Der Mann hinter dem Kapitän

Roman Grill ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der weiß, was Philipp Lahm wirklich über seine Mitspieler und Trainer denkt. Aus dem Leben eines Spielerberaters.

Wenige Berufe haben einen so miserablen Ruf wie der des Spielerberaters: tut nichts, kassiert aber irrsinnige Provisionen. Roman Grill hat gewiss Millionen verdient, beschimpft wurde er auch. Am lautesten von Uli Hoeneß, dem Präsidenten des FC Bayern, der nannte ihn: Selbstdarsteller, Profilneurotiker, Manipulator.

Für einen Selbstdarsteller spricht Roman Grill eher leise und langsam. Er denkt nach, bevor er in gebremstem Bairisch antwortet. Für einen Profilneurotiker meldet er sich zu selten zu Wort. Er hat sich ja kaum verteidigt gegen die Vorwürfe. Manipulator könnte stimmen. Schließlich ist er der einflussreiche Berater von Philipp Lahm, Deutschlands einflussreichstem Fußballer. Und er hat alle seine Spieler zum Yoga bekehrt.

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Drei Menschen haben bis jetzt schlecht geredet über Grill, den Spielerberater:
Der erste: Uli Hoeneß. 18 Jahre lang Grills Chef beim FC Bayern. Grill kam mit 20 Jahren als Spieler, wurde 1997 Assistenztrainer in der U19; 2001 gewann er als Cheftrainer die erste Deutsche Jugend-Meisterschaft des FC Bayern, half nebenbei in der Pressestelle aus. Irgendwann fragte ihn einer seiner Spieler, ob er ihn nicht beraten könne. Natürlich war das eine explosive Situation für Grill und den Verein: Der angestellte Jugendtrainer sollte die Interessen seiner Spieler gegen den gemeinsamen Arbeitgeber durchsetzen. »Ich habe damals Herrn Hoeneß gefragt, was er davon halte. Er sagte mir: ›Besser du machst es als irgendein anderer.‹« Grill galt als loyal dem Verein gegenüber, aber er hatte Neider, die gegen ihn arbeiteten. 2007 trennte man sich im Frieden, erst 2010 krachte es: Hoeneß meinte, Grill habe den Bayern-Kapitän Philipp Lahm schlecht beraten, als der ein unabgesprochenes Interview gab und einen Trainer verteidigte, den der Präsident feuern wollte. Über »den Roman« will sich Hoeneß in Zukunft öffentlich nicht mehr äußern. Grill sagt: »Ich glaube, Herr Hoeneß findet mich eigentlich ganz in Ordnung. Er kämpft halt mit harten Bandagen, wenn er seinen Verein bedroht sieht.«

Der zweite: Timo Hildebrand, früher Torhüter der Nationalmannschaft, heute Ersatzspieler bei Schalke 04, behauptet, Grill habe ihm vor einem Jahr einen Vereinswechsel vermasselt. Der sagt: »Wir passten nicht zusammen. Der Mann konnte sich nicht entscheiden. Er hätte zum FC St. Pauli gehen können, fragen Sie die Leute bei St. Pauli.«

Der dritte: Michael Rensing, 2010 Torhüter beim FC Bayern. Rensing suchte einen anderen Verein und einen Berater. Grill ließ sich überreden, ihn zu vertreten und ihm einen Verein zu suchen – »mein Gefühl war nicht gut und prompt musste ich die Entscheidung bereuen«. Grill bereitete Rensings Wechsel zum FC Köln vor, ein anderer Spielerberater schaltete sich dazwischen, und Rensing kündigte Grill nach Vertragsabschluss. Grills Provision steckte allein der andere Berater ein.

Grill zögerte, Rensing zu verklagen. Ein Prozess schadet beiden Seiten. Aber er muss sich wehren, damit ihm nicht andere Spieler von konkurrierenden Beratern ausgespannt werden. Der Fall Rensing könnte Schule machen. Seit Februar wird das Verfahren Grill gegen Rensing vor dem Düsseldorfer Landgericht verhandelt. Seit einem Jahr lässt Grill seine Klienten sicherheitshalber auch einen schriftlichen Vertrag unterschreiben.

