Was soll dieser Retrokitsch?

Wer seine Fotos mit dem Programm Hipstamatic bearbeitet, lässt die Gegenwart ganz schön alt aussehen.

Nein, das Bild wurde nicht in den Sechzigerjahren aufgenommen, auch wenn es irgendwie alt wirkt.

In ein paar Jahren, irgendwann in der Zukunft, werden wir die Fotos von uns und unseren Kindern anschauen, die jetzt gemacht werden. Diese Fotos werden nicht älter geworden sein, keine Patina bekommen haben, denn sie sind digital. Dafür sahen sie schon von Anfang an alt aus, denn sie wurden mit Hipstamatic geschossen. Hipstamatic ist dieses phänomenal beliebte Programm für Smartphones, das jedem Handy-Foto den Look von anno dazumal gibt: die vergilbten Farben, das quadratische Format, die Körnigkeit des Films, der typisch alte Blitz.

Wenn man so darüber nachdenkt, hat das doch etwas entschieden Absurdes, modernste Technologie so tun zu lassen, als wäre sie vierzig Jahre hinter ihrem Entwicklungsstand. Aber die Menschen sind verrückt nach der Hipstamatic-Ästhetik, das Internet ist voll davon, auch Bildjournalisten nutzen diesen Effekt schon, Fotoagenturen verbreiten Hipstamatic-Bilder, man fühlt sich hoffnungslos altmodisch, wenn man überhaupt noch Fotos macht, die neumodisch aussehen.

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Diese künstlich gealterten Bilder sind manchmal verstörend, wenn man Übertreibungen der Jetztzeit wie den Burj Dubai in diesem Gewand antrifft, und oft ein bisschen traurig, wenn Hipster mit Achtziger-Haarschnitt im Wohnzimmer mit Siebziger-Möbeln sitzen und fotografiert wurden, als wäre es 1960, und im Raum steht diese übergroße Sehnsucht nach einer Zeit, die sie gar nicht kannten, ein Unbehagen in der Gegenwart.

Es ist doch immer wieder bemerkenswert, wie schlecht das Menschenherz mit dem galoppierenden technologischen Fortschritt mitkommt. Wir haben heute Handys, die Unvorstellbares können, in ihnen stecken winzig kleine Hightech-Kameras mit riesigen Fähigkeiten, aber was wir von ihnen wollen, ist, dass sie Bilder machen, als wären sie uralte Kisten. Noch dazu klingt die Kamera eines iPhones ja schon so; »Klick« macht es laut, wenn wir auf den Auslöser drücken, und die Linse schließt sich. Und wir wählen auch den »Ringring«-Klingelton, weil er so schön nach früher klingt, nach dem alten Telefon der Kindheit mit der Wählscheibe.

Vielleicht liegt es daran, warum Hipstamatic-Bilder so beliebt sind: Der Mensch ist ein nostalgisches Tier, der Retrolook ist halt kuschelig und gemütlich. Nicht zuletzt sehen Gesichter irgendwie gut aus mit diesem Filter, weichgezeichnet, verträumt, nicht so gruselig echt, wie es die Technologie eigentlich erlaubt. Aber wenn das erwachsene Kind irgendwann in der Zukunft Bilder seiner Großeltern, als sie dreißig waren, und seiner Eltern, als sie dreißig waren, vergleicht und die Fotografie gleich anmutet, dann werden wir uns ziemlich blöd vorkommen.