Den Spruch »Solange du deine Füße unter meinen Tisch stellst ...« haben sich Taylors Eltern bisher verkniffen – trotz seiner bedenklichen Hobbys.
Raketenantriebe, ich will zu den Raketenantrieben!« ruft der neunjährige Junge und zerrt den Vater zum Eingang des NASA-Museums am Rande der Stadt Huntsville in Alabama. Kurz darauf stehen die beiden am Nachbau der mächtigen Saturn-V-Rakete, mit der Amerika einst zum Mond flog. Eine junge Führerin weist ihre Gruppe auf das Triebwerk hin. Alle bücken sich, auch Taylor Wilson, der neunjährige Junge. Von Kenneth Wilson, dem Vater, fällt für kurze Zeit eine Last ab: Endlich ist es mal nicht an ihm, den grenzenlosen Wissensdurst seines Sohnes zu stillen.
Dann hebt Taylor die Hand. Er erklärt der staunenden Gruppe, was die Saturn V, die größte Rakete aller Zeiten, zum Abheben bringt. Und wie Geschwindigkeit von Triebwerksschub und der sich reduzierenden Masse abhängt. Er doziert über Nutzlastverhältnisse, das Für und Wider von flüssigem und festem Brennstoff. Es sprudelt nur so aus ihm heraus, als habe er Angst, die Zeit könnte ihm ausgehen, bevor er alles mitteilen kann, was er weiß. Bald läuft die Führerin davon, um den Leiter des Museums zu holen – »Diesen Jungen müssen Sie sich ansehen!« Der Vater dagegen wird sich später an Tage wie diesen als die »unbeschwerten Zeiten« erinnern – als sich sein Sohn noch für so harmlose Dinge wie Raketenforschung begeisterte.
Die unbeschwerten Zeiten: Das waren die Tage, bevor Taylor die Garage der Familie Wilson in eine im Dunkeln leuchtende Zauberhöhle aus Gesteinen, Metallen und Flüssigkeiten mit unvorstellbaren Kräften verwandelte. Bevor er anfing, mit Neutronen zu experimentieren, um zwei der größten Probleme unserer Zeit zu bekämpfen: Krebs und Nuklearterrorismus. Bevor er als 14-Jähriger einen Reaktor baute, der in einem fast 600 Millionen Grad heißen Plasmakern Atome aufeinanderprallen ließ – und in die Geschichte als jüngster Mensch einging, dem je eine Kernfusion gelang.
Taylor ist mittlerweile 17, ein hagerer Junge, der aufblüht, wenn er über Atomenergie spricht: vom Urknall und vom nuklearen Winter, von Kernspaltung und Kernfusion, von Einstein und Oppenheimer, von Materie und Antimaterie – sein Repertoire scheint endlos zu sein. »Woher hat er das nur?« haben sich die Eltern oft gefragt. Kenneth Wilson vertreibt Coca-Cola, er hat früher Football gespielt und fährt gern Ski. Tiffany Wilson ist Yogalehrerin.
Es war von Anfang an klar, dass es schwer sein würde, den älteren der beiden Wilson-Söhne auf dem Boden zu halten. Mit vier Jahren zog Taylor eine orangefarbene Warnweste über, setzte einen Schutzhelm auf und regelte vor dem Haus den Verkehr. Zum fünften Geburtstag wünschte er sich einen Kran. Die Eltern fuhren mit ihm zum Spielzeugladen. »Nein«, schrie er dort. »Ich will einen echten Kran.« Andere Väter hätten ein Machtwort gesprochen, Kenneth Wilson rief einen befreundeten Bauunternehmer an: Zu Taylors Geburtstagsfeier fuhr dann ein sechs Tonnen schwerer Kran vor. Auf dem Schoß des Kranführers sitzend, schwenkten die Kinder abwechselnd den Kranarm über die Dächer am Northern Hills Drive von Texarkana, der Heimatstadt der Wilsons an der Grenze von Texas und Arkansas.
