Genießen und Leiden

Fußball: Das ist doch nicht mehr als ein kurzes Drama, das man beim Zappen zwischen Blockbuster und Obama-Wahlsieg kurz genießen kann, meint Tobias Kniebe. Irrtum, sagt Andreas Bernard: Die Leidenschaft für Fußball darf nicht vom Spekatkel abhängen. Zwei Mal fünfundzwanzig Zeilen.

    Fünfundzwanzig Zeilen Genießen. Es macht keinen Unterschied, ob wir in ein WM-Spiel, in einen Blockbuster-Film oder eine spektakuläre Börsenpanik reinzappen. Außer vielleicht, dass Fußball von allen Spektakeln am wenigsten Auswirkungen auf das richtige Leben hat. Von Tobias Kniebe

    Fußball ist, wenn überhaupt irgendwas, dann ein Teil der modernen Mediengesellschaft. Als solcher kann er gegenüber anderen Lebensbereichen natürlich keine Sonderstellung beanspruchen. Wir Profi-Zuschauer gucken doch einfach weg, was die Welt  gerade so an Geschichten zu bieten hat. Das kann ein Wahlsieg sein, wie die phasenweise echt ergreifende Obama-Story; ein neuer Blockbuster-Film; ein Finanzkollaps mit spektakulärer Börsenpanik; ja sogar eine Naturkatastrophe. Es geht um den Konsum großer Dramen. Klar, ein bisschen bedenklich ist das schon: Schließlich handelt es sich bei den Leidtragenden – zumindest manchmal – noch um echte Menschen, die sehr reale Probleme haben. Fußball ist von all diesen Spektakeln nun aber dasjenige, das garantiert die wenigsten Auswirkungen im sogenannten richtigen Leben hat. Im Idealfall erzählt ein Spiel eine tolle Geschichte – und verstrickt seine Protagonisten in eine Dramaturgie vom Siegen oder Scheitern. Mehr ist da nicht, oder? Und ausgerechnet das soll man jetzt nicht genießen dürfen? Ausgerechnet da verrät man den Sport, wenn man sich lässig im Sessel zurücklehnt und das Ganze einfach mal ästhetisch auf sich wirken lässt? Das verstehen wir nicht. Aber wir müssen es auch nicht verstehen. Wir werden halt mal in das eine oder andere WM-Spiel reinzappen und schauen, ob gerade Blut oder Tränen fließen, oder wenigstens richtig viel Schweiß. Und wenn das der Fall sein sollte – dann bleiben wir vielleicht sogar dran.

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    Fünfundzwanzig Zeilen Leiden. Nichts ist Verachtenswerter, als sogenannte Fußballiebhaber, die ihre Leidenschaft vom Spekakel oder gar vom politischen Image eine Mannschaft abhängig machen. Von Andreas Bernard

    Die Verbundenheit mit einer bestimmten Mannschaft kann man sich so wenig aussuchen wie die eigenen Eltern. In dem Moment, in dem man zum ersten Mal darüber nachdenkt, ob das eigene Team besonders attraktiv spielt oder einen politisch akzeptablen Präsidenten hat, ist alles längst zu spät. Die Annahme, dass rationale Erwägungen dieser Art zu einer Abkühlung der Beziehung führen könnten, ist so absurd wie die Vorstellung, jemand würde mit seiner Mutter brechen, weil sie die falschen Interessen hat. Nichts ist daher verachtenswerter als jene sogenannten Fußballliebhaber, die ihre Vorliebe für eine Vereins- oder Ländermannschaft vom Spektakel der Spielweise abhängig machen oder, noch schlimmer, von ihrem politischen Image.

    Mitte der Neunzigerjahre, als die intellektuell reflektierte Leidenschaft für den Fußball salonfähig wurde, kam dieser Typus schlagartig ans Licht: Zuschauer ohne jede Herzensbindung, die sich plötzlich als leidenschaftliche Fans des FC St. Pauli oder des SC Freiburg gerierten, weil diese Vereine so antiautoritär geführt werden würden. Bei Weltmeisterschaften gelten ihre Sympathien von jeher Mannschaften wie Brasilien und Holland; deren Offensivspiel sei anarchisch und erfrischend, nicht vom Sicherheitsdenken einer Mannschaft wie Deutschland geprägt. Ihr habt nichts verstanden! Egal ob der Vorstandsvorsitzende meines Teams ein zynischer Menschenverächter ist, egal ob meine Mannschaft jahrelang einen kaum erträglichen Sachbearbeiter-Fußball gespielt hat: Es tut nichts zur Sache. Wir sind ein Leben lang aneinandergebunden.