Weißgold

In den USA können Mütter, die ihre Milch verkaufen, eine Menge Geld verdienen. Kommt das Geschäftsmodell jetzt auch nach Deutschland?

»Heiße Mutti bietet fantastische Milch«, schreibt die junge Mutter, zum Beweis hat sie ein Foto online gestellt, auf dem sich ein zufriedener Säugling an einem gut gefüllten Busen zu schaffen macht. »Dicke, sahnige Biomilch für dein Baby!«, preist eine andere ihre Ware an, ohne Bild, dafür mit Angaben zu ihrer Diät. »Gesunde, bezahlbare Muttermilch von aktiver, ernährungsbewusster, gebildeter Mami abzugeben«, wirbt eine Dritte, sie hat als Referenz zwei Kinder vorzuweisen.

Die amerikanische Webseite Only the Breast ist nicht die einzige Online-Milchbörse, sie ist aber die bekannteste: Jeden Tag werden dort mehrere Dutzend neue Anzeigen veröffentlicht. Das Geschäft mit dem, was sie in den USA inzwischen das »flüssige Gold« nennen, gibt es noch nicht lange, doch es, nun, läuft ziemlich gut. Die Anbieterinnen leben in ganz Nordamerika, ihre Milch verkaufen sie frisch, tiefgefroren, direkt auf die Hand oder per Kurier; manche bieten auch Ammendienste an. Ihre Kunden sind Eltern kranker Säuglinge, Frauen mit Milchmangel oder auch alleinstehende Männer, von denen man gar nicht so genau wissen möchte, was sie mit der Milch eigentlich machen. Die Preise liegen bei ein bis drei Dollar pro Unze – das sind etwa 30 Milliliter –, was den Verkauf durchaus lukrativ macht: Eine Mutter, die ein Jahr lang täglich 500 Milliliter abpumpt, muss nur die Hälfte davon verkaufen, um über Only the Breast knapp 10 000 Dollar zu verdienen.

Muttermilch – weiß, wässrig, süßlicher Geschmack – ist eines dieser körperlichen Phänomene, die zugleich prosaisch und überaus faszinierend sind. Sie besteht aus Fetten, Eiweißen, Zucker und vor allem Verdauungsenzymen, die der Darmflora des Babys zu jedem Zeitpunkt optimal angepasst sind und die sich bislang nicht synthetisch herstellen lassen. Ein Baby erkennt seine Mutter nicht an der Stimme oder am Gesicht, sondern vor allem am Geruch ihrer Milch. Es kann aber auch problemlos von einer anderen Mutter ernährt werden, deren Kind dasselbe Alter hat. Und so hat der Verkauf der Muttermilch eine lange Geschichte: Schon in der Antike stillten Mütter die Kinder anderer Frauen, bis ins 19. Jahrhundert war es üblich, dass wohlhabende Frauen nach der Geburt eines Kindes eine Amme nahmen. Noch in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in vielen Krankenhäusern Ammen beschäftigt, um die Ernährung der Neugeborenen sicherzustellen.

Meistgelesen diese Woche:

Steht uns jetzt eine Rückkehr zu diesen Zeiten ins Haus? Haben wir es mit dem Ammenwesen 2.0 zu tun, runderneuert und ans Internetzeitalter angepasst? In Deutschland gibt es bisher keine Plattform wie Only the Breast, doch glaubt man Lisa Fehrenbach, Stillbeauftragte beim Deutschen HebammenVerband, dann ist das nur eine Frage der Zeit: »Das ist eine Marktlücke«, sagt sie. »Ich warte schon lange darauf, dass sich da mal etwas ändert.« Zwar ist hier der Bedarf auch aus gesellschaftlichen Gründen geringer: In Deutschland bleiben Mütter oft mindestens ein Jahr bei ihrem Baby und stillen, so lange sie wollen. In den USA müssen Mütter schon kurz nach der Geburt an den Arbeitsplatz zurückkehren und die Milch dann maschinell abpumpen, was zu Milchüberschuss, aber auch zum Versiegen der Produktion führen kann. Doch es gibt einen Grund, warum der Marktwert der Muttermilch unabhängig von nationalen Stillgepflogenheiten weltweit steigt: die vielen Frühgeburten.

Seit immer mehr Frauen in fortgeschrittenen Alter schwanger werden und immer mehr Schwangerschaften durch künstliche Befruchtung zustande kommen, steigt weltweit die Zahl der Frühgeburten. In den USA werden pro Jahr bereits eine halbe Million Babys vor der 36. Schwangerschaftswoche geboren, knapp 14 Prozent, in Deutschland sind es etwa 60 000, neun Prozent der Neugeborenen. Diese Babys schweben, bei allem medizinischen Fortschritt, oft wochenlang in Lebensgefahr. Die Forschungserkenntnisse der letzten Jahre stimmen darin überein, dass es keine bessere Nahrung für Frühchen gibt als Muttermilch. Die schafft, was kein künstliches Ersatzprodukt kann: den hochempfindlichen Darmtrakt der winzigen Babys gegen Krankenhauskeime abzudichten. Frauenmilch kann also Frühchenleben retten.

