»Ich bin der Teufel«

Emir Kusturica spielt gern mit dem Feuer: Als Regisseur wird er bejubelt, als Musiker besingt er den Kriegsverbrecher Radovan Karadzic. Und macht klar: »Ich weiß sehr gut, wie man kämpfen muss.« Ein Gespräch über große und kleine Kriege.

Kusturica liebt es, sich als Outlaw zu inszenieren, der er auch immer etwas war. Inzwischen geht er regelmäßig joggen, und in seinem Dorf stammt das Gemüse aus biologischem Anbau.

SZ-Magazin: Herr Kusturica, wir möchten mit Ihnen über Ihr Verhältnis zum ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic sprechen.
Emir Kusturica:
Fragen Sie mich ruhig.

Den letzten Journalisten, der das versucht hat, haben Sie aus Ihrem Dorf rausgeschmissen.
Das war ein Fernsehjournalist aus Kroatien, zwei Jahre ist das her. Er hat behauptet, ich hätte mit Milosevic Whisky getrunken während des Massakers in Srebrenica – was natürlich Quatsch ist. Zu der Zeit war ich in Cannes. Und ich trinke Wodka, wenn ich trinke. Nicht Whisky.

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Das ist noch kein Grund, jemanden rauszuschmeißen.
Der Mensch hat nicht aufgehört, mich zu provozieren. Er sagte: Milosevic war Hitler. Wie kann man das von einem kleinen Banker aus Belgrad behaupten? Nach weiteren fünfzig Fragen zu Milosevic habe ich das Interview beendet, rausgeschmissen habe ich ihn nicht. Aber natürlich bin ich nun der Teufel. Sie haben also die Chance, den Teufel kennenzulernen.

Letzten Herbst verließen Sie Hals über Kopf die Jury eines Filmfestivals in Antalya. Von wem fühlten Sie sich in der Türkei angegriffen?
Der Kulturminister und ein Regisseur warfen mir vor, ich hätte nicht deutlich gegen die Gräuel von Srebrenica Stellung bezogen. Auf einer Pressekonferenz fragte ich dann die Journalisten: Warum beschäftigt ihr euch so mit Srebrenica, aber redet nicht über den türkischen Massenmord an den Armeniern? Daraufhin hieß es, man müsse mich gegen Übergriffe schützen. Mit zehn Bodyguards, als ob ich Angelina Jolie wäre, dabei weiß ich sehr gut, wie man kämpfen muss. Jedenfalls bin ich abgereist. Lustigerweise wurde später ein Schweizer Regisseur verprügelt, der mir ähnlich gesehen haben soll.

Es heißt, Sie hätten sich beinahe das Gesicht von Milosevic aufs Bein tätowieren lassen.
Ich wollte mir einmal eine Tätowierung machen lassen – so wie sie Maradona von Fidel Castro hat. Aber Milosevic kam dafür nicht wirklich infrage. Was stimmt: Nach dem Ausbruch des Balkankriegs habe ich zeitweise jeden begrüßt, der Jugoslawien als Staat retten wollte. Das war idiotisch. Denn Milosevic erwies sich dabei als genauso unfähig wie alle anderen Politiker.

Das Ende Jugoslawiens wurde vor zwanzig Jahren mit dem Beginn des Balkankriegs besiegelt. Beschäftigt Sie das noch heute?

Ich erinnere mich genau, wie ein französischer Nachrichtensprecher sagte: »Von heute an existiert Jugoslawien nicht mehr.« Für mich ist es eine Einheit, eine Basis, die man mir zerstört hat. Wahrscheinlich hätte damals niemand den Vielvölkerstaat Jugoslawien retten können. Dem standen die Interessen der USA, Deutschlands und anderer entgegen. Ich hasse westliche Politiker dafür genauso wie Milosevic. Das nehmen meine Kritiker nur nicht wahr.

Wenn es absurd wird, ist Emir Kusturica in seinem Element. Hier ist es das Wasser, der Regisseur darin in voller Montur.

Als Regisseur sind Sie vielfach ausgezeichnet worden, Ihnen persönlich wirft man vor, sich mit den serbischen Aggressoren gemein gemacht zu haben. Stört Sie Ihr schlechter Ruf im Westen?
Der bosnische Filmemacher Danis Tanovic sagte einmal über mich: »Ein großartiger Regisseur, aber ein schlechter Mensch.« Darauf habe ich geantwortet: »Du bist ein fabelhafter Mensch, Danis, nur als Regisseur bist du eine Null.« Natürlich stört mich mein Ruf. Nun kann man sein Leben entweder damit verbringen, seinen Ruf zu retten und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate richtigzustellen, oder man kann leben. Ich bevorzuge im Zweifel das Leben.

