Was sollen diese Tränen?

Wenn Fußballprofis ihre Vereine verlassen, werden sie beim Abschied sentimental – obwohl ihr neuer Club besser ist.

Im Fußball wird gern mal geweint. Allerdings meist auf den Tribünen: vor Freude, wenn der Club des Herzens dem Lokalrivalen eine epische Niederlage beigebracht hat, vor Schmerz, wenn der geliebte Verein mal wieder abgestiegen ist. In der abgelaufenen Saison weinten jedoch auch die Protagonisten erstaunlich häufig und erstaunlich öffentlich, und zwar auf Pressekonferenzen, auf denen sie ihren Abschied verkündeten: Man denke an Holger Stanislawski, den vormaligen Spieler, Vizepräsidenten und Trainer des FC St. Pauli, an Nuri Sahin, den Kopf der Dortmunder
Meistermannschaft, und an Manuel Neuer, der in Schalke vom Fan auf der Tribüne zum Idol des Clubs wurde. Legt man die Bilder der weinenden Männer nebeneinander, ergibt sich ein Triptychon der Tränen.

Auf den ersten Blick wirken die Tränen der Männer arg übertrieben, weil es doch eine Freude ist, aufzubrechen zu neuen Abenteuern. Stanislawski geht nach Hoffenheim, wo er viel mehr Geld und eine bessere Mannschaft zur Verfügung hat, Sahin steht künftig bei Real Madrid unter Vertrag, dem glamourösesten Verein der Welt, und Neuer spielt für Deutschlands erfolgreichsten Club, den FC Bayern. Aber was geben sie auf fürs berufliche Fortkommen? St. Pauli, Dortmund und Schalke sind besondere Clubs, in ihnen lässt sich noch am ehesten eine romantische Idee von Fußball erkennen, also eine innige Beziehung von Fans und Verein, die alle Krisen übersteht, eine wirkliche Identifikation, auch, weil die Clubs so tief in ihrer Region verwurzelt sind – und das wirklich Bemerkenswerte ist, dass der Hamburger Stanislawski, der Lüdenscheider Sahin und Neuer, geboren in Gelsenkirchen-Buer, für ihre Heimatvereine wirkten. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil Profifußball Nomadentum bedeutet, mithin das Gegenteil von Verwurzelung. Mit ihren Wechseln werden die drei nun, wie fast alle Kollegen, ebenfalls zu Nomaden. Die Clubs wollten sie behalten – die Männer gehen freiwillig.

Einerseits ist es unverständlich, dass sie gehen, denn wer das Glück in der Heimat gefunden hat, der muss nicht in die Ferne ziehen. Andererseits ist es eben doch verständlich, denn da ist das süße Gift der Versuchung: Könnte es nicht anderswo noch besser sein als einfach nur wunderbar? »Should I stay or should I go?«, sangen The Clash. Wer bleibt, wird immer gemartert sein vom Gedanken an die verpasste Möglichkeit und so sein vormaliges Idyll zerstören. Wer die Heimat verlässt, und wie Stanislawski, Sahin und Neuer hinausgeht in die Welt (bzw. nach Hoffenheim), der tut vielleicht das Richtige, aber er geht unter Tränen.

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Fotos: ddp