Doch auch die Pharmaindustrie wittert ihre Chance

Da es nach der Geburt ein paar Tage dauert, bis die Milch kommt, und Mütter frühgeborener Kinder oft besonders geschwächt sind, muss die Nahrung anderswo herkommen. Oft ist das ein künstliches Produkt aus Kuhmilchproteinen, es gibt aber auch ein weltweites Netzwerk von Milchbanken, gemeinnützige Einrichtungen, die Kliniken mit gespendeter Muttermilch versorgen.

Doch auch die Pharmaindustrie wittert ihre Chance: Der Konzern Prolacta Bioscience hat ein Serum entwickelt, mit dem Muttermilch für Frühchen angereichert werden kann. Das Serum ist enorm teuer in der Herstellung und basiert auf menschlichem Eiweiß, es wird aus Frauenmilch gewonnen, für die Prolacta freiwillige Spenderinnen anwirbt mit der Botschaft, sie könnten Kindern helfen. Viele finden es jedoch sinnvoller, gespendete Milch direkt weiterzugeben, als sie von der Pharmaindustrie verarbeiten zu lassen. Corinna Gebauer vom Klinikum Leipzig ist die deutsche Expertin für Milchbanken. Sie sagt, dass für geringe Mengen des Serums unverhältnismäßig viel Milch verbraucht werde: »Damit könnte man viele Frühchen satt bekommen – aber Prolacta geht es um das Geschäft mit dem Anreicherungsmittel.«

Kaum jemand weiß, dass es auch in Deutschland noch einige Milchbanken gibt, Überbleibsel aus DDR-Zeiten. In der Bundesrepublik schloss die letzte Frauenmilchsammelstelle 1972, damals galt künstliche Säuglingsnahrung unter Medizinern als völlig ausreichende, gar bessere Alternative. In der DDR musste hingegen in Städten ab 50 000 Einwohnern eine solche Stelle eingerichtet werden. Heute sind noch zehn Banken übrig, die größte befindet sich am Universitätsklinikum Leipzig.

Die Milchbanken sammeln, testen und verarbeiten die Milch und geben sie, ohne Gewinnmarge, an Säuglingsintensivstationen weiter. Das ist alles teuer und aufwendig: Die Milch muss keimfrei sein, und die Spenderinnen werden regelmäßig auf Krankheiten und Lebensgewohnheiten wie Alkohol- oder Zigarettenkonsum untersucht. Oft muss die Milch pasteurisiert werden, um Viren abzutöten. Die Milchbank in Leipzig setzt mit 1800 Litern knapp die Hälfte der Spenderinnenmilch in Deutschland um – 1989 hatten die Milchbanken der DDR noch 200 000 Liter gesammelt. Die Spenden kommen in der Regel von Frauen, deren Neugeborene stationär versorgt werden und die abpumpen müssen, weil die Kleinen noch nicht selbst trinken können. Spenden von außen kommen nur selten an.

Beatrice Amtages Sohn wurde von der Leipziger Milchbank gerettet. Felix kam in der 26. Schwangerschaftswoche auf die Welt, in den ersten Lebenstagen erhielt er die Milch einer anderen Frau, um zu überleben. Seitdem Beatrice Amtage Milch hat, spendet sie selbst, pro Tag um die 700 Milliliter. Jeden Tag besucht sie Felix, der seit August auf der Säuglingsstation des Uni-Klinikums Leipzig liegt, und liefert dort auch ihre überschüssige Milch ab. Vom Klinikum bekommt sie pro Liter 5,63 Euro als Aufwandsentschädigung – ein Bruchteil dessen, was sie theoretisch auf dem US-Milchmarkt verdienen könnte. Doch Amtage sagt: »Ich würde nie Milch im Internet bestellen.« Und selbst verkaufen? Amtage sagt, für sie sei das nichts, sie schüttet ihre wertvolle Milch lieber ins Wasser: »Das ist der beste Badezusatz, den es gibt.« Trotzdem wundert sie sich, dass nicht mehr Frauen in Deutschland abgepumpte Milch spenden.

Nur: Wohin sollen sich Frauen wenden, die nicht zufällig in der Nähe einer der zehn ostdeutschen Milchbanken wohnen? Wer etwa in Hannover oder München Milch spenden will, hat dazu bisher gar keine Möglichkeit. Wenn der Neugeborenenarzt Andreas Schulze vom Münchner Klinikum Großhadern recht hat, wird sich das aber bald ändern. Schulze sagt, Kliniken könnten vor den Ergebnissen der Forschung nicht mehr die Augen verschließen: »Eine Muttermilchbank ist das Beste, was man für die Frühchenversorgung haben kann.« Das Klinikum Großhadern wird deshalb diesen Winter eine Milchsammelstelle für die Säuglingsintensivstation in Betrieb nehmen, die erste Neugründung in Westdeutschland seit fast hundert Jahren. »Damit muss man endlich wieder anfangen«, sagt Schulze. »Ich vermute, dass auch andere Kliniken bald solche Sammelstellen einrichten werden.«

Es sieht also ganz danach aus, dass das flüssige Gold hierzulande erst mal einer der wenigen Edelstoffe bleibt, die nicht auf dem Markt gehandelt werden. Außer natürlich, es finden sich auch in Deutschland heiße Muttis, die geschäftstüchtig genug sind, um den Schatz in ihrer Brust zu Geld zu machen.

Foto: Getty