Mehr als zehn Jahre arbeitet der 46-jährige Grill als Spielerberater, sind drei unzufriedene Geschäftspartner da nun viel oder wenig?

Bei der FIFA sind derzeit weltweit 7395 Spielervermittler gemeldet; 390 besitzen nach einer schriftlichen Prüfung eine Lizenz vom DFB. Spielerberater brauchen keine; wechselt ihr Spieler den Verein, lassen sie das Geschäft einfach über jemanden mit Lizenz laufen. Allein in Deutschland versuchen sich Tausende als Spielerberater. Glücksritter und Abzocker, Verwandte und Jugendfreunde der Spieler drängen in den Markt. Fünf bis acht Prozent Provision bei Vertragsabschluss sieht die Gebührenordnung des DFB für Spielervermittler vor, der Verein zahlt. Ein einziger Vereinswechsel oder ein neuer Vertrag kann leicht mehrere Millionen Provision für den Berater bedeuten.

Spielerberater als »Mädchen für alles«

Der Spielerberater Roman Grill arbeitet auch als Spielervermittler, die Lizenz hat sein angestellter Geschäftsführer in der Agentur Acta 7. Grill fädelte im Jahr 2007 den Wechsel von Owen Hargreaves zu Manchester United ein, durch diesen Verkauf nahm der FC Bayern so viel Geld ein wie für keinen Transfer zuvor oder später: 28 Millionen Euro. Grill steckte ein Gutteil seiner ersten großen Provision in seine Agentur.

Dostojewski steht in Grills Büroregal, und irgendwer hat die Ausgabe der Brüder Karamasow tatsächlich gelesen, das sieht man. Die fünf Büroräume seiner Agentur Acta 7 hat Grill im Münchner Glockenbachviertel angemietet. Lahm wohnt auch in der Nähe. Grill und Lahm werden häufig mittags bei einem Italiener im Viertel gesehen.

Man braucht also keine Ausbildung, um sich Spielerberater zu nennen. Man braucht nur einen Spieler, der sich beraten lässt. Viele Berater haben genau diesen einen Spieler. Grill hat 16 unter Vertrag, Jugendspieler ebenso wie die Profis Philipp Lahm, Andreas Ottl, Georg Niedermeier und Piotr Trochowski. Fünf Angestellte betreuen neben den Fußballern noch zwei Beachvolleyball-Spielerinnen und die Skifahrerin Viktoria Rebensburg; für die Frauen beschränkt sich ihre Arbeit darauf, Werbeverträge abzuschließen. Eine Mitarbeiterin ist für die Lahm-Stiftung zuständig – benachteiligte Kinder sollen sich bilden und bewegen, in Deutschland und Südafrika. Grill organisiert jedes Jahr drei Sommercamps.

Unter Spielerberatern gibt es reine Vermögensberater, andere sind Mädchen für alles, die sich auch um eine neue Wohnung und die Putzfrau kümmern. Es gibt reine Marketingexperten, die sich auf das Beschaffen von Werbepartnern spezialisiert haben. Es gibt Anwälte, die nur Verträge für ihre Klienten abschließen, nichts weiter. Michael Becker, der Anwalt, Freund und Berater von Michael Ballack, Spieler bei Leverkusen, vertritt auch noch Miroslav Klose. Uli Ferber berät Mario Gomez und organisiert im Nebenerwerb Volksmusikabende in seinem Stuttgarter Hotel, die Sängerin Andrea Berg ist seine Ehefrau.