Als Taylor zehn war, hängte er ein Periodensystem der Elemente in seinem Zimmer auf. Nach einer Woche wusste er alle Kernladungszahlen, Massenzahlen und Schmelzpunkte auswendig. Zu einer Familienfeier erschien der Junge im Laborkittel mit einer Handvoll Chirurgenmesser und kündigte an, von allen Anwesenden Blutproben nehmen zu wollen. Im Labor, das er in der Garage der Großmutter eingerichtet hatte, werde er die Proben »vergleichenden Genanalysen« unterziehen. Im folgenden Sommer bat Taylor seine Großfamilie in den Hinterhof. Dort präsentierte er seinem Publikum ein Fläschchen, befüllt mit einem Gemisch aus Zucker und Kaliumnitrat, auch bekannt als Salpeter. Er setzte das Fläschchen ab und zündete die Zündschnur an, die oben herausragte. Was folgte, war nicht der harmlose Böllerknall, den die Umstehenden erwartet hatten, sondern eine krachende Explosion. Nachbarn stürzten aus ihren Häusern, während über dem Garten der Wilsons eine kleine pilzförmige Wolke aufstieg.
Zu seinem elften Geburtstag suchte sich Taylor in einer Buchhandlung das Buch The Radioactive Boy Scout (»Der radioaktive Pfadfinder«) von Ken Silverstein aus. Es erzählt die Geschichte von David Hahn, einem Teenager aus Michigan, der Mitte der Neunzigerjahre in einem Gartenschuppen einen Atomreaktor baute. Für Kenneth und Tiffany Wilson war Hahns Geschichte ein Warnsignal. Taylor dagegen sah sie als Herausforderung, zumal er gerade damit begonnen hatte, sich mehr für die unteren beiden Reihen des Periodensystems zu interessieren – die mit den stark radioaktiven Elementen. »Wisst ihr, was?« sagte er. »Die Dinge, die der Junge da versucht hat – ich glaub, die krieg ich hin.«
Wie Taylor Wilson hatte sich auch David Hahn in der Schule gelangweilt. Doch ab diesem Punkt verlief die Entwicklung der beiden Jungen unterschiedlich: Als Hahns Eltern die Forschungen verboten, machte der wütende Teenager heimlich weiter. Taylor Wilsons Eltern widerstanden dem Impuls, die Interessen des Sohnes auf harmlosere Hobbys zu lenken – keine leichte Entscheidung, wenn ein Kind, das offenbar Freude daran hat, Dinge in die Luft zu jagen, sich der Atomkraft zuwendet. Sie erlaubten Taylor, für die Forschungsausstellung seiner Schule eine »Erhebung über radioaktive Materialien im Alltag« anzufertigen. Der Vater borgte einen Geigerzähler vom örtlichen Katastrophenschutz. An den Wochenenden chauffierten die Eltern Taylor zu den Antiquitätenläden im Umkreis, wo er den tickenden Apparat auf Thorium-Laternen, alte Wecker mit Radium-Ziffernblättern und uranglasierte Keramik richtete. Vom Taschengeld kaufte er sich ein paar radioaktiv beschichtete Teller.
Er akzeptiert kein Nein
Das etwas andere Garagen-Start-up: Hier, neben seinem Elternhaus, experimentierte Taylor mit Uran und Thorium und baute als Zehnjähriger seine erste Bombe.
Fasziniert von den, wie er sagt, »überraschenden Eigenschaften« radioaktiven Materials, wollte er es nun genau wissen: Wie kann ein Krümel Metall von der Größe eines Salzkorns eine solch gewaltige Energie hervorbringen? Warum zerfällt ein Isotop im Bruchteil einer Sekunde, während ein anderes eine Halbwertszeit von zwei Millionen Jahren hat?
Während David Hahn, dem radioaktiven Pfadfinder, seinerzeit nur eine begrenzte Zahl an Quellen zur Verfügung stand, hatte Taylor über das Internet Zugang zu schier endlosen Informationen; ganz zu schweigen von den Dingen, die er sich für die Garage kaufen konnte.
Auf den bereits mit Chemikalien, Mikroskopen und keimtötenden UV-Lampen vollgestellten Tischen wuchs nun ein Berg an nuklearen Brennstoffkügelchen, Uranbrocken und bleiummantelten Behältern heran. Wenn seine Eltern nachhakten, ob das alles denn auch sicher sei, belehrte Taylor sie mit einem Vortrag über Quadratabstandsgesetze, Distanz und Intensität und zeitlich begrenzte Strahlungsdosen. Kenneth Wilson bat einen befreundeten Nuklearmediziner, einen Blick auf Taylors Sicherheitskonzept zu werfen. Der Freund meinte, allem Anschein nach habe der Junge alles richtig gemacht. Er warnte aber vor der Strahlung: Sollte etwas schiefgehen, könnte Taylor die Zeit fehlen, um noch aus seinem Fehler zu lernen.
