Draußen schreiben

Schriftsteller müsste man sein: Dann könnte man den ganzen Tag rumträumen und warten, bis die Inspiration vom Baum fällt. Unser Autor hat es versucht - eine durchwachsene Erfahrung.

Am Anfang stand wie so oft der Alkohol. Ich war 22 und auf dem besten Weg, meiner noch nicht besonders in Gang gekommenen Schriftstellerkarriere jede Grundlage zu nehmen. Ich wachte mittags auf, ging in die Kneipe, frühstückte Portwein, wankte nach Hause und versuchte, an meinem Roman zu arbeiten, was nicht funktionierte. Ich öffnete den Schreibtisch, darin stand eine Flasche Wodka, ich verschwendete keine Zeit damit, ein Glas zu holen, ich trank. Eine halbe Stunde überlegte ich noch, wie ich diese Geschichte über einen Schachmeister weiterspinnen könnte, dann läutete es an der Tür, ein Kumpel wollte mich verschleppen. Fast immer ging ich mit.  Wir spielten Tischfußball um Schnäpse. Manchmal gewann ich 40-mal hintereinander, dann kroch ich nicht nach Hause, sondern schlief auf einem Tisch. Die Putzfrau kannte mich, sie weckte mich nicht.

Ich weiß nicht, wie die Geschichte weitergegangen wäre, hätte ich nicht plötzlich aufs Land ziehen wollen. Wollen ist nicht der richtige Ausdruck, ich kann das Land nicht besonders leiden, ich mag die Natur nicht, und sie mag mich nicht. Diese wechselseitige Antipathie begann an einem Sommertag in den Siebzigern, als mich eine Biene stach, und sie wird niemals enden. Aufs Land zog ich trotzdem. Ich wollte nicht, aber ich dachte, ich sollte.

Ich pachtete einen unbewirtschafteten Bauernhof. Zwei Hektar Grund, der nächste Nachbar mehr als einen Kilometer entfernt, das nächste Gasthaus, in dem die Menschen bereit waren, mit einem »Zugereisten« zu sprechen, noch viel weiter. Und die nächste Kneipe, in der ich mich wohl gefühlt hätte, in geradezu astronomischer Entfernung.

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Komischerweise klappte es. Es funktionierte genau so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Ich trank so gut wie nichts, weil mir das viel zu langweilig war, dafür arbeitete ich. Ich schrieb jeden Tag. Ich schrieb sogar draußen, denn das Gebäude war in einem Ausmaß von Schimmel befallen, das seine Vermietung zu einer tief in die Illegalität führenden Angelegenheit gemacht hatte.

Käfer, Kitze, Gespenster

Draußen war ich umzingelt von Feinden, doch ich blieb. Bei Temperaturen jenseits der 30 Grad saß ich spärlich bekleidet im Schatten eines Apfelbaums, fuchtelte mit den Armen, um die Insekten abzuwehren, und hackte auf meine alte Olivetti ein. Ich mordete und brandschatzte - es gab viele Hornissen und Erdwespen. Ich fürchtete mich vor streunenden Hunden. Ich fürchtete mich vor dem Fuchsbandwurm. Ich holte mir Sonnenbrand. Während ich   nachdachte, spielte ich vor dem Scheunentor Basketball.

Der Tisch war schon lange draußen, das Holz wellte sich, die Schreibmaschine stand schief, oft krochen Käfer darunter hervor, während ich über einem Satz grübelte. Einmal drehte ich mich um, und vor meiner Haustür lag ein totes Kitz, wie vom Himmel gefallen, woraufhin ich durchs Fenster ins Haus kletterte und den Jäger anrief.

Vor dubios aussehenden Gestalten verschanzte ich mich im ehemaligen Schweinestall. Ich veranstaltete Schießübungen mit der Luftdruckpistole, ich schoss auf Fliegen, Hornissen, Bremsen, Bienen, Wespen sowie auf alles, was unidentifizierbar war und mir gefährlich schien.

Ich bedeckte meine Blöße vor dem Postboten, dem Bilderverkäufer, dem Mann von der Freiwilligen Feuerwehr und nicht zuletzt vor der aus dem Boden gewachsenen Bürgermeisterin, die wissen wollte, ob ich sie wählen würde, und dabei versteckte ich die Pistole unter den  Manuskripten, die ich mit Steinen und Tassen beschweren musste, damit sie nicht vom Wind verblasen wurden.

Ich fürchtete mich vor Gespenstern, auch tagsüber, auch am Schreibtisch im Garten. Ich hatte einen CD-Player, der die Natur beschallte, einen Krug Wasser, viel Kaffee, und ich schrieb mein Buch. Und als es fertig war, im Herbst, blieb ich noch zwei Monate,  dann zog ich wieder in die Stadt, ohne mein früheres Leben im gleichen Ausmaß aufzunehmen.

Dass mir diese Monate einmal kostbar und besonders erscheinen würden, hätte ich damals nicht geglaubt. Lange Zeit dachte ich kaum daran, und wenn, fielen mir zuerst die schwarzen Schimmelwände ein, die Mäuse auf dem Dach und die Quellwürmer, die sich wie in einem Horrorfilm aus dem Duschkopf geringelt hatten. Erst nach Jahren wurde mir klar, dass ich auf diesem Bauernhof mir selbst etwas erarbeitet hatte, was über den Roman hinausging. Etwas, was mit der Kraft zu tun hat, die im Alleinsein liegt und die einem der Aufenthalt fern von Menschen geben kann.

Camillo Büchelmeier