Aber Sie provozieren gern.
Ich bin ein impulsiver Mensch. Vor allem aber bin ich Autokrat. Ich habe meine eigenen Ansichten. Ich war nie irgendwo Parteimitglied, ich habe keinen Politiker in Belgrad unterstützt. Ich habe einfach gesagt: Es waren nicht nur Radovan Karadzic und Ratko Mladic, die Sarajevo kaputtgeschossen haben. Es war auch die Schuld bosnischer Politiker, denen der Angriff sehr gelegen kam; die Bomben zementierten im Westen die Ansicht, dass Bosnien gegen die bösen Serben geschützt werden müsse.

Deshalb huldigen Sie dem früheren Führer der bosnischen Serben, Karadzic? Mit Ihrer Band, dem No Smoking Orchestra, singen Sie: »Wer Dabic nicht liebt, der kann uns mal.« Dabic war der Deckname von Karadzic.
Das Lied handelt von Outlaws. Die faszinieren mich seit frühester Kindheit, seit ich die ersten Westernfilme sah. Und eine Regel des Western verbietet, sich sofort auf die Seite des Sheriffs zu stellen. Aus dem gleichen Reflex misstraue ich der herrschenden Lesart des Bosnienkonflikts. Und genauso wenig glaube ich, dass Karadzic der alleinige Kriegsverbrecher war.

Es geht nicht darum, dass es auch andere Kriegsverbrecher gibt. Im Auftrag Karadzics sind unfassbare Gräueltaten begangen worden.
Das bestreite ich doch gar nicht. Aber wie können wir einen Einzelnen so pauschal als unmenschlich verurteilen? Als ob wir nicht wüssten, dass die Kriegsindustrie eine treibende Kraft auf diesem Planeten ist, die auf der ganzen Welt Kriege anzettelt? Seit dem Zweiten Weltkrieg herrscht ständig irgendwo auf der Welt Krieg. Im Irak sind weit mehr Menschen getötet worden als im Bosnienkrieg. Warum also redet ihr im Westen immerfort von Karadzics Gräueltaten?

Muss man ihn deshalb besingen?

Wir besingen Karadzic nicht, ich kenne ihn gar nicht. Was mich aber verwundert und auch fasziniert, ist sein plötzlicher Identitätswechsel nach dem Krieg. Er ist als Wunderheiler Dragan Dabic untergetaucht, war bei seinen Patienten beliebt, er ist sogar mehrmals im Fernsehen aufgetreten, bevor man ihn enttarnte. Die Nachbarn haben ihn gemocht, auch der Bäcker. Der Mann ist interessant.

Können Sie nachvollziehen, dass Sie mit dem Lied die Angehörigen Zehntausender toter bosnischer Muslime beleidigen?
Ich verstehe, dass das bosnische Volk auf mich wütend ist, denn sie haben viele Brüder und Schwestern verloren. Aber ich will bei klarem Verstand bleiben. Ich möchte mir nicht von Rupert Murdochs Zeitungen erzählen lassen, dass die Größe von Angelina Jolies Arsch von Belang sei, während eine Kriegsmaschinerie durch die Weltgeschichte pflügt und permanent Menschen tötet. Nur wer Murdoch auf seiner Seite weiß, kann das serbische Volk als die schlimmsten Verbrecher anklagen. Und dabei gleichzeitig die Kriegs-verbrechen von George Bush verschweigen. Meine einzige Gesinnung ist die, aufrichtig zu bleiben.

Nach dem Kriegsausbruch 1991 haben Sie eine Gastprofessur in den USA angenommen, anschließend zogen Sie nach Belgrad. Warum nicht in Ihre Heimatstadt Sarajevo?

Bosnien ist seit dem Krieg ein Stück Europa, in dem nichts funktioniert. Die Leute, die dort das Sagen haben, werden noch in fünfzig Jahren die Opfer spielen – selbst nach ihrem Tod. 1992 bin ich ein letztes Mal nach Sarajevo gefahren, gemeinsam mit Johnny Depp. Ich war so naiv zu glauben, man wolle tatsächlich ein internationales Filmfestival aufziehen. Aber die Verantwortlichen kannten Johnny Depp nicht einmal und ließen uns zwei Stunden warten. Heute gibt man sich in Sarajevo immer noch international, aber vor dem Krieg war ein Drittel der Bevölkerung Serben, heute sind es fünf Prozent.