Eines Nachmittags entdeckte Tiffany Wilson ihren Sohn in seinem kanariengelben Overall vor der Garage. Er sah zu, wie sich eine Flüssigkeit in einer Pfütze auf dem Zementboden ausbreitete. »Abendessen ist fertig, Tay.« – »Ich muss erst das hier aufwischen.« – »Das ist aber nicht das Zeug, das uns umbringt, wenn es freigesetzt wird, oder?« – »Glaub ich nicht«, sagte Taylor. »Nicht sofort jedenfalls.«
Im gleichen Sommer zog Ashlee bei den Wilsons ein, eine Tochter aus der ersten Ehe des Vaters. Sie besuchte damals die Uni. »Die ständigen Explosionen hinterm Haus gingen einem schon auf die Nerven«, erzählt sie. »Ich merkte, dass alle langsam frustriert waren. Sie sprachen Taylor auf seine Versuche an, aber er hatte sofort ein überzeugendes Gegenargument parat. Er ist einem einfach überlegen. Ich sagte ihnen: Zieht die Elternkarte. Er tanzt euch auf der Nase herum.« – »Sie verstand nicht«, entgegnet Kenneth Wilson, »dass wir keine Wahl hatten. Den Satz ›Das geht nicht‹ akzeptiert Taylor einfach nicht.«
Tiffany Wilson hatte kurz zuvor ihre einzige Schwester verloren. Und bei ihrer Mutter meldete sich der Krebs zurück. »Das war ganz schön hart damals«, erzählt Taylor, während er in einem 20-Liter-Eimer mit der Gartenschaufel seiner Mutter eine Ladung Yellowcake anrührt, ein gelbes, radioaktives Urangemisch. »Aber so schlimm es auch war, dass Oma im Sterben lag und so – die Sache mit dem Urin war schon toll. Nach ihrer Computertomografie hat sie mir eine Probe überlassen. Die war so stark belastet – ich musste sie in einem Bleibehälter aufbewahren.« Etwas peinlich berührt fügt er hinzu: »Sie hatte Lungenkrebs. Nach Hustenanfällen hat sie mir kleine Tumorbrocken zum Sezieren überlassen. Manche finden das ja eklig, aber ich fand es wissenschaftlich sehr interessant.«
Was anfangs niemand bemerkte: Als seine Großmutter dahinsiechte, entwickelte Taylor ein Bewusstsein für seine Mitmenschen. Er beschloss, die Welt zum Besseren zu verändern. Bei der Therapie seiner Großmutter erkannte er das Problem, dass die Isotope zur Krebsdiagnose und -behandlung äußerst kurzlebig sind. Das muss so sein, damit sie schnell wirken und gezielt die Tumore abtöten. Dann zerfallen sie sofort wieder und verschonen so die gesunden Zellen. Der Nachteil: Die Anlieferung dieser flüchtigen Isotope zum richtigen Zeitpunkt ist kompliziert und teuer, häufig ist ein Privatflugzeug nötig. Was wäre, wenn es einen Weg gäbe, die medizinischen Isotope direkt am Bett oder in der Nähe der Patienten zu bilden?, überlegte Taylor. Wie viele Patienten wie seine Großmutter könnten dann gerettet werden?
Die Sonne ist die Lösung
Zu den bevorzugten Ausflugszielen Taylors zählen stillgelegte Uranminen und ehemalige Testgelände für Atomwaffen. Deshalb reist er am liebsten nach New Mexico, wo sein Geigerzähler besonders stark ausschlägt.
Als er unter dem tickenden Geigerzähler in der giftigen Urinprobe rührte, kam ihm die Erleuchtung. Die Sonne war die Lösung, genauer gesagt, der Vorgang, der die Sonne befeuert: die Kernfusion. Gelänge es ihm, die Energie einzufangen, die in dem Augenblick frei wird, wenn atomare Nukleide zusammenstoßen und verschmelzen, könnte er energiereiche Neutronen produzieren. Und mithilfe ihrer Strahlung könnte er dann medizinische Isotope herstellen. Statt wie bisher die Isotope in Millionen Dollar teuren Teilchenbeschleunigern zu erschaffen, die dann auf schnellstem Wege zu den Patienten gebracht werden, würde Taylor einen kleinen Fusionsreaktor bauen, der billig und sicher genug wäre, um in jedem Krankenhaus der Welt Isotope nach Bedarf zu produzieren.
