Radio Ratlos

Seit Jahrzehnten sendet eine Funkstation im tiefsten Russland mysteriöse Signale. Spionage? Raketentechnik? Aliens? Kein Mensch kann erklären, was sie bedeuten - aber mittlerweile hören Hunderttausende auf der ganzen Welt zu.

Von einem Wald nördlich von Moskau aus sendete eine Kurzwellenstation Tag und Nacht unerklärliche Signale. Etwa zwischen 1982 bis 1992 handelte es sich dabei meistens um ein Piepen, später waren es Brummtöne, in der Regel zwischen 21 und 34 pro Minute, jeder von ihnen knapp eine Sekunde lang – wie ein näselndes Nebelhorn, das durch den knackenden Äther drang. Es hieß, das Signal komme aus einem kleinen Militärstützpunkt in der Nähe eines Dorfes namens Povarovo. Nur sehr selten, vielleicht alle paar Wochen, wurde die Monotonie der rätselhaften Töne von einer männlichen Stimme unterbrochen, die Zahlen und Wörter rezitierte, bei denen es sich oft um russische Vornamen handelte: »Anna, Nikolai, Iwan, Tatjana, Roman.« Doch meistens wurde die Sendezeit bloß mit Tönen bestritten, von denen man nicht wusste, was sie bedeuteten, und die einen deswegen fast verrückt machen konnten.

Hin und wieder wechselten die Amplitude und die Höhe des Brummens oder die Intervalle zwischen den Tönen. Doch zu jeder vollen Stunde strahlte der Sender verlässlich zwei kurz aufeinanderfolgende Brummtöne aus. Keine der Umwälzungen, die Russland im letzten Jahrzehnt des Kalten Krieges und in beiden Dekaden danach beschäftigten, hat UVB-76, wie das Kennungssignal des Senders lautete, je daran gehindert, seinem geheimnisvollen Zweck nachzugehen. Und es gab viele Umwälzungen: Michail Gorbatschow, die Perestroika, das Ende des Afghanistan-Krieges, die Implosion der Sowjetunion, das Ende der Preisbindung, Boris Jelzin, der Putschversuch, der erste Tschetschenienkrieg, die Oligarchen, die Finanzkrise, der zweite Tschetschenienkrieg, der Aufstieg des Putinismus. Und so kam es, dass eine kleine Gruppe von Kurzwellenenthusiasten, fasziniert vom Mysterium des »Buzzers«, wie sie die Station scherzhaft nannten, jedes seiner Signale dokumentierte. Auch für sie wurde er zu einer fast tröstlichen Konstante, die mit metronomhafter Regelmäßigkeit in ihrem Leben dröhnte.

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Dann, am 5. Juni 2010, hörte das Brummen auf. Es gab keine Ankündigung, keine Erklärung. Nur Stille.

Am nächsten Tag setzte die Ausstrahlung wieder ein, als ob nichts geschehen wäre. Für den Rest des Monats und im Juli verhielt sich UVB-76 fast wie immer. Es gab ein paar Abweichungen – zum Beispiel Tonfolgen, die sich nach Morsecode anhörten –, aber nichts Dramatisches. Mitte August wieder Stille. Das Brummen setzte erneut ein, hörte wieder auf, begann von Neuem.

Am 25. August um 10.13 Uhr ging es auf UVB-76 völlig drunter und drüber. Zuerst Stille. Dann hörte man Geräusche, als wäre jemand im Raum. Es war, als stünde nach all den Jahren der Dämon hinter all dem Gepiepe, Gebrumme und Gedröhne kurz davor, sich zu erkennen zu geben. In der ersten Woche nach diesem Zwischenfall wurde die Ausstrahlung oft unterbrochen – in der Regel von Schnipseln des »Tanzes der kleinen Schwäne« aus Tschaikowskys Schwanensee.

Am Abend des 8. September 2010 geschah etwas noch Dramatischeres – einer der Hörer sollte es später »existenziell« nennen. Um 8.48 Uhr abends Moskauer Zeit gab eine männliche Stimme eine neue Kennung durch. Sie lautete »Michail Dmitri Zhenya Boris«. Das bedeutete, dass der Sender fortan MDZhB heißen sollte. Dieser Verlautbarung folgte eine der üblichen nebulösen Botschaften von UVB-76 (oder MDZhB): »04 979 D-R-E-N-D-O-U-T«, gefolgt von einem langen Zahlenblock, danach »T-R-E-N-E-R-S-K-I-Y« und noch mehr Zahlen.

