Soll das ein Witz sein?

Ob Guttenberg oder Gaddafi - im Internet scheint es nur noch eine Reaktion zum Zeitgeschehen zu geben: den Kalauer.

(Ein weiterer Guttenberg-Scherz, gesehen am Donnerstag in München: diese falsche Bildzeitungsschlagzeile macht den Ex-Verteidigungsminister zum TV-Moderator.)

»Noch ein Guttenberg-Witz, und ich kotze!«, schrieb Freund P. auf dem Höhepunkt der Plagiatsaffäre, als auch die letzte verbliebene Wortspielvariante mit den Elementen »Doktor« und »abschreiben« gefunden war. Es ist weniger die Weisheit der vielen, die in den Kommentarleisten, Twitter-Nachrichten und Facebook-Einträgen gerade demonstriert wird, sondern vielmehr die Lustigkeit der vielen. Und die komödiantische Energie im Netz ist seitdem nicht versiegt.

Gaddafis verstörende Kurzansprache nach Ausbruch der Proteste brachte das neue Genre des Regenschirmwitzes hervor, in dem die Wendung »steht im Regen« niemals fehlen durfte. Und ein Online-Artikel über die Krise in Libyen wurde von einem Leser mit der Bemerkung versehen, der Staatschef müsse nun sicher »seinen Diktatorentitel zurückgeben«.

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Der Witz überwuchert jede Differenz; noch die unvereinbarsten Gegenstände werden mit demselben Belag des Komischen überzogen. Deutsche Dissertationen, afrikanische Revolutionen, Guttenberg, Gaddafi: Vor dem Einfallsreichtum der Kommentatoren wird alles eins. Dass Humor ansteckend ist, gilt also nicht nur für Menschen, sondern auch für Sujets. Seltsamer Imperialismus der Form: Die Sehnsucht nach Originalität im Ausdruck ebnet jede Originalität des Sachverhalts ein.

Und so werden die Hauptnachrichten auch in Zukunft innerhalb von Minuten einen Niederschlag an mehr oder wenigen lustigen Wortspielen im Netz hervorrufen. Die Wirklichkeit, nichts als ein ständig erneuertes Reservoir für originelle Querverbindungen. Könnte es sein, dass die Inflation des Witzkommentars mit der grundsätzlichen Ausrichtung der sozialen Netzwerke zusammenhängt? Es geht um Austausch, sharing, Vernetzung.

Der Witz aber ist jene Äußerungsweise, die wie keine zweite eines Adressaten, einer Öffentlichkeit bedarf. Alle anderen Textformen – Erinnerungen oder Analysen, Gedichte oder Manifeste – könnte man auch für sich selbst niederschreiben, etwa als Bestandteile eines privaten Tagebuches. Doch die Vorstellung, ein Tagebuch allein mit Witzen zu füllen, ist absurd. Diese Textgattung kommt nicht ohne ein Gegenüber aus. Und vielleicht ist sie auch genau deshalb zum bestimmenden Element auf Facebook und Twitter geworden.