rhetorisch und über die Europäische Investitionsbank engagiert sich die Europäische Union für das Projekt. Das ist Joschka Fischer wichtig: Auch in diesem Punkt fühlt er sich auf der moralisch richtigen Seite. Die Pipeline soll in der Türkei beginnen. Die Türkei hat aber kein Gas. Große Vorräte liegen in Turkmenistan, in Iran und im Irak. Kasachstan und Aserbaidschan besitzen ebenfalls Gasvorkommen, mögen sie auch weniger groß sein. Das größte neu erschlossene Feld in Aserbaidschan trägt den Namen »Schah Deniz«. Es ist ein Name wie der Titel eines Karl-May-Romans.

Weil die Häuptlinge in Aserbaidschan mit gespaltener Zunge reden, wird Europa von »Schah Deniz« allerdings nicht viel haben: Erst hat die aserbaidschanische Regierung den Unterhändlern von »Nabucco« zugesagt, einen Vertrag mit ihnen über die Ausbeute von »Schah Deniz« abzuschließen, und dann hat sie den Zuschlag doch Russland gegeben. Seit dem vergangenen Juni ist klar, dass der Name »Schah Deniz« wohl der europäischen Fantasie entgegenkommt, die dortigen Gasvorkommen Europas Energiehaushalt aber auf absehbare Zeit kaum bereichern werden.

Die übrigen möglichen Lieferanten sind ebenfalls unsichere Kantonisten. Mit ihnen Verträge zu schließen, kommt einem Trip durchs wilde Kurdistan durchaus gleich. Da ist an erster Stelle Turkmenistan, das riesige Gasvorkommen besitzt. Bedauerlich für die Betreiber von »Nabucco« ist nur, dass dieses Land langfristige Lieferverträge mit Russland und China abgeschlossen hat. Die deutsche RWE hat es zwar zu einem Abkommen gebracht, aber das Volumen, um das es da geht, ist relativ klein. Außerdem muss das turkmenische Gas überhaupt erst einmal in die Türkei transportiert werden, damit man es in »Nabucco« einspeisen kann. Zu diesem Zweck soll unter dem Kaspischen Meer eine Pipeline gebaut werden. Das Problem ist nur: Diese Pipeline ist außerordentlich teuer, und außerdem sind die Anrainer des Kaspischen Meeres uneins darüber, wem welcher Teil des Meeres gehört. Aserbaidschan und Turkmenistan streiten sich sogar darüber, wer welche Felder ausbeuten darf.

Mutig hat RWE erklärt, dass es riesige Gasfelder im Nordirak gebe, desgleichen in Iran. Die in Iran könne man vielleicht »mittelfristig« erschließen, meint RWE. Bis es dazu kommt, wird geopolitisch noch einiges geschehen müssen. Aber auch der Irak hat sich lang bitten lassen, bis er sich bereit erklärte, von seinem Gas für die Europäer etwas abzuzweigen. Und in der Türkei frohlockt die Regierung: Endlich hat sie etwas in der Hand, um die Beitrittsverhandlungen mit der EU zu beschleunigen. Außerdem will die Türkei 15 Prozent von dem Gas, das durch ihr Land fließen soll, für den eigenen Gebrauch nutzen.

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Die diplomatische Gemengelage ist also hoch kompliziert. Und für schwere Fälle braucht es einen Unterhändler, dessen Name schwer ins Gewicht fällt. Daher wurde Joschka Fischer beauftragt, sich der Sache anzunehmen. Und damit eröffnete sich in diesem Sommer ein ganz neuer Schauplatz: Old Shatterhand und Old Surehand ziehen gemeinsam am selben und dann auch wieder an verschiedenen Strängen – wie einst, als sie noch zusammen an der Regierung waren. Beide arbeiten dafür, dass Europa – respektive Deutschland – mit Gas versorgt wird. Und wie früher auch schon sind sie über die Wege, die nun zum Ziel führen sollen, nicht unbedingt einer Meinung.

Als Schröder vor ein paar Monaten vernahm, dass Joschka Fischer zum Berater von »Nabucco« bestellt worden war, tat er verdutzt: Er wisse gar nicht, dass Fischer singen könne. Schröder dreht gern auf. Und obgleich »Nord Stream« noch mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen hat – Schweden, Polen und die Umweltschützer vieler Länder halten die Ostsee-Pipeline für eine ganz schlechte Idee –, wähnt er sich nicht ganz zu Unrecht auf der potenteren Seite. Genau wie Fischer ist er der Meinung, dass seine Tätigkeit im Interesse Europas und der Bundesrepublik sei. Und tatsächlich hat Angela Merkel sich dafür ausgesprochen, dass »Nord Stream« gebaut wird.

Schröder und Fischer wussten sich zusammenzuraufen, als sie gemeinsam die Regierungsgeschäfte führten. So wird es auch jetzt laufen. Dies, zumal da viele der an »Nord Stream« und »Nabucco« beteiligten Unternehmen im Hinblick auf andere geplante Pipelines zusammen in einem Konsortium sitzen. »Nord Stream« und »Nabucco« treten zwar in Konkurrenz zueinander, dies aber nicht in politischer Hinsicht. Die Rivalität zwischen Gerhard Schröder und Joschka Fischer hält sich diesmal in den Grenzen des Ökonomischen.

Vor Jahren hat Schröder sein Verhältnis zu Fischer mit dem Bild von dem Koch und dem Kellner beschrieben. So sieht er das auch heute noch. Schröder sieht sich immer noch als der Koch im Geschäft – und tatsächlich wird sich »Nord Stream« schneller und leichter verwirklichen lassen als das sagenhafte Unternehmen »Nabucco«.

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Verdis Oper "Nabucco" ist zwar sehr berühmt, erstaunlicherweise gibt es aber recht wenige Einspielungen. Als eine der schönsten empfiehlt Franziska Augstein die der Deutschen Grammophon: Giuseppe Sinopoli dirigiert Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin. Die wichtigsten Sänger sind: Piero Cappuccilli, Plácido Domingo, Evgeny Nesterenko und Ghena Dimitrova. Verdi-Experten vertreten allerdings die Auffassung, das berühmteste Stück, der "Chor der Gefangenen", sei weniger gut gelungen als jede andere Passage dieser Oper.

Riccardo Vecchio (Illustration)