Grills Agentur ist also vergleichsweise groß und verfolgt das Prinzip »Mädchen für alles«. Ein Anwalt kümmert sich um die Verträge. Wolfgang Sommerfeld, ein Mentaltrainer, kommt einmal im Monat in die Agentur. Jeden Mittwoch unterrichtet ein pensionierter Ingenieur in den Agenturräumen die jugendlichen Fußballer, denn für eine reguläre Schule haben die 16-Jährigen keine Zeit bei sechsmal Training die Woche. Torsten Hartmann, der Ingenieur, hat ein abhörsicheres Handy erfunden. Zwei Stunden Deutsch, Mathe und Physik pro Woche bei ihm plus vier Stunden Lernen am Tag reichen drei Jugendspielern Grills zur Vorbereitung auf eine externe Abiturprüfung im Sommer, zwei holen die Mittlere Reife nach. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, der Bayern-Arzt, untersucht im Zweifel auch die noch namenlosen Fußballer der Agentur.

Grill sagt: »Die Spieler müssen mit jedem Problem zu mir kommen können.« Einige von Grills Jungs stecken noch in der Pubertät, oft sind die Eltern weit weg. Oliver Markoutz ist 17, hat schon einen Profi-Vertrag bei Bayern, die Eltern leben in Kärnten. Ewald Markoutz, Vater von Oliver, hat früher selbst in der österreichischen Bundesliga gespielt und besucht jedes Heimspiel seines Sohnes in München. Er hatte Angebote von zehn Beratern. »Bei Grill stimmt das Gesamtpaket.«

Es gibt viele unseriöse Leute in dem Beruf. Einige Spielerberater kaufen sich beim Vater ein, um die Rechte des talentierten Sohns zu vertreten und später Provisionen zu verdienen; andere versprechen das Blaue vom Himmel; es gibt auch Berater, die nichts von Fußball verstehen, aber diese Kollegen nimmt Roman Grill in Schutz: »Jeder Fußballer braucht einen anderen Typ, der zu ihm und seinen Bedürfnissen passt. Ich bin anstrengend für meine Spieler, das verträgt nicht jeder. Und ich nehme auch nicht jeden.«

Grills Fußballer müssen Yoga machen. Eine halbe Stunde täglich, das macht er selbst so. Alle 16 Spieler, die er betreut, ohne Ausnahme. Der Yogalehrer fliegt alle zwei Monate aus Cambridge ein, um die Spieler zu kontrollieren. Welcher 15-Jährige hat schon Lust auf Yoga nach dem Training, nach den Hausaufgaben für die Schule?

Philipp Lahm absolviert bis heute das tägliche Programm, das der niederländische Yogalehrer aus Cambridge eigens für Grills Fußballer zusammengestellt hat. 16 Dehnungsübungen, die am besten ein, zwei Stunden nach dem Spiel durchgeführt werden. Sie fördern die Regeneration. Er macht sie seit Beginn seiner Karriere, und er glaubt, dass er deswegen nie verletzungsanfällig war. Dabei ist Lahm der Nationalspieler mit den meisten Einsätzen pro Saison. Seine Übungen lässt er nie ausfallen. Selbst nicht, wenn er nach Champions-League-Spielen erst nachts um zwei Uhr nach Hause oder ins Hotelzimmer kommt.

Jozef Wiewel, der Yogalehrer, hat früher Frank Rijkaard, Paolo Conti und Soren Lerby bei den großen Vereinen Europas Yoga beigebracht. Auf einen Vollzeitjob hat er mit 55 Jahren keine Lust mehr. Für Grill arbeitet er gern, weil »Roman sich intelligente Spieler aussucht«.

Die Agentur nimmt nur noch junge Spieler auf. »Profis haben wir genug«, sagt Grill. Junge Spieler kosten jahrelang Geld. Provision wird erst bei höher dotierten Profi-Verträgen fällig, fünf bis acht Prozent, bei Werbe- und Marketingverträgen sind es zwanzig Prozent. Grill glaubt, dass sein Geld gut investiert ist. Allen seinen jungen Spielern traut er den Durchbruch bei einem Spitzenverein zu. »Alle besitzen genügend Qualität. Sonst würde ich nicht mit ihnen arbeiten.« Mit Qualität meint Grill: »Ein Spieler muss die Spielsituation erkennen können, in der er steckt, und im Bruchteil einer Sekunde die richtige Entscheidung treffen, um die Situation zu lösen.« Schnelligkeit oder Beidfüßigkeit allein sind gar nicht so wichtig – »Messi hat auch nur ein linkes Bein«.