Bis vor wenigen Jahren wären die Mysterien eines russischen Kurzwellensenders nur von einer kleinen Gruppe von Radio-Nerds registriert worden. Doch im Juni 2010 – nach der ersten Signalpause – verknüpfte ein Este namens Andrus Aaslaid, seit seiner Kindheit vom Kurzwellenradio fasziniert, die Signale des russischen Brummers mit dem Internet. Seitdem kann man unter der Adresse UVB-76.net dem Gebrumme auch ohne Weltempfänger folgen. Bald hörten Hunderttausende aus allen möglichen Ecken der Welt immer mal wieder in den Internet-Feed des Buzzers rein. Aaslaid hatte es geschafft, eines der seltensten Hobbys, die man sich vorstellen kann, für das 21. Jahrhundert zu verjüngen.

Mittlerweile gehören zu den Anhängern des Brummers Anarchisten, Hacker, Installationskünstler, Leute, die an Außerirdische glauben, ein ehemaliger litauischer Kommunikationsminister oder ein Mann aus Virginia, der unter dem Kürzel »Room641A« auftritt, eine Anspielung auf eine geheime Abhörstation der National Security Agency, die sich angeblich in einem Gebäude des Telefonkonzerns A&T in San Francisco befinden soll (»Ich interessiere mich fürs Zuhören«, teilte mir Room641A in einer E-Mail mit, »und zwar für alle seine Formen«). Sie alle stehen im Bann dieses Signals, das nun wieder meistens bloß vor sich hinbrummt. Für sie ist es zu einer Obsession geworden herauszufinden, welche Bedeutung sich hinter seinen rätselhaften Mustern verbirgt, aber wahrscheinlich ist das Beste an diesem Geheimnis, dass es sich eben nicht dechiffrieren lässt.

Wie nicht anders zu erwarten, liegt die Geschichte des Buzzers im Trüben: Vor ungefähr 30 Jahren, heißt es, errichteten die Sowjets die Funkstation in der Nähe von Povarovo, 40 Autominuten nordwestlich von Moskau. Zu jener Zeit war Leonid Breschnew noch am Leben, der Kreml beherrschte ein interkontinentales Reich, die Sowjettruppen bissen sich in Afghanistan die Zähne aus. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 wurde bekannt, dass Povarovo von der Armee kontrolliert wurde und dass alles, was dort geschah, höchster Geheimhaltung unterlag.

Kurzwellenenthusiasten entwickelten Theorien über die Funktion

Kurzwellenenthusiasten entwickelten alle möglichen Theorien über die Funktion der Station innerhalb des militärischen Kommunikationsnetzes. Es handelt sich um einen vergessenen Knoten, lautete eine Hypothese, dessen ursprünglicher Zweck längst in den Labyrinthen der Bürokratie vergessen worden ist. Es sind Geheimsignale, meinten andere, Botschaften an russische Spione in ihren Operationsgebieten. Ein düsterer Erklärungsversuch brachte UVB-76 mit einer sowjetischen Wunderwaffe in Verbindung, die im Falle eines Überraschungsangriffs auf den Kreml eine Welle nuklearer Attacken gegen die USA auslösen sollte. Die nicht ganz so sexy Hypothese, dass der Brummer mit seinen Signalen die Dicke der Ionosphäre testen sollte, fand dagegen kaum Anhänger.

Vor Aaslaids Internet-Feed und den Ereignissen von 2010 verfolgten vermutlich nicht mehr als tausend Menschen das Treiben auf UVB-76. Einige unter ihnen hatten seit den Achtzigerjahren den Signalen zugehört, in Kellern, Garagen, Hobbyräumen. Es war eine verschworene Gemeinschaft von Enthusiasten aus allen möglichen Ländern, die einander oft nicht ihre Wohnorte verrieten oder nur unter Pseudonym miteinander kommunizierten, weil viele von ihnen Angst davor hatten, dass sich die Sowjets für ihr Interesse am Brummer interessierten – schließlich konnte es ja sein, dass sie irgendeinem dunklen Geheimnis auf die Spur gekommen waren.