Taylor war 13, als seine Halbschwester Ashlee seinen Eltern einen Artikel über eine neue Schule in Reno zuschickte, die Davidson-Akademie. Es handelt sich um eine staatlich geförderte Schule für die klügsten und fleißigsten Schüler im Land. Gegründet wurde die Akademie, die ihren Schülern Forschungsmöglichkeiten an der nahe gelegenen Universität von Nevada bietet, von den Softwareunternehmern Janice und Robert Davidson. Die beiden sind der Meinung, gerade die besten Köpfe des Landes würden oftmals am wenigsten gefördert.
Beim Antrittsbesuch der Wilsons in Reno vereinbarte Taylor einen Termin mit Friedwardt Winterberg, einem gefeierten Physiker der Universität von Nevada, der beim Nobelpreisträger Werner Heisenberg studiert hatte. Als der Junge erzählte, er wolle einen Fusionsreaktor bauen, brüllte der Professor: »Du bist 13! Und du willst mit Abertausenden Elektronenvolt und tödlichen Röntgenstrahlen herumhantieren?« Das Projekt sei technisch viel zu schwierig und gefährlich, selbst für die meisten Doktoranden. Nach diesem Gespräch dachten Tiffany Wilson und ihr Mann, »das Thema habe sich damit erledigt. Wir waren sehr erleichtert.
Doch als Taylor an der Davidson-Schule anfing, fand er schnell zwei Befürworter für sein Vorhaben. Einer hatte sein Büro neben Winterberg: der Atomphysiker Ronald Phaneuf. Er erinnert sich gut an die ersten Gespräche mit Taylor: »Er hatte bereits ein viel tieferes Verständnis als seine Altersgenossen. Aber als er mir sagte, er möchte den Reaktor in seiner Garage bauen, dachte ich nur: Du lieber Himmel, bloß nicht! Aber vielleicht können wir es einrichten, dass er ihn hier baut.«
Phaneuf bot Taylor die Teilnahme an seinem Seminar für höhere Kernphysik an und machte ihn mit dem Techniker Bill Brinsmead bekannt. Der zeigte zuerst nur geringes Interesse an dem Projekt. Aber als er Taylor und Phaneuf durch das Labor führte, erinnerte sich Brinsmead an seine eigene Jugend. Auch er war damals gelangweilt und unterfordert gewesen und hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als etwas richtig Geniales und Kniffliges zu bauen; einen Laser zum Beispiel – was ihm auch gelang.
Beim Stöbern durch Lagerräume voll von Elektronenmikroskopen und Leittechnikelementen stießen sie auf eine Hochvakuumanlage aus dickem Edelstahl, die extrem hitze- und unterdruckbeständig war. »Könnte ich die für meinen Fusor haben?« fragte Taylor. »Ich kann mir keinen besseren Verwendungszweck vorstellen«,antwortete Brinsmead.
Ein Ausflug mit den Wilsons: Am Steuer sitzt Tiffany Wilson und folgt einer Schotterstraße über ein Hochplateau südlich des Flughafens von Albuquerque. Taylor hat sie überredet, ihn zu Carl Willis nach New Mexico zu fahren, einem der wenigen Menschen weltweit, denen es gelang, einen funktionstüchtigen Fusionsreaktor zu bauen. Taylor nennt den Nuklearforscher seinen »besten Atomkumpel«. Willis ist jetzt 30; Taylor und Willis gehen einige Male im Jahr auf, wie sie es nennen, »Atomtour« – sie besuchen Forschungsanlagen oder experimentieren selbst. Dieses Mal schürfen sie in der Wüste nach Uran und kaufen in Los Alamos gebrauchte Laborgeräte. Am nächsten Tag wandern sie durch den Bayo Canyon, den Ort, an dem die Ingenieure des Manhattan-Projekts einige der schwersten schmutzigen Bomben zündeten. Taylor und Willis suchen nach Resten eines »Broken Arrow«. So nennt das Militär einen verloren gegangenen atomaren Sprengkopf. Bei der Sichtung freigegebener Militärberichte entdeckte Taylor, dass im Mai 1957 eine Wasserstoffbombe vom Typ Mark 17 »Peacemaker«, die das 700-Fache der Sprengkraft der Hiroshima-Bombe hat, versehentlich über dieser Hochebene abgeworfen wurde. Sie hinterließ einen imposanten Krater. Willis, Taylor und seine Mutter laden Metalldetektoren und Geigerzähler ab. »So verbringen wir unsere Urlaube«, sagt die Mutter.