Dafür gibt es nun die Republik der bosnischen Serben, ein Teil von Sarajevo gehört auch dazu. Und dort ist es genau umgekehrt.

Das will ich ja damit sagen! Im Blut meiner Kinder sind alle ethnischen Gruppen des alten Jugoslawien gemischt, aber meine Familie konnte nicht mehr in Sarajevo bleiben. Ein multikulturelles Leben wie vor dem Krieg ist dort unmöglich geworden, deswegen sind wir nach Belgrad umgezogen.

Sie wollen Sarajevo nicht einmal mehr besuchen.
Was soll ich in einer Stadt, in der es kein japanisches Essen gibt? Die persönlichen Angriffe auf mich und meine Familie waren einfach zu heftig: Die Wohnung meiner Eltern wurde schon kurz vor Kriegsausbruch geplündert, mein Haus etwas später – übrigens von einem bosnischen Schriftsteller.

»Hyperimpulsiv, hyperproduktiv, einfach hyperhyper«


In Ihrer Autobiografie erwähnen Sie, dass Sie unter Depressionen litten.

Schwere Depressionen. Und eine schreckliche Müdigkeit. Ich musste Tabletten nehmen.

Hatte das mit dem Krieg, mit Ihrer Heimatlosigkeit zu tun?

Das dachte ich zuerst auch. Aber dasselbe hatte ich schon einmal vor dem Krieg erlebt.

Welchen Ort würden Sie denn als Ihre Heimat bezeichnen?

Das hier, Küstendorf. Meine eigene kleine Stadt, in der ich eine Art jugoslawischen Internationalismus simuliere.

Klingt nach Realitätsflucht.

Wissen Sie denn, was Realität ist?

Die Welt um uns herum.

Die Realität auf dem Balkan ist der Mangel aller Anzeichen modernen Lebens. Die Realität in Küstendorf sieht viel besser aus, es ist eine kleine Renaissancestadt, in der man nicht von der Außenwelt abhängig ist. Wir betreiben Gemüseanbau, Fischzucht und bauen gerade einen Stall für zwanzig Kühe. Coca-Cola werden Sie in der Bar vergeblich suchen, es gibt kein einziges Werbeplakat.

Wem gehört Küstendorf?
Mir. 1994 habe ich für meine Arbeit an Underground eine Million Dollar bekommen. Und ich habe viel Geld durch die Musik verdient, es war ein richtiges Zigeunerleben. Das Geld ist geflossen, und ich habe es investiert. Zuerst war das hier nur eine Kulisse für meinen Film Das Leben ist ein Wunder, dann habe ich ein paar Holzhäuser gekauft, keines hat mehr als 3000 Euro gekostet. Meine Leute haben hier Straßen, eine Kanalisation gebaut und Glasfaserkabel verlegt, wir haben das Leben einiger Menschen verbessert. Das ist wichtiger als jeder Film. Jeden Januar findet hier ein Filmfestival statt. Küstendorf ist mein Utopia. Aber glauben Sie nicht, dass ich hier deshalb beliebt bin. Ich habe in dem Nationalpark drum herum harsche Regeln durchgesetzt, zum Beispiel, dass man eine Genehmigung haben muss, um ein Haus zu bauen. Dafür wollte man mich umbringen. Als ich Elektrizität und Abflussrohre installierte, wollte man mich auch umbringen. Als ich die Kirche bauen ließ, sagten die Leute hier, ich mit meinem muslimischen Vater hätte bestimmt eine kleine Moschee darin versteckt.

Die Straßen und Plätze haben Sie nach Fidel Castro, Maradona und Noam Chomsky benannt. Alles Menschen, die Sie kennen?

Fidel Castro und Hugo Chávez habe ich getroffen, als ich den Film über Maradona drehte. Chomsky habe ich nie persönlich kennengelernt, aber ich bewundere ihn. Er beweist, dass die USA immer noch ein demokratisches Land sind. In Serbien wäre es nicht möglich, die Gesellschaft ähnlich scharf zu kritisieren. Deswegen bin ich trotz allem ein halber Westler; ich habe noch einen französischen Pass. Sie sehen: Ich schätze die westliche Kultur und verachte westliche Politiker. Und ich bin von den Zuständen in dem Land, in dem ich jetzt lebe, enttäuscht. Mein ganzes Leben ist ein einziger Widerspruch, das mag für Außenstehende schon verwirrend klingen.