»Es war aufregend«, sagt Ary Boender, 57, ein Anlageberater aus der Nähe von Rotterdam. Er hat sich erstmals im Januar 1983 an das Signal von UVB-76 gehängt, aus reinem Zufall, wie er sagt. Beim Suchen nach einem Sender war unvermutet dieses seltsame Signal aus dem Empfänger gedrungen, von dem er danach nie wieder loskam. Ganz ähnlich erzählen es viele Fans des Brummers: Es war spät, sie suchten eigentlich etwas anderes – einen Wetterkanal, einen Seewetterbericht, ein wenig Funkverkehr im Luftraum –, als plötzlich UVB-76 im Äther hing und ihre Aufmerksamkeit so sehr fesselte, dass ihnen nichts anderes übrig blieb, als dem Signal zu folgen, das sich durch die kalte und verschneite Nacht einen Weg zu ihnen gesucht hatte. Was um alles in der Welt war das? »Der Spaß bestand immer darin herauszufinden, wer sie sind, von wo sie senden, was sie wollen«, sagt Ary Boender.

Vor dem Internet erfuhren Kurzwellenenthusiasten voneinander durch fotokopierte Newsletter wie die Monitoring Times oder Magazine mit kleiner Auflage wie Popular Communications (Schlagzeile der Ausgabe vom Oktober 1985: »Lauschangriff im Flugverkehr!«). Wenn sich bei UVB-76 etwas Interessantes ereignete – zum Beispiel wenn die Dauer der Pieptöne sich von 1,9 auf 2,2 Sekunden verlängerte oder das Timbre der ausgestrahlten Töne sich veränderte –, schrieben sie an ihre Nischenblätter oder wandten sich an andere in ihrer Kurzwellen-Community, um ihre Beobachtungen und Hypothesen zu teilen.

Noch immer fühlt man sich beim Hören von UVB-76 wie in einer Welt, die seit Jahrzehnten nicht mehr existiert, vor allem, wenn man es spät in der Nacht tut und dabei in einem dunklen Keller sitzt, Kopfhörer übergestülpt, in einem Meer aus Klängen treibend, die von nirgendwoher zu kommen scheinen – all diese »kleinen Reisen in die Fantasie«, wie Room641A sich ausdrückt, »auf die man sich begibt, wenn man nachts um drei vor seinem Empfänger sitzt und Radio Havanna im Äther rauscht«.

Die meisten der UVB-76-Überwacher glauben, dass es sich um eine ungewöhnliche Variante eines sogenannten Zahlensenders handelt. Dessen Zweck besteht darin, verschlüsselte Nachrichten an Spione und Agenten auszustrahlen, und normalerweise kommen sie ihm nach, indem sie Fünfergruppen von Zahlen senden, weil das die Identifikation von Wörtern und Sätzen erschwert.

Zahlensender sollen schon seit dem Ersten Weltkrieg existieren, behauptet das amerikanische »Conet Project«, und werden nicht nur von Militärs und den Geheimdiensten aller möglichen Staaten betrieben, sondern etwa auch von Drogenschmugglern.

Jochen Schäfer, Vorsitzender der deutschen Sektion einer Online-Gruppe namens Enigma 2000 (der erste Teil des Namens ist eine Abkürzung für »European Numbers Information Gathering and Monitoring Association«), die Daten über Zahlensender auf der ganzen Welt sammelt, sagt über UVB-76: »Es ist kein typischer Zahlensender, aber es ist einer.« Normalerweise beginnen Zahlensender ihre Ausstrahlungen mit einem Identifikationssignal, sagt Schäfer, dem eine Kennmelodie folgt – beim legendären britischen Kurzwellensender »Lincolnshire Poacher« waren es die ersten beiden Takte eines Volkslieds gleichen Namens –, dann erst folgen die Zahlengruppen. »UVB-76 ist anders«, sagt Schäfer. »Die meiste Zeit gibt es nur diesen Brummton. Und die Botschaften kommen in unregelmäßigen Abständen.«