Im ersten Jahr an der Davidson-Schule verbrachte Taylor die Nachmittage in Phaneufs Labor, in einer Ecke, die ihm der Atomphysiker frei geräumt hatte. Dort entwarf er den Reaktor, brütete über kniffligen technischen Problemen und sammelte die notwendigen Bauteile. Phaneuf half ihm, einen überschüssigen Hochspannungsisolator vom Lawrence Berkeley National Laboratory aufzutreiben. Willis schwatzte dem Chef seiner damaligen Firma, die Teilchenbeschleuniger herstellt, ein extrem teures Hochspannungsnetzteil ab.
Mit Brinsmeads und Phaneufs Hilfe verschaffte sich Taylor auch die nötigen Kenntnisse in Atom- und Plasmaphysik, Chemie, Strahlungsmesstechnik und Elektrotechnik. Bald fing er an, den Reaktor probehalber zusammenzubauen. Er stopfte Vakuumlöcher, stabilisierte ein wackliges Plasmafeld. Kurz nach seinem 14. Geburtstag betankten Taylor und Brinsmead die Maschine mit Deuteriumbrennstoff, fuhren die Anlage hoch und dokumentierten die Anwesenheit von Neutronen. Damit war Taylor der 32. Hobbyforscher, der eine nukleare Kernfusion zustande brachte.
Das ist der schönste Tag meines Lebens
Während einer Messe für US-Nachwuchswissenschaftler, die Mitte Februar im Weißen Haus stattfand, erklärte Taylor Wilson Präsident Obama persönlich, wie sein Bombendetektor funktioniert.
Während er an der Verwendung seiner Maschine zur Produktion medizinischer Isotope bastelte, fiel Taylor ein Artikel in die Hände: Es ging um die unzähligen Frachtcontainer, die täglich die USA erreichen – der »neuralgische Punkt«, sollte jemand versuchen, Massenvernichtungswaffen einzuführen, wie es in dem Bericht hieß. Eines Nachts kam ihm die Idee: Warum nicht mit einem Fusionsreaktor Neutronen erzeugen, mit
denen man die Container im Hafen nach Waffen durchsuchen könnte? In den darauffolgenden Wochen konzipierte er ein Gerät, das vorbeifahrende Container mit Neutronen bombardiert und so radioaktive Fracht aufspürt. Die Entwürfe für seinen Bombendetektor reichte er bei der von Intel gesponserten Internationalen Forschungs- und Ingenieursmesse ein. Diese Messe lockt Jahr für Jahr 1500 hochbegabte Jugendliche aus mehr als 50 Ländern unter ihr Dach. Als der Chef von Intel, Paul Otellini, von dem Fusionsreaktor erfuhr, den der 14-jährige Taylor gebaut hatte, ging er sofort zu dessen Stand. Nach 20 Minuten verabschiedete er sich von Taylor und sagte: »Ich bin sehr froh, dass der Junge auf unserer Seite steht.«
Über die vergangenen drei Jahre hat Taylor die Internationale Forschungsmesse dominiert und neun Preise, Überseereisen und mehr als 100 000 Dollar an Preisgeldern eingestrichen. Als die Heimatschutzbehörde von Taylors Entwurf hörte, bekam er einen Termin im Domestic Nuclear Detection Office in Washington, wo man ihm nahelegte, sich um Fördergelder zum Bau des Spürgeräts zu bewerben. Taylor traf auch die damalige Staatssekretärin des Energieministeriums, Kristina Johnson, die hinterher verblüfft äußerte: »Er ist wohl der erstaunlichste Junge, dem ich jemals begegnet bin.«
Nachdem Willis und Taylor die Hochebene bei Albuquerque etwa eine Stunde abgesucht haben, schlagen die Spürgeräte endlich an: Angeschmorte, weiße Plastikstücke und Aluminiumbrocken – einer strahlt leichte Radioaktivität aus. Reste der vermissten Wasserstoffbombe. Taylor buddelt ein Stück Blei aus. »Hier liegt ein schöner Brocken.« Er schwenkt sein Gerät über ein verbogenes Metallstück. »Leider nicht radioaktiv.« Willis hebt einen großen Fetzen der äußeren Bombenhülle auf, die mattgrüne Lackierung ist noch gut zu erkennen. Taylor fährt mit seinem Messgerät drüber: »Sieh dir mal das krumme Teil an.« Das Instrument knistert laut. Willis hält Taylor den Schatz unter die Nase, der kriegt sich gar nicht mehr ein: »Bingo! Das ist eine echte Fundgrube hier!«
Plötzlich finden sie alle ein, zwei Meter radioaktive Trümmerteile im Boden – obwohl das Militär behauptet hatte, die Stelle sei komplett geräumt worden. Auf Knien wühlt Taylor begeistert im Erdreich. Tiffany sieht auf die Uhr. »Tay, wir müssen los, oder wir verpassen unseren Flug.« – »Ich bin noch nicht mal ansatzweise fertig! Das ist der schönste Tag meines Lebens!« – »Was sollen wir mit dem ganzen Zeug machen?« fragt Tiffany. »Für 50 Dollar kann man es als Übergepäck aufgeben«, meint Willis. Minuten später landet eine wenig stabil wirkende Kiste im Kofferraum. Taylor verschafft sich einen Überblick: »Wir haben etwa 60 Pfund an Uran, Bombensplittern und radioaktiven Trümmern. »Und wir können damit einfach durch die Flughafenkontrolle gehen?« will Tiffany wissen. »An Flughäfen gibt es keine Strahlungsmessgeräte«, sagt Taylor.