Sie sind Regisseur, Musiker, Architekt – und nun auch noch Schriftsteller.
Ehemaliger Fußballspieler haben Sie vergessen. Und Schauspieler. Ich bin vieles. Ich ertrage es nicht, zwischen meinen Filmen nichts zu tun, das viele Adrenalin macht mich permanent high. Ich würde mich als hyperimpulsiv, hyperproduktiv, einfach als hyperhyper bezeichnen.

Wird Ihre Autobiografie auch in den USA verlegt?

Nein, ich weiß auch nicht, warum. Aber in Frankreich, Italien, Russland. Und sie verkauft sich gut.

Ihre Taufe im Jahr 2005 erwähnen Sie mit keinem Wort.

Das war mir zu intim. Jedenfalls habe ich mich nicht taufen lassen, um die Muslime vor den Kopf zu stoßen, wie später behauptet wurde. Meine Mutter lag damals im Sterben, und ich wollte nach den Ursprüngen meiner komplizierten Familiengeschichte suchen. Ich habe in Büchern die Abstammung der Kusturicas aus zwei christlich-orthodoxen Familienzweigen entdeckt – zu diesen Wurzeln wollte ich mich bekennen. Das sollte kein öffentliches Statement sein. Ich wollte niemanden provozieren, die Beleidigungen, die folgten, waren trotzdem heftig. Aber ich lasse mich in meiner persönlichen Freiheit nicht einschränken. Meine Autonomie ist die Essenz meines Lebens, sie ist der Grund für alles, was ich je getan habe. Deswegen liegt mir auch etwas an wirtschaftlicher Unabhängigkeit.

Sie konnten es sich jedenfalls leisten, alle Angebote aus Hollywood auszuschlagen.
In den Neunzigerjahren hätte ich dort jeden Film machen können. Ich wollte nicht. Ich hasse Hollywood, und zwar aus ideologischen Gründen. Hollywood versteckt sich vor den existenziellen politischen und moralischen Problemen der Menschheit. Es ist ein Ort, den wir ebenso bekämpfen müssen, wie wir künstliche Lebensmittel bekämpfen.

Sie sind eng mit Johnny Depp befreundet. Haben Sie sich je einen Teil von Fluch der Karibik angesehen?
Ja, es ist wie ein Comic. Sehr amüsant. Ich bin kein großer Fan davon, aber habe nichts gegen diese Art der Unterhaltung. Ich habe etwas dagegen, dass Hollywood die Bösen heute grundsätzlich mit Serben besetzt.Was wollen Sie dem entgegenhalten? Ich möchte Die Brücke über die Drina verfilmen, das Buch des serbischen Nobelpreisträgers Ivo Andric, mein großes Idol. Dafür muss ich wieder eine ganze Stadt bauen, Andric-Stadt. Das ist ein Lebensprojekt. Vorher drehe ich noch einen Film über den mexikanischen Freiheitskämpfer Pancho Villa – wieder so ein Outlaw.

Woher stammt eigentlich die Narbe unter Ihrem linken Auge?
Aus meiner Jugend in Sarajevo. Ich war in einer Gang. Darüber schreibe ich mein nächstes Buch.

Stimmt es, dass Sie in den Neunzigerjahren einen serbischen Politiker zum Duell gefordert haben?

Das stimmt, den serbischen Ultranationalisten Vojislav Seselj. Er hat allerdings abgelehnt.

Würden Sie zustimmen, wenn man Sie als Macho bezeichnet?
Ich könnte einer sein, von Natur aus bin ich sicher einer. Aber ich verstecke ihn hinter anderen Facetten meiner Persönlichkeit.

Der Regisseur Emir Kusturica, 57, wurde international bekannt durch Filme wie Zeit der Zigeuner; Underground; Schwarze Katze, weißer Kater, in denen er sich mit dem Leben und dem Krieg auf dem Balkan beschäftigt; 2008 lief sein fulminanter Dokumentarfilm über das Leben Diego Maradonas an. Für seine Werke wurde Kusturica zweimal mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet. Seit 1986 ist er zudem Gitarrist des No Smoking Orchestra, mit dem er durch die ganze Welt reist.
Kusturica, in Sarajevo geboren, verließ die Stadt mit Beginn des Balkankriegs und zog nach Belgrad. Seitdem wirft man ihm vor, serbische Kriegsgräuel zu verharmlosen. Heute lebt er in Küstendorf, einem von ihm gegründeten serbischen Ort an der bosnischen Grenze.
Anfang September erscheint seine Autobiografie im Knaus Verlag:
Der Tod ist ein unbestätigtes Gerücht.

Fotos: Julian Baumann, Corbis