Acta 7 ist sicherlich eine gute Adresse für junge Spieler, für alle Belange hat Grill einen Spezialisten an der Hand. Aber wofür braucht die Agentur heute noch ihren Chef? Roman Grill fährt so langsam Auto, wie er spricht. Besonders langsam wird es, wenn er beides zugleich tut. Langsam ist er aus unterschiedlichen Gründen: Beim Reden konzentriert er sich, holt weit aus, um Fragen zu beantworten, wenn er das für nötig hält. Das Autofahren langweilt ihn, 60 000 Kilometer fährt er im Jahr, und oft so langsam, damit er sich nicht aufs Fahren konzentrieren muss. Eine halbe Stunde braucht er mit seinem silberfarbenen Audi von der Agentur zur Allianz Arena. Geduldig lässt er im Stau vor dem Parkhaus andere Autos die Spur wechseln.

Bei jedem Heimspiel des FC Bayern sitzt er auf der Haupttribüne, Business Club, Block 202, Reihe 2, Platz 4. Hoeneß sitzt weit weg in der Ehrenloge. In der Pause und nach Spielende steht Grill stets am gleichen Stehpult vor dem Buffet, wo er jeweils ein alkoholfreies Bier zum Essen trinkt. Er isst viel und ist trotzdem schlank geblieben. Ferber, der Berater von Gomez, wartet direkt vor der Durchgangstür zur Ehrenloge, dort wo Uli Hoeneß rein- und rausgeht. Bei ihm steht Roman Rummenigge, Sohn von Karl-Heinz und inzwischen selbst Berater.

»Beziehungen sind wichtig in der Branche«, erklärt Grill, der aus seiner Zeit als Spieler natürlich auch gute Beziehungen zu vielen Bundesliga-Clubs hat. Man trifft immer auf die gleichen Leute, es ist ein kleiner Kreis. Man muss aufpassen, was man sagt, wenn man es sich nicht mit den wichtigen Leuten verscherzen will. Uli Hoeneß ist für alle Spielerberater wichtig.

Auswärtsspiele des FC Bayern verfolgt Grill meist im Fernsehen, zu Hause in Hausham am Schliersee, 40 Minuten vor München. Grill dreht den Ton ab, Kommentatoren stören ihn. »Rhetorisch gefällt mir Marcel Reif noch am besten.« Manchmal setzt sich seine Frau Natalia zu ihm aufs Sofa. Den Ton dreht er nur auf, wenn seine Mutter aus dem Erdgeschoss zu großen Champions-League-Abenden kommt. Roman und Natalia Grill wohnen mit ihren beiden Kindern im ersten Stock seines Elternhauses, sie haben nur einen Fernseher, er steht in ihrer Wohnküche. Wenn kein Fußball läuft, ist Natalia Herrin über die Fernbedienung. Aber es läuft selten kein Fußball im Fernsehen. Grill verfolgt ja auch die Partien seines Spielers Georg Niedermeier mit dem VfB Stuttgart, von Andreas Ottl mit Hertha und von Piotr Trochowski mit Sevilla. Sie alle live im Stadion zu sehen, schafft er selten. Grill sagt, insgesamt schaue er sich vier, fünf Spiele jede Woche an, live oder im Fernsehen. Es dürften eher zwölf sein. FC Barcelona und Real Madrid, Manchester United und gelegentlich Chelsea will er auch sehen. Die Spiele von Grills Jugendspielern in der U17 und U19 des FC Bayern werden nicht im Fernsehen übertragen. Auch nicht die der Jugendmannschaften von Salzburg und Basel, die Spieler dort muss er auch regelmäßig beobachten. Denn darin sieht der Spielerberater Grill seine Hauptaufgabe, vor allem bei den jungen Spielern: zuschauen und darüber reden, was er gesehen hat.