Ein paar Stunden später landen die drei in Reno. Auf dem Weg zur Gepäckabholung sagt Taylor: »Hoffentlich hat die Kiste gehalten. Wenn nicht, dann dürfen wir hoffentlich trotzdem die radioaktiven Teile einsammeln und mitnehmen.« Als die Kiste schließlich auftaucht, zeugen ein heller Klebestreifen und eine Notiz im Paketinneren davon, dass sie von der Flughafensicherheit geöffnet und inspiziert wurde. »Sie hatten ja keine Ahnung, was sie da in den Fingern hatten«, grinst Taylor.
Besuch der Davidson-Akademie in Reno. Obwohl dort alle irgendwie akademisch besessen sind, wird schnell klar, dass Taylor das Aushängeschild der Schule ist: Gerahmte Zeitungsausschnitte seiner Erfolge zieren die Wände der Eingangshalle. Taylor studiert gerade Infinitesimalrechnung, danach besucht er Phaneuf und Brinsmead im Physiklabor, um seinen Reaktor vorzuführen. Das Gerät mit den gelben Aufklebern, die vor Strahlung warnen, steht in der Ecke: eine Kammer aus glänzendem Edelstahl und Glas auf einem Zylinder, der mit einer Reihe Sensoren und Zuleiterrohren verbunden ist.
»Okay, etwas zurücktreten«, ruft Taylor. Hinter einer Mauer aus bleihaltigen Blöcken schüttelt er sich den Pony aus den Augen und legt einen Schalter um. Über einen Drehknopf erhöht er die Spannung und mischt ein Gas dazu. »Genauso sind Bill und ich beim ersten Mal auch vorgegangen. Jetzt läuft es sogar noch besser.« Auf einem Bildschirm sieht man die Wolframdrähte grellorange leuchten. Eine blaue Wolke Plasma bildet sich und schwebt wie ein Gespenst in der Reaktionskammer. Phaneuf erklärt: »Wenn die Drähte verschwinden, weiß man, jetzt hat man ein tödliches Strahlungsfeld.«
Taylors Hauptaugenmerk gilt nun dem Neutronendetektor. »Der Regler steht jetzt bei 25 000 Volt«, ruft er. »Ich geb noch etwas Gas dazu und jage ihn höher.« Willis’ Netzteil knistert. Der Reaktor erreicht den »Sternenmodus«. Plasmastrahlen sausen umher, als die Deuteriumatome, von der gewaltigen Spannung beschleunigt, anfangen zu kollidieren. Taylor fährt seine Maschine auf 50 000 Volt hoch und heizt damit das Plasma auf unfassbare 580 Millionen Grad an – knapp das 40-Fache der Temperatur, die im Zentrum der Sonne herrscht. Als die Neutronenanzeige auf Anschlag steht, fliegen blaurote Funken aus der Plasmawolke und erhellen die staunenden Mienen von Phaneuf und Brinsmead, die neben Taylor stehen. Die Atome kollidieren, verschmelzen und schleudern ihre Energie von sich.
»Seht euch das an«, sagt das Wunderkind, ohne die Augen von der Maschine abzuwenden. »Die Geburt eines neuen Sterns.«
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Copyright »Popular Science«; aus dem Amerikanischen von Stephen Klapdor.
Fotos: Bryce Duffy, Pete Souza/White House