Diese Abweichungen lassen manche Hörer von UVB-76 daran zweifeln, dass es sich um einen Zahlensender handelt. Ein Mann, der unter dem Kürzel »JM« auftritt, ein europäischer Spitzenbeamter im Ruhestand, der sich jahrelang mit den sowjetischen Manövern beschäftigt hat, westliche Rundfunksender zu stören, ist davon überzeugt, dass UVB-76 den Zweck hat, Signale an Armeeeinheiten im Inland zu senden, nicht an Spione jenseits der Staatsgrenzen. Für ihn lassen viele Charakteristika des Senders – seine Frequenz von 4625 kHz, seine Sendestärke von 20 Kilowatt oder die Art seiner Antenne – auf eine konventionelle militärische Verwendung schließen. Bryan Tabares, ein 21-jähriger Produktionsingenieur aus Jacksonville in Florida, stimmt ihm zu und hat für die merkwürdigen Sendeunterbrechungen von 2010 eine unverfängliche Erklärung. Ihm zufolge haben Toningenieure damals ihre Anlage neu kalibriert oder neue Geräte in Betrieb genommen.

Es ist einem 37-jährigen Programmierer aus Tallinn zu verdanken, dass ein obskurer russischer Kurzwellensender zu einem Internet-Hype wurde. Durch die Koppelung der Sendersignale mit dem Netz wuchs die Zuhörerschaft von UVB-76 in einem Ausmaß, von dem sich keiner der Kurzwellen-Enthusiasten hätte träumen lassen. Aaslaids Büro liegt im dritten Stock eines Gebäudes in einer stillen Nebenstraße, im Haus gegenüber wohnt er mit seiner Familie in der obersten Etage. International kaum bekannt, ist Aaslaid in Estland eine Art Held der lokalen IT-Szene. Er gründete sein erstes Unternehmen in den frühen Neunzigern, verkaufte seine zweite Firma an das Quartett hinter Skype, versuchte sich eine Zeit lang im Silicon Valley, war Berater von zwei estnischen Ministern, darunter Andrus Ansip, dem derzeitigen Regierungschef des Landes. Für Kurzwellenradio interessiert er sich schon seit seiner Kindheit, und wenn er über UVB-76 spricht, hört er sich immer noch ein wenig wie ein Teenager an, der von einer Welt fasziniert ist, die er nicht ganz versteht. Er schaltet seinen Empfänger ein, und ein paar Minuten lang lauschen wir nach dem Zufallsprinzip irgendwelchen Klangfetzen im Funkäther: Ein Friedensaktivist spricht über Hiroshima, ein russischer Nachrichtensprecher berichtet von Toten in Gaza, das Ende eines Supertramp-Songs. »Ich habe mich viele Nächte in den Radiowellen verloren, und manchmal war ich sehr, sehr betrunken davon«, sagt Aaslaid. »In unserer Zeit ist das Leben vieler Menschen so durchgeplant und vorhersagbar. Da steht etwas wie UVB-76 für Unvorhersehbarkeit und Mysterium.«

Sein Internet-Koppler ist technisch unkompliziert, verlangte ihm aber körperlich einiges ab. Für die Antenne spannte er mitten in der Nacht 70 Meter Kupferdraht zwischen den Dächern des Büro- und des Wohngebäudes und musste einige Male hin- und herklettern, bis alles passte. Dann verband er den Kurzwellenscanner, an dem die Antenne hing, mit einem Computer. Erst ein paar Wochen später, als sich der Erfolg seiner Idee abzeichnete, ersetzte er die Drähte über die Straße durch eine ordentliche Antenne und den Scanner durch ein softwarebasiertes Radio.

Kurzwellenenthusiasten entwickelten Theorien über die Funktion

In den ersten sechs Monaten nachdem er UVB-76 ans Internet gehängt hatte, interessierten sich 200 000 Menschen aus allen möglichen Ländern für die Signale des Brummers. Wie jeder gute Kurzwellensüchtige beobachtet Aaslaid die Beobachter und weiß deshalb, dass die meisten von ihnen aus den USA kommen, aber gleich dahinter die Russen. Aaslaid erzählt, er bekomme viele Mails von Künstlern und Musikern, die sich vom Brummer inspiriert fühlen. X-Ray Press, eine »Math-Rock«-Band aus Seattle, veröffentlichte ein Album mit dem Titel »UVB-76«, Sherri Miller und Mario Fanone, zwei Elektronik-Musiker aus Buffalo im Bundesstaat New York, gingen noch einen Schritt weiter und nannten gleich ihre Band nach dem russischen Kurzwellensender. Jedes ihrer Konzerte beginnt mit einer Einspielung des Brummer-Brummtons.