Wenn Roman Grill sich ein Spiel anschaut, dann jubelt er nicht, wenn ein Tor fällt. Er schimpft auch nicht. Er sagt »schön«, wenn sein Spieler eine gelungene Aktion zeigt. Grill ist Bayern-Fan. Aber er ist vor allem Geschäftspartner des FC Bayern, der den Erfolg des Vereins braucht, um talentierte Jugendspieler nach München zu locken, zu seiner Agentur und am besten auch gleichzeitig als Spieler zum FC Bayern. Sechs Grill-Spieler spielen derzeit für die Jugendmannschaften des FC Bayern.

Der Coach ohne Mannschaft

Spielerberater sind Mädchen für alles und auch Chauffeur. Oliver Markoutz (links) ist erst 17 Jahre alt, besitzt aber schon einen Profi-Vertrag und durfte auch bereits bei den Profis des FC Bayern mitspielen. Roman Grill ist auch davon überzeugt, dass Julian Green (in weißer Hose) sich durchsetzen wird.

In Gesellschaft erläutert Grill gern Fehler, die er entdeckt, riskante Querpässe vor der gegnerischen Abwehr. Lahm lobt er als »idealen Wettkämpfer«, »kompletten Athleten, perfektesten Spieler der Bundesliga«. Einen Pass Lahms ins Abseits verteidigt Grill als das geringste Übel in der Situation – »Haben Sie seinen Kopfball gesehen? Lehrbuchmäßig, und das, obwohl er recht klein ist«. Grill begreift den modernen Fußball als permanentes Wechselspiel zwischen »Druck auf den Ball und Raumdeckung«. Er nennt seine Bayern-Traumelf, die er im Kopf hat – »aber die dürfen wir nicht schreiben«. Roman Grill hat keine Lust auf neuen Krach mit Uli Hoeneß. Aber er wäre gewiss immer noch ein guter Trainer. Für den Job des Spielerberaters hat er sich nur entschieden, weil der FC Bayern ihn nicht mehr als Jugendtrainer weiterbeschäftigen wollte. Grill hat das schon lange akzeptiert. »Außerdem bin ich doch Coach. Nur ohne Mannschaft. Ich coache einzelne Spieler.«

Grill redet gern über Fußball, aber nicht im Stadion. Da konzentriert er sich aufs Spiel, denn nach Abpfiff wird er seinen Spieler coachen und mit ihm übers Spiel reden. Über gute Aktionen, über schlechte, über die Nebenleute. Zehn, fünfzehn Minuten dauert so ein Gespräch. Er macht das mit jedem seiner Spieler. Mit den jungen redet er erst am Montag nach einem Spieltag, mit denen in Basel und Salzburg direkt nach dem Spiel. Mit Ottl, Niedermeier, Trochowski telefoniert er ein paar Tage nach der Fernsehübertragung. Lahm ruft manchmal an, sobald er nach Hause kommt, selbst nach Mitternacht. Lahm will heute noch wissen, wie sein Vertrauter das Spiel gesehen hat, ob sie einer Meinung sind. Roman Grill ist wahrscheinlich der einzige Mensch, der weiß, was der Nationalspieler wirklich von seinen Mitspielern und Trainern denkt. Als Grill sich einmal drei Tage lang nicht gemeldet hatte, rief Lahm an und fragte: »Ist gar nichts los, Roman? Gibt’s nichts zu besprechen?«

Natürlich haben sie besprochen, ob Lahm vergangenes Jahr das schlagzeilenträchtige Interview in der SZ geben und sich gegen die Entlassung des Trainers van Gaal aussprechen sollte. Grill hat Lahm nicht abgeraten. Er hat ihm zugeredet, seine umstrittene Biografie zu schreiben. »Es gab Ärger, aber Philipp hat das richtig gemacht. Die haben sich alle nur über den arg gekürzten Vorabdruck aufgeregt. Die Version im Buch hat niemand beanstandet.« 200 000 Stück sind bis heute verkauft. Er hat Lahm auch darin bestärkt, von der Position des rechten Verteidigers zurück auf die des linken zu wechseln – »Das war riskant für ihn, aber er machte es zum Wohle des Vereins. Natürlich ist Philipp auf der rechten Seite in der Defensive etwas stärker, da gibt es einfach Bewegungsabläufe beim Reingrätschen, die er sich auf der anderen Seite nie mehr so gut antrainieren kann. Aber links sieht Philipp in der Offensive besser aus, da bekommt er halt die besseren Kritiken«.

