Die Reise zum Reis

Ganz Korea schwört auf Bibimbap. Richtig glücklich macht der Reis mit Gemüse aber nur, wenn die fünf Farben Gelb, Grün, Blau, Rot und Schwarz darin vorkommen. Wir haben uns das Geheimnis in Seoul erklären lassen.

Der letzte Wille von Michael Jackson wird endlich erfüllt, zwei Jahre nach seinem Tod: Der Sänger träumte davon, sein Lieblingsessen berühmt zu machen. Er führte angeblich schon Gespräche mit Investoren, um das Gericht in eigenen Filialen auf der ganzen Welt zu verbreiten. Der amerikanische Superstar war Fan eines koreanischen Reisgerichts mit einem Namen, der sich für Europäer stark nach einem Kinderessen anhört: Bibimbap. »Bibim« heißt mischen und »bap« Reis. Mischreis also. Am besten schmeckt er, wenn man gekochten Reis aus einer heißen Steinschüssel isst, in der er am Boden festkleben und schön knusprig werden kann. Er lässt sich mit rohem, gedünstetem oder gekochtem Gemüse kombinieren. Einfach alles in der Schüssel mischen, bis zur Unkenntlichkeit verrühren, etwas Peperonipaste drauf, fertig.

Das aß Michael Jackson, sooft er nur konnte. Es ist einerseits ein einfach zuzubereitendes Essen, aber für die richtige Zusammenstellung der Zutaten muss man dennoch eine Menge von Korea verstehen. Nach Jacksons Tod hat sich niemand um die Verwirklichung seines Traums gekümmert. Jetzt kommt Bibimbap von ganz allein in Mode.

Seoul galt früher als langweilige Stadt, in die Asiaten höchstens zum Shoppen fliegen oder um sich die Augenfalte wegoperieren zu lassen. Sicher nicht, um gut zu essen. Koreanische Küche war nicht vermittelbar im Rest der Welt – zu scharf, zu sauer, zu viel Knoblauch, zu unverträglich für westliche Mägen, selbst das Reisgericht. Asiatisches Essen ist längst populär geworden. Aber in Berlin, New York und London aß man lieber Sushi, Tom Ka Gai oder vietnamesische Suppe. Und in Seoul lieber Pizza und Hamburger.

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Der Trend ist vorbei. Bibimbap ist jetzt in. Ein Tochterunternehmen des koreanischen Konzerns Samsung macht sich gerade daran, mit einer reinen Reis-Fast-Food-Kette nach Europa zu expandieren; ihr Name: »Bibigo«; die ersten Filialen: Los Angeles, Paris, Berlin. In Seoul und New York gibt es Bibimbap schon auf Pizza oder in Crêpes gerollt. Nur Japaner tun sich noch schwer mit dem neuen Modegericht: Bibimbap isst man mit dem Löffel, niemals mit Stäbchen. Dafür zeigt Gwyneth Paltrow, amerikanische Schauspielerin und nun auch Kochbuchautorin, in ihrem Blog auf YouTube, wie sie das koreanische Reisgericht kocht. Paltrow schmeckt es so gut, dass sie eine persönliche Bibimbap-Diät für sich entwickelt hat.

Bibimbap ist Fast Food in Südkorea, der elftgrößten Industrienation mit Zehn-Stunden-Tag und einer Woche Jahresurlaub, schnelles Frühstück, Mittag- und Abendessen.

Fisch, Rind, Huhn oder ein Spiegelei können dazugehören, vor allem aber Gemüse: Kürbis, Ginsengwurzel, Asiatische Petersilie, frittierter Seetang, Teotukwurzel (die wächst nur in Korea), Sesamblätter, Seerosenwurzel, Sojabohnensprossen, Peperoni, Pilze, Kimchi, also eingelegter Rettich, Gurke oder Glockenblumenwurzel, zwei Jahre lang in Peperonipaste gegoren, erst dann wird Kimchi besonders gut. Bibimbap ist ein Resteessen – Gwyneth Paltrow etwa kocht eine entschärfte, Filmwelt-kompatible Version mit wenig Knoblauch, Kimchi und Peperonipaste und viel braunem Reis, Karotten, Pilzen und Lauch. Wirklich alle Zutaten sind erlaubt, solange man die Harmonie der Farben berücksichtigt: Ausgeglichen wirkt Bibimbap nur, wenn die fünf Farben Gelb, Grün, Blau, Rot und Schwarz in den verschiedenen Beilagen berücksichtigt sind.

Das einfache Reisgericht basiert auf den komplizierten Regeln der Traditionellen Chinesischen Medizin. Sie trennt Lebensmittel in Yin und Yang, auch die Zubereitung: Kurzes Kochen in viel Wasser stärkt das weibliche Yin, Braten, Grillen oder langes Kochen das männliche Yang. Richtig zubereitet wirkt Bibimbap wie reine Medizin.

In Seoul bekommt man den Mischreis auf dem Nachtmarkt oder auf der Straße. Nach der Arbeit, bevor man möglichst schnell möglichst viel Bier oder Reisschnaps hinunterkippt – koreanisches Trinkverhalten fällt oft sehr englisch aus, um zehn schließen Marktstände und viele Kneipen. Den einfachen Mischreis servieren auch Luxusrestaurants. »Mugunghwa« ist eines der teuersten, es liegt auf der 38. Etage des »Hotels Lotte« in Seouls Zentrum. Die Beilagen stammen aus allen koreanischen Provinzen. Das Restaurant wurde jüngst umgebaut, man kann nicht mehr erkennen, an welchem Tisch Michael Jackson sein Bibimbap am liebsten aß. Aber dass er öfter da war, weiß man hier genau.

Die Stadt hat zehn Millionen Einwohner und weitere zehn Millionen Pendler täglich, und in den Kneipen ist Mischreis oft das einzige Gericht auf der Karte. Das Restaurant »Küchenschemel« zum Beispiel liegt im Hinterhof der Einkaufsstraße Insadong. Keine Reisvariation auf der Kreidetafel an der Wand kostet mehr als acht Euro. Der Herd steht in einer Ecke des Gastraums. Fünf Köchinnen singen beim Gemüseputzen. Die Gäste kratzen stumm ihre Schüsseln leer.

Fotos: Toby Binder