Das neueste Mysterium von UVB-76 – bzw. MDZhB ist sein Standort. Bald nach den Turbulenzen im August und September 2010, mit all den Pausen, Neustarts und seltsamen Geräuschen, fiel den Zuhörern eine weitere bemerkenswerte Änderung auf: Die Koordinaten des Senders schienen sich geändert zu haben. JM, der ehemalige Europa-Spitzenbeamte, konnte die neue Position annähernd bestimmen: Sie liegt bei der Stadt Pskov in der Nähe der russisch-estnischen Grenze. Aber bisher ist es niemandem gelungen, den exakten Standort zu peilen. Ary Boender, der Anlageberater aus Rotterdam, meint, der Umzug sei einer Neuorganisierung der russischen Armee geschuldet, die im September 2010 in Kraft trat. Dabei wurden die Militärbezirke von Moskau und St. Petersburg zusammengelegt und eine neue Kommandozentrale in St. Petersburg geschaffen. Das könnte auch den Umstand erklären, dass UVB-76 ein paar hundert Kilometer in den Nordwesten verlegt wurde.

Heute ist der kleine Armeestützpunkt bei Povarovo, von dem aus so viele Jahre gesendet wurde, fast verlassen. Alte kommunistische Plattenbauten, ein paar Datschen jüngeren Datums, Frauen, die Gurken und Honig ernten. Das Armeegelände ist umzäunt, Schilder verwehren Zivilfahrzeugen die Zufahrt, aber es gibt weder Bewacher noch elektrische Zäune, und die Tore sind nicht verschlossen. Nirgendwo Menschen, bloß bei den Häusern, in denen die Frauen, Kinder und Enkel der Soldaten wohnen, die hier einmal gedient haben. »Das hier war wie ein Paradies«, sagt eine Frau namens Natalia, deren verstorbener Mann Chauffeur des Stützpunktkommandanten war. Als ich mich bei ihr nach dem Sendemasten jenseits des Zauns erkundige, sagt Natalia, niemand gehe je dorthin.

Die schmale Straße zum Turm führt an einer Handvoll verlassener Gebäude entlang eines Kiefernwaldes vorbei. Der Turm, von einem zweiten Zaun umgeben, ist zwischen 30 und 45 Meter hoch, rot-weiß lackiert und schon etwas rostig, drei oder vier Satellitenschüsseln sind an ihm angebracht. In der Nähe: ein Schuppen, eine grüne Wellblechhütte, in der Kabel und elektrisches Gerät gelagert werden, und ein steinerner Bau, schon von Moos überwachsen. Es scheint eine unterirdische Anlage zu geben: Das Feld, auf dem sich der Sendemast erhebt, ist von Metallzylindern durchlöchert, wahrscheinlich Belüftungsschächte. Außerdem ist da noch ein kleines, rosa gestrichenes Gebäude, das wie der Zugang zu einer in die Tiefe führenden Treppe wirkt. Im Steinbau ist eine Tür nur halb verschlossen. Wenn man sie öffnet, blickt man in ein schwarzes Loch, in das vor Jahren oder Jahrzehnten noch eine Leiter hinabgeführt haben mag. Ich werfe einen Stein in die Tiefe, bis zum Aufschlag vergeht ungefähr eine Sekunde –was immer da unten ist, liegt also mindestens zehn Meter unter der Erde.

Nahe dem Zaun, der den Funkturm umgibt, befindet sich ein weiteres einstöckiges Gebäude, ebenfalls rosa gestrichen. Vor dem Gebäude: eine große Antenne und ein Baum. Zwischen dem Baum und dem Gebäude hat jemand ein Kabel gespannt, an das ein kläffender Hund angeleint ist. Sobald man sich der Tür des Gebäudes nähern würde, käme man in den Einflussbereich des Hundes, der endlos und so grimmig bellt, als hätte man ihn geschlagen.

Die Tür wirkt verschlossen. Drin brennt kein Licht. Kein Mensch weit und breit. Und doch muss es jemanden geben, der den Hund füttert.

Erschienen in WIRED (USA), 27. September 2011; aus dem Amerikanischen von Peter Praschl.

Foto: Guntier / photocase.com