Einmal waren Lahm und er unterschiedlicher Meinung: 2006, als der FC Barcelona Lahm ein hoch dotiertes Vertragsangebot machte. »Ich habe Philipp geraten, es anzunehmen. Barça brauchte dringend jemanden auf der Position. So ein Angebot kommt nur einmal im Leben. Philipp wäre mit Barça inzwischen zweimal Champions-League-Sieger geworden.«

Lahm verzichtete, und Grill versuchte erst gar nicht, ihn zu überreden. »Kein Spieler darf gegen seine Überzeugungen handeln. Der Spieler muss immer vorangehen, bei allem, was er macht. Ich unterstütze ihn dabei. Und Philipp hat recht gehabt, bei Bayern zu bleiben. Er ist glücklich in München.«

Den Samstagmorgen verbringt Grill auf dem Trainingsgelände des FC Bayern, abwechselnd bei den Heimspielen der U17 und U19. Dieses Mal spielt die U17, Bayern gegen Stuttgart. Grill nennt seine bevorzugte Aufstellung – »aber die dürfen wir nicht schreiben«, wegen Hoeneß. Das Spiel wird »zu breit gemacht« für Grills Geschmack. Ein Trainer schreit wild auf den Spieler ein, der gerade am Ball ist – laut Grill ein Unding. Und dann wird auch noch Julian Green, einer von Grills jüngsten Spielern, »Stürmer, Rechtsfuß, sehr talentiert, sehr sensibel«, ausgewechselt. Es ist ein schlechtes Spiel und das Wetter scheußlich, man sollte lieber Dostojewski lesen.

Aber Grill schwänzt selten ein Spiel. Disziplin will er ja auch den Jungen beibringen. Beim Essen, beim Schlafen, beim Training, im Alltag. Grill versteht den Aufstieg zum perfekten Fußballer in fünf Stufen, wie beim Yoga. Erstens: Disziplin. Zweitens: soziale Intelligenz, seinen Platz in der Mannschaft finden und behaupten, jede Woche spricht Grill mit den Spielern darüber. Drittens: das Talent auf dem Platz zeigen. Viertens: Die Fähigkeit zu absoluter Konzentration im richtigen Augenblick. Fünftens: Trance, alles gelingt jederzeit. So wie bei Philipp Lahm.

Lukas Grill ist der Sohn von Roman und auch ein Spieler der Agentur. Er spielt in der U19 des FC Bayern. Nach dieser Saison wird sich zeigen, ob er den Sprung zu den Profis schafft. Bei seinen Heimspielen steht die halbe Familie Grill am Spielfeldrand: zwei Groß-väter, manchmal auch Natalia, die Mutter, der Vater, immer schweigsam. »Niemand würde vermuten, dass wir zusammengehören. Wenn Lukas spielt, bin ich viel zu nervös, um mich zu unterhalten.« Der Sohn sagt über den Vater: »Ich war sein erster Spieler, mich hat er von Kind an betreut. Seinen eigenen Trainer im Haus zu haben ist praktisch.«

Grill grüßt Kollegen am Spielfeldrand, konkurrierende Spielerberater auf der Suche nach Talenten. »Viele wissen nicht, was sie sehen«, sagt Grill. »Die quatschen dann schlecht bezahlte Assistenztrainer an, um Tipps zu bekommen, wer gut genug für die Bundesliga werden könnte.«

Spitzenspieler schaffen den Durchbruch in der Regel mit 18, 19, 20 Jahren. In dem Alter sind die besten Jugendspieler längst unter Vertrag, bei dem Spielerberater, der weiß, was er sieht.

Fotos: Enno Kapitza