SZ-Magazin: Welche Bedeutung hatte das Schreiben in Afghanistan für Sie?
Boris Barschow: Wenn in einem vermeintlich sicheren Moment drei Raketen neben einem einschlagen, dann ist das ein prägendes Erlebnis, das man mit nach Hause nimmt. Dann führt man ein Tagebuch nicht des Tagebuchs wegen, sondern um sich das Erlebte von der Seele zu schreiben. Und um beim Schreiben die subjektiv erfahrene Realität zu überprüfen. Das wurde zu einem täglichen Ritual, immer in den Pausen.
Also war es wichtig für Sie selbst und nicht, um anderen mitzuteilen, wie es Ihnen (er)geht?
Ich dachte, dass mir die Leute nach der Rückkehr Löcher in den Bauch fragen. Aber Sie haben gar nicht zugehört. Dieser Einsatz interessiert hier niemanden. Deshalb habe ich auch ein Buch darüber veröffentlicht. Und um die anderen Seiten Afghanistans zu zeigen. Das Land gestaltet sich nicht so, wie unsere Medien es widerspiegeln. Ich bin auch sehr viel Hoffnung begegnet.
Hatten Sie auch noch andere Möglichkeiten der Kommunikation?
Ich habe viel telefoniert, jeden Tag, wobei ich den Vorteil eines eigenen Telefons hatte. Immer wieder habe ich meiner Freundin gesagt, dass wir nur noch einmal in der Woche sprechen sollten, weil man sich irgendwann nichts mehr zu sagen hat. Aber das kriegt man nicht hin.
Waren Sie wirklich ehrlich? Sie behaupten, Sie hätten bei dem Raketenangriff weder Angst noch Panik verspürt...
Ich war dabei, meine Gedanken zu sortieren: Was passiert hier gerade? Sämtliche Angstgefühle sind durch die Hormone oder was auch immer verdrängt worden. Beim Durchlesen bin ich zu der Wahrnehmung gekommen, dass ich ganz ruhig geworden bin. Ich habe es allerdings tatsächlich vermieden, Dinge zu beschreiben, die beunruhigen könnten.
Schreiben Sie zu Hause in Deutschland denn weiter?
Nein, ich schreibe hier keine Briefe und auch kein Tagebuch. Ich habe wieder andere Dinge um die Ohren. Aber ich gehe hier auch nicht in die Kirche. Man wird dort kitschig, wie man es sich nicht vorstellen kann. Ich gebe jedoch zu, dass der Afghanistan-Blog, den ich betreibe, und mein Buch Teil einer Verarbeitung sind.
Interview: Martina Farmbauer
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SZ-Magazin: Herr Brackmann, wie viele Briefe oder E-Mails haben Sie in etwa im Einsatz geschrieben?
Thomas Brackmann: Ich habe pro Tag eine E-Mail geschrieben und ein bis zwei Telefonate geführt, vor allem mit meiner Frau. Es gibt im Feldlager verschiedene Nationen, die unter anderem eigene kleine Internetcafes betreiben, dort gibt es auch Telefonboxen, ein bisschen wie in Callshops bei uns in Deutschland. Briefe habe ich keine geschrieben, ich habe aber Briefe und Pakete erhalten. Pakete waren sogar wichtiger als E-Mails.
Warum?
Sie waren ein Stück Heimat, auch wenn man Dinge bekommen hat, die es im Lager gibt. Deutschen Schinken und deutsche Wurst gab es dort allerdings nicht. Wenn ein Essenspaket ankam, haben wir am Abend mit den Kameraden zusammen eine gemütliche Runde gemacht, da waren zum Beispiel Italiener und Norweger dabei, jeder hat seine Spezialitäten mitgebracht. Außerdem wurden mir Bücher und Schokolade geschickt. Ich habe meiner Frau manchmal gesagt, ich hätte von meiner Mutter schon wieder eine Sendung bekommen, damit mir meine Frau wieder eine schickt und umgekehrt. Es war ein Wettbewerb unter Soldaten, wer am meisten Pakete erhält.
Welche Bedeutung hatte das Schreiben im Einsatz für Sie?
Ich habe einen Newsletter an Freunde geschrieben, das war zugleich Stressbewältigung, aber ich wollte auch den Menschen daheim zeigen, was wir eigentlich hier machen. Ich wollte auch sagen, wie es mir persönlich geht. Ich hab meinem Kommandanten einmal vorgelesen aus dem Newsletter und der meinte nur: "Sie sind wohl nicht ausgelastet." Aber ich habe ihm gesagt: "Andere machen zwei bis drei Stunden Sport im Kraftraum, ich schreibe."
An wen haben Sie geschrieben?
Der Newsletter ging an meine Familie, Bekannte und Soldaten aus meiner Einheit, die Zuhause geblieben sind - zum Teil auch an Kameraden, die zur gleichen Zeit im Einsatz da waren.
Haben Sie Ihrer Familie mit den Briefen etwas die Sorgen nehmen können?
Ich habe mich ja freiwillig für den Afghanistaneinsatz gemeldet, was meine Mutter nie nachvollziehen konnte. Aber sie hat vielleicht weniger Angst gehabt, weil sie so an meinem Alltag teilhaben konnte.
In welchen Situationen haben Sie die Briefe geschrieben?
Ich habe die E-Mails abends abgeschickt, aber wenn mir während der Arbeit etwas aufgefallen ist, habe ich das auch mal tagsüber notiert.
Werden die Briefe zensiert?
Ich habe keine Rücksicht genommen, wenn Sie das meinen. Bei Anschlägen mit Todesfolgen für deutsche Soldaten wurde - so weit ich mich erinnere - erstmal das Internet abgeschaltet, damit die Bundeswehr vor Ort als Erste die Nachricht an die Angehörigen zu Hause überbringen und nicht die Presse zuerst davon erfährt. Was ich nicht gemacht habe: Ich habe keine Namen genannt, aus Sicherheitsgründen, außer bei großen Politikern, wenn diese zu Besuch waren. Aber im Prinzip habe ich geschrieben, was ich wollte, andere machen das sicher genauso.
Haben Sie die Briefe aufbewahrt? Und lesen sie Ihre E-Mails und Newsletter heute manchmal?
Nein, erst für diese Geschichte wieder, freiwillig hätte ich sie nicht mehr gelesen. Ich spiele mit dem Gedanken, vielleicht mal ein Buch draus zu machen. Man trifft beim Lesen schon auf Überraschendes, erinnert sich wieder an Dinge, die man vergessen hat und sieht, wie sich die Sicherheitslage verändert hat: leider zum Negativen.
Schreiben Sie wieder daheim in Deutschland weiterhin Briefe?
Ja, den Newsletter schreibe ich immer noch, ohne Afghanistan hätte ich ihn nie angefangen.
Hat der Einsatz Ihr Leben verändert?
Seit einem halben Jahr arbeite ich nicht mehr bei der Bundeswehr, sondern für den gemeinnützigen Verein bwinfonet e.V. - wir wollen das Desinteresse der Bevölkerung am Afghanistan-Einsatz abbauen, ihr den Menschen in der Uniform näher bringen. Derzeit rufen wir in einer Aktion dazu auf, zu Weihnachten und zu Neujahr Botschaften an die Soldaten zu senden. Daran beteiligen sich auch Prominente wie Philipp Rösler, der einen Videogruß geschickt hat, oder Peter Scholl-Latour, aber auch Wigald Boning, dessen Botschaft recht lustig war, oder Mike Krüger. Bislang haben wir 80 knapp Grußbotschaften online gestellt. Eine Botschaft stammt sogar von einer Dreijährigen.
Interview: Marc Baumann