Die Gewissensfrage

»Trotz Aufkleber ›Keine Werbung‹ auf meinem Briefkasten erhalte ich laufend mit der Tagespost die Broschüre ›Einkauf aktuell‹ von der Deutschen Post – in Plastik eingeschweißt. Wenn ich ökologisch richtig entsorge, muss ich jedes einzelne Exemplar von der Plastikhülle befreien und das Papier in den Papiermüll, die Plastikhülle in den Plastikmüll geben. Dies ist ausgenommen lästig. Deshalb werfe ich diese Werbung in den offiziellen Briefkasten der Deutschen Post zurück, frage mich aber, ob das der richtige Weg ist. Wenn das alle täten, würde diese Art der unangenehmen Werbung sicher bald aufhören. Wie sehen Sie dies?« MARKUS P., HAMBURG

Gegen Ihre sehr individuelle Art der Entsorgung spricht eine ganze Reihe von Über-legungen. Sicherlich sind wir uns einig, dass der gelbe Briefkasten am Straßenrand nicht dafür aufgestellt wurde, unerwünschte Werbesendungen aufzunehmen, Sie diesen also zweckentfremden und seine öffentliche Funktion missbrauchen. Fragt man bei der Post nach, erfährt man, dass Einkauf aktuell als nicht-adressierte Werbesendung auch nicht in Ihrem Briefkasten landen sollte, der einen Keine Werbung-Aufkleber trägt. Die Zusteller hätten diesen Hinweis zu beachten. Wenn wiederholt dagegen verstoßen werde, sollten Sie sich an die entsprechende Servicenummer wenden. Von dort aus werde, so meint man bei der Post, für Abhilfe gesorgt. Ihr Verhalten stellt somit eine Art Selbstjustiz unter Umgehung der vorgesehenen Strukturen dar.Damit wäre man fast bei einem Ergebnis. Fast, gäbe es nicht ein besonderes Phänomen: Ebenso wie man auf Menschen trifft, denen man nichts übel nehmen kann, können auch Ideen so charmant sein, dass man sie schlicht mag, nahezu unabhängig davon, was alles gegen sie spricht. Für gewöhnlich halte ich mich hier ja zurück mit persönlichen Gefühlen, aber das Einwerfen der jeden Tag aufs Neue lästigen Werbung in den gelben Briefkasten gefällt mir einfach. Warum?Wahrscheinlich ist es die Mischung aus Unmittelbarkeit, Frechheit, gesunder Entrüstung, Witz, pointierter Direktheit und praktischer Anwendung des Mottos »Zurück an den Absender«, die zusammen mit dem Verständnis für den Ärger genug Charme entwickeln, um bei mir alle Bedenken zurücktreten zu lassen. Die ethische Nagelprobe der Universalisierung »Was, wenn es alle täten?« besteht Ihr Tun auch. Deshalb: Wie ich es sehe? Ethisch leicht inkorrekt amüsiert.